Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.aufgehalten hat. Die Liberalität dieser gesetzlichen Bestimmungen tritt aber ") Sehr hübsch und übersichtlich zusammengestellt sind diese nordd. Gesetze von 18K7--1870
in Hirth's Annalen des Nordd. Bundes. III. Bd., 7. u. 8. Heft 1870, S. 722 fg. Berlin 187N (Stille und van Muydcn.) aufgehalten hat. Die Liberalität dieser gesetzlichen Bestimmungen tritt aber ") Sehr hübsch und übersichtlich zusammengestellt sind diese nordd. Gesetze von 18K7—1870
in Hirth's Annalen des Nordd. Bundes. III. Bd., 7. u. 8. Heft 1870, S. 722 fg. Berlin 187N (Stille und van Muydcn.) <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0172" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125954"/> <p xml:id="ID_551" prev="#ID_550" next="#ID_552"> aufgehalten hat. Die Liberalität dieser gesetzlichen Bestimmungen tritt aber<lb/> erst in das rechte Licht, wenn Du hinzunimmst, daß alle diese bedeutenden<lb/> Veränderungen im Leben des Einzelnen und der gesammren flottirenden Be¬<lb/> völkerung auch dem Aermsten so leicht gemacht sind wie dem Bemittelten.<lb/> Denn weder Behörden noch Gemeinden dürfen für den Zuzug oder Abzug,<lb/> für die Begründung eines Hauswesens oder eines Nahrungsstandes oder selbst<lb/> für den Erwerb des Ortsbürgerrechtes irgend welche Kosten oder Abgaben<lb/> auferlegen, noch von irgend wem den Nachweis eines zum Unterhalt ausrei¬<lb/> chenden Vermögens oder Erwerbs fordern.*) Auch gegen jede Doppelbe¬<lb/> steuerung ist der Deutsche durch ein besonderes V.-Gesetz sicher gestellt. Nun<lb/> füge zu diesen Gesetzen über die freie Bewegung der Personen das große orga¬<lb/> nische Gesetz über die freie Erwerbsfähigkeit des Deutschen: Die Gewerbe-<lb/> Ordnung. Da ist der Gewerbebetrieb, mit Ausnahme sehr weniger Ge¬<lb/> werbe, vollkommen freigegeben. Die wenigen concessionspflichtigcn Gewerbe<lb/> sind genau und bestimmt bezeichnet, die Versagung der Concession unter die<lb/> Controle eines öffentlichen Rechtsverfahrens gestellt. Alle privatrechtlichen<lb/> Gewerbeabgaben, alle Zwangs-, Bann- und Ausschließungsrechte — mit Aus¬<lb/> nahme sehr unbedeutender ablöslicher Berechtigungen — soweit sie nicht schon<lb/> aufgehoben sind, erlöschen längstens zu Anfang des Jahres 1873. Arbeit¬<lb/> nehmer und Arbeitgeber genießen volle Coalitionsfreiheit. in ihrem Rechts¬<lb/> und Dienstverhältnisse völlig gleiche Rechte. Für die Entscheidung etwaiger<lb/> Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist die Anrufung von<lb/> Schiedsgerichten möglich. Der Mißbrauch jugendlicher Arbeiter ist an harte<lb/> Strafen geknüpft, die Verwendung jugendlicher Arbeitskraft unter strenge<lb/> Aufsicht des Gesetzes und der Behörden gestellt. Die alten Zünfte können<lb/> durch freien Beschluß der Betheiligten aufgehoben, oder in freie, moderne Ge¬<lb/> nossenschaften hinübergeleitet werden. Als Ergänzung dieser muntern Frei¬<lb/> heit des Bewegens und Schaffens treten hinzu die Bundesgesetze auf dem<lb/> Gebiet des freien Geschäfts- und Rechtsverkehrs. Die Zinsbeschränkungen<lb/> oder sogenannten Wuchergesetze wurden schon im Jahre 1867 aufgehoben, im<lb/> Jahre 1868 folgte die Aufhebung der Schuldhaft, im Jahre 1869 das Ver¬<lb/> bot der Beschlagnahme von Arbeits- und Dienstlvhn für civilrechtliche<lb/> Forderungen. Damit wurden drei Fesseln des gesunden Credits, drei gefährliche<lb/> Stützen ungesunder Creditwirthschaft abgestreift. Dagegen gab das B.-Gesetz<lb/> über die privatrechtliche Stellung der Erwerbs- und Wirthschaftsgenossen¬<lb/> schaften, jener bekannten großartigen Schöpfungen des wackern Schulze-<lb/> Delitzsch, der Sammlung des Kleincapitals zu gemeinsamer Arbeit und For-</p><lb/> <note xml:id="FID_87" place="foot"> ") Sehr hübsch und übersichtlich zusammengestellt sind diese nordd. Gesetze von 18K7—1870<lb/> in Hirth's Annalen des Nordd. Bundes. III. Bd., 7. u. 8. Heft 1870, S. 722 fg. Berlin<lb/> 187N (Stille und van Muydcn.)</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0172]
aufgehalten hat. Die Liberalität dieser gesetzlichen Bestimmungen tritt aber
erst in das rechte Licht, wenn Du hinzunimmst, daß alle diese bedeutenden
Veränderungen im Leben des Einzelnen und der gesammren flottirenden Be¬
völkerung auch dem Aermsten so leicht gemacht sind wie dem Bemittelten.
Denn weder Behörden noch Gemeinden dürfen für den Zuzug oder Abzug,
für die Begründung eines Hauswesens oder eines Nahrungsstandes oder selbst
für den Erwerb des Ortsbürgerrechtes irgend welche Kosten oder Abgaben
auferlegen, noch von irgend wem den Nachweis eines zum Unterhalt ausrei¬
chenden Vermögens oder Erwerbs fordern.*) Auch gegen jede Doppelbe¬
steuerung ist der Deutsche durch ein besonderes V.-Gesetz sicher gestellt. Nun
füge zu diesen Gesetzen über die freie Bewegung der Personen das große orga¬
nische Gesetz über die freie Erwerbsfähigkeit des Deutschen: Die Gewerbe-
Ordnung. Da ist der Gewerbebetrieb, mit Ausnahme sehr weniger Ge¬
werbe, vollkommen freigegeben. Die wenigen concessionspflichtigcn Gewerbe
sind genau und bestimmt bezeichnet, die Versagung der Concession unter die
Controle eines öffentlichen Rechtsverfahrens gestellt. Alle privatrechtlichen
Gewerbeabgaben, alle Zwangs-, Bann- und Ausschließungsrechte — mit Aus¬
nahme sehr unbedeutender ablöslicher Berechtigungen — soweit sie nicht schon
aufgehoben sind, erlöschen längstens zu Anfang des Jahres 1873. Arbeit¬
nehmer und Arbeitgeber genießen volle Coalitionsfreiheit. in ihrem Rechts¬
und Dienstverhältnisse völlig gleiche Rechte. Für die Entscheidung etwaiger
Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist die Anrufung von
Schiedsgerichten möglich. Der Mißbrauch jugendlicher Arbeiter ist an harte
Strafen geknüpft, die Verwendung jugendlicher Arbeitskraft unter strenge
Aufsicht des Gesetzes und der Behörden gestellt. Die alten Zünfte können
durch freien Beschluß der Betheiligten aufgehoben, oder in freie, moderne Ge¬
nossenschaften hinübergeleitet werden. Als Ergänzung dieser muntern Frei¬
heit des Bewegens und Schaffens treten hinzu die Bundesgesetze auf dem
Gebiet des freien Geschäfts- und Rechtsverkehrs. Die Zinsbeschränkungen
oder sogenannten Wuchergesetze wurden schon im Jahre 1867 aufgehoben, im
Jahre 1868 folgte die Aufhebung der Schuldhaft, im Jahre 1869 das Ver¬
bot der Beschlagnahme von Arbeits- und Dienstlvhn für civilrechtliche
Forderungen. Damit wurden drei Fesseln des gesunden Credits, drei gefährliche
Stützen ungesunder Creditwirthschaft abgestreift. Dagegen gab das B.-Gesetz
über die privatrechtliche Stellung der Erwerbs- und Wirthschaftsgenossen¬
schaften, jener bekannten großartigen Schöpfungen des wackern Schulze-
Delitzsch, der Sammlung des Kleincapitals zu gemeinsamer Arbeit und For-
") Sehr hübsch und übersichtlich zusammengestellt sind diese nordd. Gesetze von 18K7—1870
in Hirth's Annalen des Nordd. Bundes. III. Bd., 7. u. 8. Heft 1870, S. 722 fg. Berlin
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