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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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handelte es sich darum, ein autokratisches Princip, eine Tyrannis auf den
Schild zu heben, die dem Herrscher die absolute Gewalt und den Beherrschten
den Nimbus eines glänzenden Elends gewährt. Wie Napoleon in der Täu¬
schung den mächtigsten Hebel gewann und desto lauter von Freiheit sprach,
je tiefer er Frankreich in's Joch beugte, so sprach der römische Pontifex desto
mehr von der Herrlichkeit und der Macht des Katholicismus, je mehr er die
innere Würde aus demselben nahm und die weltliche Seite der Kirche in den
Vordergrund drängte.

Frankreich hat das furchtbare Beispiel geliefert, wohin eine Nation ge¬
räth, die diesen Täuschungen ihrer Führer sich blind ergibt, die die Gloire
zuletzt mit der Ehre verwechselt und die Macht, die sie sich anmaßt, mit jener
die sie besitzt. Daß diese Täuschung von der Regierung zum System er¬
hoben ward, das ist die furchtbare Schuld des Cäsarismus und daß das
Volk vor diesem System die Knie beugte, das hat es zum Mitschuldigen ge¬
macht in diesem Gottesgericht.

Offenbar ist die romanische Race einer solchen Verirrung weit
zugänglicher als die deutsche. Der Mangel an jener schlichten, oft harten
Tüchtigkeit, die in der Arbeit mehr die Befriedigung des Pflichtgefühls, als
Erfolg sucht, nimmt jenen Nationen leicht den inneren Halt und drängt sie
nach phantastischen Zielen, bei denen mehr der Glanz als die Erreichbarkeit
erwogen wird. In dem weichen beweglichen Geist der Romanen greifen die
Ideen mit epidemischer Raschheit um sich, und während sie häufig die Revo¬
lution in Scene setzten, haben sie doch nie vermocht, das Ideal der bürger¬
lichen Freiheit ganz zu erfassen und zu verwirklichen.

Der Despotismus war in Europa von jeher auf die lateinische Race
angewiesen und es ist nicht bloß Zufall, daß auch der große kirchliche Kampf,
den er mit unserer Generation begonnen hat, von den romanischen Nationen
ausgeht.'

Vergleichen wirdas, was Rom jetzt will, mit dem, was Frankreich wollte,
so stellt sich eine merkwürdige Congruenz der Ideen dar. Denn nicht nur
faktisch will die katholische Kirche das Uebergewicht auf Erden haben, sondern
sie beansprucht auch jenen fatalistischen unbedingten Glauben Aller an ihre
Vollkommenheit, wie ihn "ig, Zignäe Melon" beanspruchthat; sie negirt wie
diese die Bedeutung, ja die Berechtigung der übrigen. Es ist dieselbe In¬
toleranz, wie sie Frankreich besaß, dieselbe Sorte der Unfehlbarkeit, wie sie
Frankreich sich zugeschrieben. Auch wenn wir fragen, wie diese Gewalt dem
Einzelnen ihrer Untergebenen gegenübersteht, finden wir einen vollkomme¬
nen Parallelismus der Erscheinungen. Verhaßt sind ihr jene, welche
denken, bei denen das Bewußtsein für individuelle Freiheit noch nicht von
dem stumpfen breiten Massengefühl absorbirt ist. Anstatt darauf bedacht


handelte es sich darum, ein autokratisches Princip, eine Tyrannis auf den
Schild zu heben, die dem Herrscher die absolute Gewalt und den Beherrschten
den Nimbus eines glänzenden Elends gewährt. Wie Napoleon in der Täu¬
schung den mächtigsten Hebel gewann und desto lauter von Freiheit sprach,
je tiefer er Frankreich in's Joch beugte, so sprach der römische Pontifex desto
mehr von der Herrlichkeit und der Macht des Katholicismus, je mehr er die
innere Würde aus demselben nahm und die weltliche Seite der Kirche in den
Vordergrund drängte.

Frankreich hat das furchtbare Beispiel geliefert, wohin eine Nation ge¬
räth, die diesen Täuschungen ihrer Führer sich blind ergibt, die die Gloire
zuletzt mit der Ehre verwechselt und die Macht, die sie sich anmaßt, mit jener
die sie besitzt. Daß diese Täuschung von der Regierung zum System er¬
hoben ward, das ist die furchtbare Schuld des Cäsarismus und daß das
Volk vor diesem System die Knie beugte, das hat es zum Mitschuldigen ge¬
macht in diesem Gottesgericht.

Offenbar ist die romanische Race einer solchen Verirrung weit
zugänglicher als die deutsche. Der Mangel an jener schlichten, oft harten
Tüchtigkeit, die in der Arbeit mehr die Befriedigung des Pflichtgefühls, als
Erfolg sucht, nimmt jenen Nationen leicht den inneren Halt und drängt sie
nach phantastischen Zielen, bei denen mehr der Glanz als die Erreichbarkeit
erwogen wird. In dem weichen beweglichen Geist der Romanen greifen die
Ideen mit epidemischer Raschheit um sich, und während sie häufig die Revo¬
lution in Scene setzten, haben sie doch nie vermocht, das Ideal der bürger¬
lichen Freiheit ganz zu erfassen und zu verwirklichen.

Der Despotismus war in Europa von jeher auf die lateinische Race
angewiesen und es ist nicht bloß Zufall, daß auch der große kirchliche Kampf,
den er mit unserer Generation begonnen hat, von den romanischen Nationen
ausgeht.'

Vergleichen wirdas, was Rom jetzt will, mit dem, was Frankreich wollte,
so stellt sich eine merkwürdige Congruenz der Ideen dar. Denn nicht nur
faktisch will die katholische Kirche das Uebergewicht auf Erden haben, sondern
sie beansprucht auch jenen fatalistischen unbedingten Glauben Aller an ihre
Vollkommenheit, wie ihn „ig, Zignäe Melon" beanspruchthat; sie negirt wie
diese die Bedeutung, ja die Berechtigung der übrigen. Es ist dieselbe In¬
toleranz, wie sie Frankreich besaß, dieselbe Sorte der Unfehlbarkeit, wie sie
Frankreich sich zugeschrieben. Auch wenn wir fragen, wie diese Gewalt dem
Einzelnen ihrer Untergebenen gegenübersteht, finden wir einen vollkomme¬
nen Parallelismus der Erscheinungen. Verhaßt sind ihr jene, welche
denken, bei denen das Bewußtsein für individuelle Freiheit noch nicht von
dem stumpfen breiten Massengefühl absorbirt ist. Anstatt darauf bedacht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/191>, abgerufen am 28.09.2024.