Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Curie geworden; ein Factor, mit welchem man rechnen mußte; denn mit ihm
war ein Kern gefunden, um den sich die Opposition gegen Rom krystallisiren
konnte.

Als nach Beendigung des Krieges die religiöse Frage wieder in Fluß
kam, forderte der Erzbischof von der theologischen Facultät in München die
Anerkennung der neuen Lehre. Nur zwei Mitglieder derselben besaßen den
Muth, sie zu verweigern: der junge Prof.' Friedrich, der während des Concils
als Secretair des Cardinal Hohenlohe fungirte, und Döllinger. Alle übrigen
hatten die Zumuthung über sich ergehen lassen, zum Theil aus Zweckmäßig¬
keit, um nicht zu sagen aus Servilismus, zum Theil aus jener Demuth, die
man richtiger als Feigheit bezeichnen würde.

Die Verweigerung dieser Erklärung ist der Ausgangspunkt des gesamm-
ten Conflictes, es ist die officielle Thatsache, mit der die Feindseligkeiten be¬
gannen. Die Rathlosigkeit, in welche sich die Curie zunächst hierdurch ver¬
setzt fand, und die zur Entschlossenheit des greisen Gelehrten einen peinlichen
Gegensatz bildete, äußerte sich anfangs in sehr harmlosen Mitteln. Man ver¬
längerte die Frist aber- und abermals, es schien undenkbar für die Geister
einer bischöflichen Kanzlei, daß nicht in letzter Stunde doch noch die "Demuth"
über den Verstockten kommen sollte. Niemand von ihnen begriff, daß solchen
Beschlüssen gegenüber, wie sie Döllinger in der Seele trug, "eine Bedenkzeit
von 14 Tagen" bedeutungslos ist. Die lange Wartezeit, der Verlauf dieser
Frist kann gewissermaßen als erster Act betrachtet werden, und wenn er auch
nichts für die Entwicklung der Handlung beitrug, so zeichnete er doch um so
schärfer die Charaktere. Während dieses scheinbaren Stillstands wuchs Döl¬
linger unermeßlich in der öffentlichen Meinung heran; man fühlte eine tiefe
Ehrfurcht vor jenem Adel der Gesinnung, man fühlte, daß Ueberzeugungs¬
treue die erste Tugend eines Mannes ist.

Und auf der anderen Seite welch hohler Pomp der äußeren Würde,
welche emsige Gehässigkeit und kleinliche Geschäftigkeit!

Der letzte Tag der letztgewährten Frist verstrich, und das Publieum
wartete mit unbeschreiblicher Spannung auf die Antwort, welche die beiden
Professoren dem Ordinariate ertheilen würden. Friedrich schlug die Annahme
des neuen Dogma's rundweg ab, Döllinger überraschte durch Nachsuchung
einer Verlängerung der bisher gewährten Frist; innerhalb derselben werde er sicher
seinen Bescheid ertheilen. Der Eindruck, den diese Erklärung machte, war
anfangs ein getheilter; denn Viele befürchteten, es möchte dies nur ein Vor¬
spiel zur Unterwerfung des letzten großen Helden sein. Wie merkwürdig
schwach ist doch der Glaube des Menschen an den Menschen, wie wenig kön¬
nen alltägliche Naturen den Begriff der Ueberzeugungstreue erfassen, wie
schnell reift in ihnen der Verdacht! Fragen wir nach dem wahren Grund,


Mmzlwtcn I. 187l.

Curie geworden; ein Factor, mit welchem man rechnen mußte; denn mit ihm
war ein Kern gefunden, um den sich die Opposition gegen Rom krystallisiren
konnte.

Als nach Beendigung des Krieges die religiöse Frage wieder in Fluß
kam, forderte der Erzbischof von der theologischen Facultät in München die
Anerkennung der neuen Lehre. Nur zwei Mitglieder derselben besaßen den
Muth, sie zu verweigern: der junge Prof.' Friedrich, der während des Concils
als Secretair des Cardinal Hohenlohe fungirte, und Döllinger. Alle übrigen
hatten die Zumuthung über sich ergehen lassen, zum Theil aus Zweckmäßig¬
keit, um nicht zu sagen aus Servilismus, zum Theil aus jener Demuth, die
man richtiger als Feigheit bezeichnen würde.

Die Verweigerung dieser Erklärung ist der Ausgangspunkt des gesamm-
ten Conflictes, es ist die officielle Thatsache, mit der die Feindseligkeiten be¬
gannen. Die Rathlosigkeit, in welche sich die Curie zunächst hierdurch ver¬
setzt fand, und die zur Entschlossenheit des greisen Gelehrten einen peinlichen
Gegensatz bildete, äußerte sich anfangs in sehr harmlosen Mitteln. Man ver¬
längerte die Frist aber- und abermals, es schien undenkbar für die Geister
einer bischöflichen Kanzlei, daß nicht in letzter Stunde doch noch die „Demuth"
über den Verstockten kommen sollte. Niemand von ihnen begriff, daß solchen
Beschlüssen gegenüber, wie sie Döllinger in der Seele trug, „eine Bedenkzeit
von 14 Tagen" bedeutungslos ist. Die lange Wartezeit, der Verlauf dieser
Frist kann gewissermaßen als erster Act betrachtet werden, und wenn er auch
nichts für die Entwicklung der Handlung beitrug, so zeichnete er doch um so
schärfer die Charaktere. Während dieses scheinbaren Stillstands wuchs Döl¬
linger unermeßlich in der öffentlichen Meinung heran; man fühlte eine tiefe
Ehrfurcht vor jenem Adel der Gesinnung, man fühlte, daß Ueberzeugungs¬
treue die erste Tugend eines Mannes ist.

Und auf der anderen Seite welch hohler Pomp der äußeren Würde,
welche emsige Gehässigkeit und kleinliche Geschäftigkeit!

Der letzte Tag der letztgewährten Frist verstrich, und das Publieum
wartete mit unbeschreiblicher Spannung auf die Antwort, welche die beiden
Professoren dem Ordinariate ertheilen würden. Friedrich schlug die Annahme
des neuen Dogma's rundweg ab, Döllinger überraschte durch Nachsuchung
einer Verlängerung der bisher gewährten Frist; innerhalb derselben werde er sicher
seinen Bescheid ertheilen. Der Eindruck, den diese Erklärung machte, war
anfangs ein getheilter; denn Viele befürchteten, es möchte dies nur ein Vor¬
spiel zur Unterwerfung des letzten großen Helden sein. Wie merkwürdig
schwach ist doch der Glaube des Menschen an den Menschen, wie wenig kön¬
nen alltägliche Naturen den Begriff der Ueberzeugungstreue erfassen, wie
schnell reift in ihnen der Verdacht! Fragen wir nach dem wahren Grund,


Mmzlwtcn I. 187l.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0193" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125975"/>
          <p xml:id="ID_609" prev="#ID_608"> Curie geworden; ein Factor, mit welchem man rechnen mußte; denn mit ihm<lb/>
war ein Kern gefunden, um den sich die Opposition gegen Rom krystallisiren<lb/>
konnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_610"> Als nach Beendigung des Krieges die religiöse Frage wieder in Fluß<lb/>
kam, forderte der Erzbischof von der theologischen Facultät in München die<lb/>
Anerkennung der neuen Lehre. Nur zwei Mitglieder derselben besaßen den<lb/>
Muth, sie zu verweigern: der junge Prof.' Friedrich, der während des Concils<lb/>
als Secretair des Cardinal Hohenlohe fungirte, und Döllinger. Alle übrigen<lb/>
hatten die Zumuthung über sich ergehen lassen, zum Theil aus Zweckmäßig¬<lb/>
keit, um nicht zu sagen aus Servilismus, zum Theil aus jener Demuth, die<lb/>
man richtiger als Feigheit bezeichnen würde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_611"> Die Verweigerung dieser Erklärung ist der Ausgangspunkt des gesamm-<lb/>
ten Conflictes, es ist die officielle Thatsache, mit der die Feindseligkeiten be¬<lb/>
gannen. Die Rathlosigkeit, in welche sich die Curie zunächst hierdurch ver¬<lb/>
setzt fand, und die zur Entschlossenheit des greisen Gelehrten einen peinlichen<lb/>
Gegensatz bildete, äußerte sich anfangs in sehr harmlosen Mitteln. Man ver¬<lb/>
längerte die Frist aber- und abermals, es schien undenkbar für die Geister<lb/>
einer bischöflichen Kanzlei, daß nicht in letzter Stunde doch noch die &#x201E;Demuth"<lb/>
über den Verstockten kommen sollte. Niemand von ihnen begriff, daß solchen<lb/>
Beschlüssen gegenüber, wie sie Döllinger in der Seele trug, &#x201E;eine Bedenkzeit<lb/>
von 14 Tagen" bedeutungslos ist. Die lange Wartezeit, der Verlauf dieser<lb/>
Frist kann gewissermaßen als erster Act betrachtet werden, und wenn er auch<lb/>
nichts für die Entwicklung der Handlung beitrug, so zeichnete er doch um so<lb/>
schärfer die Charaktere. Während dieses scheinbaren Stillstands wuchs Döl¬<lb/>
linger unermeßlich in der öffentlichen Meinung heran; man fühlte eine tiefe<lb/>
Ehrfurcht vor jenem Adel der Gesinnung, man fühlte, daß Ueberzeugungs¬<lb/>
treue die erste Tugend eines Mannes ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_612"> Und auf der anderen Seite welch hohler Pomp der äußeren Würde,<lb/>
welche emsige Gehässigkeit und kleinliche Geschäftigkeit!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_613" next="#ID_614"> Der letzte Tag der letztgewährten Frist verstrich, und das Publieum<lb/>
wartete mit unbeschreiblicher Spannung auf die Antwort, welche die beiden<lb/>
Professoren dem Ordinariate ertheilen würden. Friedrich schlug die Annahme<lb/>
des neuen Dogma's rundweg ab, Döllinger überraschte durch Nachsuchung<lb/>
einer Verlängerung der bisher gewährten Frist; innerhalb derselben werde er sicher<lb/>
seinen Bescheid ertheilen. Der Eindruck, den diese Erklärung machte, war<lb/>
anfangs ein getheilter; denn Viele befürchteten, es möchte dies nur ein Vor¬<lb/>
spiel zur Unterwerfung des letzten großen Helden sein. Wie merkwürdig<lb/>
schwach ist doch der Glaube des Menschen an den Menschen, wie wenig kön¬<lb/>
nen alltägliche Naturen den Begriff der Ueberzeugungstreue erfassen, wie<lb/>
schnell reift in ihnen der Verdacht! Fragen wir nach dem wahren Grund,</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Mmzlwtcn I. 187l.</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0193] Curie geworden; ein Factor, mit welchem man rechnen mußte; denn mit ihm war ein Kern gefunden, um den sich die Opposition gegen Rom krystallisiren konnte. Als nach Beendigung des Krieges die religiöse Frage wieder in Fluß kam, forderte der Erzbischof von der theologischen Facultät in München die Anerkennung der neuen Lehre. Nur zwei Mitglieder derselben besaßen den Muth, sie zu verweigern: der junge Prof.' Friedrich, der während des Concils als Secretair des Cardinal Hohenlohe fungirte, und Döllinger. Alle übrigen hatten die Zumuthung über sich ergehen lassen, zum Theil aus Zweckmäßig¬ keit, um nicht zu sagen aus Servilismus, zum Theil aus jener Demuth, die man richtiger als Feigheit bezeichnen würde. Die Verweigerung dieser Erklärung ist der Ausgangspunkt des gesamm- ten Conflictes, es ist die officielle Thatsache, mit der die Feindseligkeiten be¬ gannen. Die Rathlosigkeit, in welche sich die Curie zunächst hierdurch ver¬ setzt fand, und die zur Entschlossenheit des greisen Gelehrten einen peinlichen Gegensatz bildete, äußerte sich anfangs in sehr harmlosen Mitteln. Man ver¬ längerte die Frist aber- und abermals, es schien undenkbar für die Geister einer bischöflichen Kanzlei, daß nicht in letzter Stunde doch noch die „Demuth" über den Verstockten kommen sollte. Niemand von ihnen begriff, daß solchen Beschlüssen gegenüber, wie sie Döllinger in der Seele trug, „eine Bedenkzeit von 14 Tagen" bedeutungslos ist. Die lange Wartezeit, der Verlauf dieser Frist kann gewissermaßen als erster Act betrachtet werden, und wenn er auch nichts für die Entwicklung der Handlung beitrug, so zeichnete er doch um so schärfer die Charaktere. Während dieses scheinbaren Stillstands wuchs Döl¬ linger unermeßlich in der öffentlichen Meinung heran; man fühlte eine tiefe Ehrfurcht vor jenem Adel der Gesinnung, man fühlte, daß Ueberzeugungs¬ treue die erste Tugend eines Mannes ist. Und auf der anderen Seite welch hohler Pomp der äußeren Würde, welche emsige Gehässigkeit und kleinliche Geschäftigkeit! Der letzte Tag der letztgewährten Frist verstrich, und das Publieum wartete mit unbeschreiblicher Spannung auf die Antwort, welche die beiden Professoren dem Ordinariate ertheilen würden. Friedrich schlug die Annahme des neuen Dogma's rundweg ab, Döllinger überraschte durch Nachsuchung einer Verlängerung der bisher gewährten Frist; innerhalb derselben werde er sicher seinen Bescheid ertheilen. Der Eindruck, den diese Erklärung machte, war anfangs ein getheilter; denn Viele befürchteten, es möchte dies nur ein Vor¬ spiel zur Unterwerfung des letzten großen Helden sein. Wie merkwürdig schwach ist doch der Glaube des Menschen an den Menschen, wie wenig kön¬ nen alltägliche Naturen den Begriff der Ueberzeugungstreue erfassen, wie schnell reift in ihnen der Verdacht! Fragen wir nach dem wahren Grund, Mmzlwtcn I. 187l.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/193
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/193>, abgerufen am 29.09.2024.