Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.derung gesunder Creditverhältnifse unter den "kleinen Leuten" freie Bahn. Denn von alledem existiren in der freien Schweiz bisher und selbst nach ") A. Daauet, Geschichte der schweizerischen Eidgenossenschaft von den ältesten Zeiten bis
1866, Arca, Sauerliwder 18K7. S. ses. derung gesunder Creditverhältnifse unter den „kleinen Leuten" freie Bahn. Denn von alledem existiren in der freien Schweiz bisher und selbst nach ") A. Daauet, Geschichte der schweizerischen Eidgenossenschaft von den ältesten Zeiten bis
1866, Arca, Sauerliwder 18K7. S. ses. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0173" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125955"/> <p xml:id="ID_552" prev="#ID_551"> derung gesunder Creditverhältnifse unter den „kleinen Leuten" freie Bahn.<lb/> Das Gesetz über die Commandit- und Actiengesellschaften regelte die Ver¬<lb/> einigung des Großcapitals in ganz Deutschland; das B.-Gesetz über die Aus¬<lb/> gabe von Banknoten endlich schützte Deutschland vor leichtfertigen Papier¬<lb/> operationen des Particularismus. Das Bild der nordd. Gesetzgebung in<lb/> diesen 3^/2 Jahren wird vollendet durch die schon in meinem zweiten Briefe<lb/> berührten Gesetze der Rechtseinheit: gemeinsames Handels- und Wechselrecht,<lb/> gemeinsamer oberster Gerichtshof für diese Rechtssachen, gemeinsames Straf¬<lb/> recht, gleichmäßige und gemeinsame R echtshülfe durch den ganzen Bund, so<lb/> daß sämmtlichen Gerichten des Bundes in ihrem Verkehr unter einander<lb/> dieselbe Autorität, sämmtlichen Bundesangehörigen dieselben Rechte und Pflich¬<lb/> ten im Rechtsverkehr verliehen sind. Wahrlich, die nahezu dreißig Gesetze,<lb/> welche der nordd. Bund dem deutschen Süden in die junge gemeinsame Ver¬<lb/> bindung des deutschen Reiches mitbringt, sind eine Morgengabe, deren sich<lb/> der stolzeste und freieste Eidgenosse nicht zu schämen brauchte, um so weniger,<lb/> als er wirklich das meiste von diesen deutschen Freiheiten daheim dringend<lb/> nöthig hat und nicht besitzt.</p><lb/> <p xml:id="ID_553" next="#ID_554"> Denn von alledem existiren in der freien Schweiz bisher und selbst nach<lb/> den Entwürfen der neuesten Bundesreform nur Anfänge. Das einzig nennens-<lb/> werthe, was die Bundesgesetzgebung in der Richtung der persönlichen Be¬<lb/> wegungsfreiheit in den dreiundzwanzig Jahren ihrer Wirksamkeit geleistet<lb/> hat, ist das Gesetz über die Heimathlosen, „welches eine schmähliche und<lb/> offene Wunde des schweizerischen Gesellschaftszustandes geheilt hat."Aber<lb/> dieses Gesetz ist noch sehr weit entfernt davon, dem Schweizer den kostenfreien<lb/> und völlig ungehinderten Zu- und Abzug mit oder ohne Familie an jedem<lb/> Ort, jeden Kantons, die unentgeltliche Erwerbung des dortigen Bürgerrechts,<lb/> und Mitgenuß der Gemeindegüter, den freien ungehinderten Gewerbebetrieb,<lb/> den Erwerb des Unterstützungswohnsitzes nach zweijährigem Ausenthalt an<lb/> jedem Orte zu gewähren, wie unsere Gesetze über die Freizügigkeit, Unter¬<lb/> stützungswohnsitz, Bundes- und Staatsangehörigkeit, Gewerbeordnung. Im<lb/> Gegentheil, für alle diese Dinge hat der Bund der Schweiz bisher nichts<lb/> gethan; er hat die Kantone gewähren lassen und hier erben sich oft mehr<lb/> als mecklenburgische Zustände bis auf den heutigen Tag fort. Noch heute<lb/> kann man nicht Bürger (sprich „Burger") der Bundeshauptstadt Bern werden,<lb/> ohne sich in irgend eine „Zunft" einzukaufen, sei es zu „Pfistern" oder zu<lb/> „Schmieden" oder zu „Distelzwang" (französisch seltsamerweise gentiliwinmes),<lb/> oder gar zu „Affen". Solch ein Bürgerrecht kostet für einen Familienvater von</p><lb/> <note xml:id="FID_88" place="foot"> ") A. Daauet, Geschichte der schweizerischen Eidgenossenschaft von den ältesten Zeiten bis<lb/> 1866, Arca, Sauerliwder 18K7. S. ses.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0173]
derung gesunder Creditverhältnifse unter den „kleinen Leuten" freie Bahn.
Das Gesetz über die Commandit- und Actiengesellschaften regelte die Ver¬
einigung des Großcapitals in ganz Deutschland; das B.-Gesetz über die Aus¬
gabe von Banknoten endlich schützte Deutschland vor leichtfertigen Papier¬
operationen des Particularismus. Das Bild der nordd. Gesetzgebung in
diesen 3^/2 Jahren wird vollendet durch die schon in meinem zweiten Briefe
berührten Gesetze der Rechtseinheit: gemeinsames Handels- und Wechselrecht,
gemeinsamer oberster Gerichtshof für diese Rechtssachen, gemeinsames Straf¬
recht, gleichmäßige und gemeinsame R echtshülfe durch den ganzen Bund, so
daß sämmtlichen Gerichten des Bundes in ihrem Verkehr unter einander
dieselbe Autorität, sämmtlichen Bundesangehörigen dieselben Rechte und Pflich¬
ten im Rechtsverkehr verliehen sind. Wahrlich, die nahezu dreißig Gesetze,
welche der nordd. Bund dem deutschen Süden in die junge gemeinsame Ver¬
bindung des deutschen Reiches mitbringt, sind eine Morgengabe, deren sich
der stolzeste und freieste Eidgenosse nicht zu schämen brauchte, um so weniger,
als er wirklich das meiste von diesen deutschen Freiheiten daheim dringend
nöthig hat und nicht besitzt.
Denn von alledem existiren in der freien Schweiz bisher und selbst nach
den Entwürfen der neuesten Bundesreform nur Anfänge. Das einzig nennens-
werthe, was die Bundesgesetzgebung in der Richtung der persönlichen Be¬
wegungsfreiheit in den dreiundzwanzig Jahren ihrer Wirksamkeit geleistet
hat, ist das Gesetz über die Heimathlosen, „welches eine schmähliche und
offene Wunde des schweizerischen Gesellschaftszustandes geheilt hat."Aber
dieses Gesetz ist noch sehr weit entfernt davon, dem Schweizer den kostenfreien
und völlig ungehinderten Zu- und Abzug mit oder ohne Familie an jedem
Ort, jeden Kantons, die unentgeltliche Erwerbung des dortigen Bürgerrechts,
und Mitgenuß der Gemeindegüter, den freien ungehinderten Gewerbebetrieb,
den Erwerb des Unterstützungswohnsitzes nach zweijährigem Ausenthalt an
jedem Orte zu gewähren, wie unsere Gesetze über die Freizügigkeit, Unter¬
stützungswohnsitz, Bundes- und Staatsangehörigkeit, Gewerbeordnung. Im
Gegentheil, für alle diese Dinge hat der Bund der Schweiz bisher nichts
gethan; er hat die Kantone gewähren lassen und hier erben sich oft mehr
als mecklenburgische Zustände bis auf den heutigen Tag fort. Noch heute
kann man nicht Bürger (sprich „Burger") der Bundeshauptstadt Bern werden,
ohne sich in irgend eine „Zunft" einzukaufen, sei es zu „Pfistern" oder zu
„Schmieden" oder zu „Distelzwang" (französisch seltsamerweise gentiliwinmes),
oder gar zu „Affen". Solch ein Bürgerrecht kostet für einen Familienvater von
") A. Daauet, Geschichte der schweizerischen Eidgenossenschaft von den ältesten Zeiten bis
1866, Arca, Sauerliwder 18K7. S. ses.
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