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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Dann erfolgten die Beitrittserklärungen der meisten Seemächte. Nur die
Vereinigten Staaten versagten ihre Zustimmung, oder stellten dieselbe nur
unter der Bedingung in Aussicht, daß dem ersten, die Kaperei beseitigenden
Satze eine weitere, alles Privateigenthum Kriegführender, außer Contrebande
im Seekriege schützende Bestimmung beigefügt werde. Auf das Hülfsmittel
der Kaperei verzichten -- so deduzirten die Politiker der Union ganz folge¬
richtig -- das können wir, die wir eine schwache Kriegsflotte zu halten für
Staatsraison ansehen, nur dann, wenn wir auch sicher sind vor der Beein¬
trächtigung des Privateigenthums unserer Bürger durch die Kriegsschiffe
unserer Gegner; oder mit andern Worten, wenn mit dem Recht der Kaperei
auch das Prisenrecht fällt.

Die Verhandlungen über diese Bedingung der Vereinigten Staaten ließen
sich sehr günstig an; aber sie konnten während der Präsidentschaft Pierce's
nicht zu Ende geführt werden, und sein Nachfolger, Buchanan, war der Be¬
seitigung, des Kapereirechts, wenn auch gleichzeitig das Prisenrecht beseitigt
würde, entschieden abhold. Wenige Jahre später hat Niemand tiefer, als das
Cabinet von Washington, das Nichtzustandekvmmen der Verhandlungen über
das Amendement des Präsidenten Pierce, oder seines Ministers des Auswärti¬
gen, des Herrn Marcy, zu beklagen gehabt. Denn in dem großen ameri¬
kanischen Bürgerkriege war die Kaperei die schärfste und gefährlichste Waffe
der Secessionisten.

Bei der heutigen Auffassung des Völkerrechts, der zufolge ein Satz des
Seekriegsrechtes von allen Seemächten, nicht nur von den europäischen, oder
wenigstens von allen hervorragenderen Seemächten, anerkannt sein muß, um
volle Gültigkeit zu beanspruchen, ist mehr als zweifelhaft, ob die Sätze der
Pariser Seerechts-Declciration auch nur unter den Mächten, welche ihre Zu¬
stimmung erklärt haben, also unter den europäischen, als bindende Norm zu
betrachten, ob also jene europäischen Seemächte, welche ihnen zuwiderhandeln
würden, als des Völkerrechtsbruches schuldig anzusehen seien. Indeß hat diese
Frage einigermaßen an Bedeutung verloren, da in den europäischen Kriegen
seit 1856 die Pariser Deklaration thatsächlich stets so gut als möglich beob¬
achtet, ja manches leuchtende Beispiel von viel weiter gehenden Zugeständ¬
nissen an die Humanität gegeben worden ist. So haben im deutsch-dänischen
Kriege die Kriegführenden im Wesentlichen die Pariser Declaration geachtet,
so hat selbst England im letzten chinesischen Krieg laut Orcler in eoune.it vom
7. März 1860 daran festgehalten; so haben Oesterreich und Preußen, als sie
im Jahre 1866 dicht vor dem Kriege standen, sich beeilt, beiderseits ihren
Verzicht nicht nur aus die Privat-Kaperei, sondern auch auf nehmung feind¬
lichen Privat-Eigenthums zur See durch Kriegsschiffe zu erklären; so endlich
hat der norddeutsche Bund beim Beginne des gegenwärtigen Krieges auf das


Dann erfolgten die Beitrittserklärungen der meisten Seemächte. Nur die
Vereinigten Staaten versagten ihre Zustimmung, oder stellten dieselbe nur
unter der Bedingung in Aussicht, daß dem ersten, die Kaperei beseitigenden
Satze eine weitere, alles Privateigenthum Kriegführender, außer Contrebande
im Seekriege schützende Bestimmung beigefügt werde. Auf das Hülfsmittel
der Kaperei verzichten — so deduzirten die Politiker der Union ganz folge¬
richtig — das können wir, die wir eine schwache Kriegsflotte zu halten für
Staatsraison ansehen, nur dann, wenn wir auch sicher sind vor der Beein¬
trächtigung des Privateigenthums unserer Bürger durch die Kriegsschiffe
unserer Gegner; oder mit andern Worten, wenn mit dem Recht der Kaperei
auch das Prisenrecht fällt.

Die Verhandlungen über diese Bedingung der Vereinigten Staaten ließen
sich sehr günstig an; aber sie konnten während der Präsidentschaft Pierce's
nicht zu Ende geführt werden, und sein Nachfolger, Buchanan, war der Be¬
seitigung, des Kapereirechts, wenn auch gleichzeitig das Prisenrecht beseitigt
würde, entschieden abhold. Wenige Jahre später hat Niemand tiefer, als das
Cabinet von Washington, das Nichtzustandekvmmen der Verhandlungen über
das Amendement des Präsidenten Pierce, oder seines Ministers des Auswärti¬
gen, des Herrn Marcy, zu beklagen gehabt. Denn in dem großen ameri¬
kanischen Bürgerkriege war die Kaperei die schärfste und gefährlichste Waffe
der Secessionisten.

Bei der heutigen Auffassung des Völkerrechts, der zufolge ein Satz des
Seekriegsrechtes von allen Seemächten, nicht nur von den europäischen, oder
wenigstens von allen hervorragenderen Seemächten, anerkannt sein muß, um
volle Gültigkeit zu beanspruchen, ist mehr als zweifelhaft, ob die Sätze der
Pariser Seerechts-Declciration auch nur unter den Mächten, welche ihre Zu¬
stimmung erklärt haben, also unter den europäischen, als bindende Norm zu
betrachten, ob also jene europäischen Seemächte, welche ihnen zuwiderhandeln
würden, als des Völkerrechtsbruches schuldig anzusehen seien. Indeß hat diese
Frage einigermaßen an Bedeutung verloren, da in den europäischen Kriegen
seit 1856 die Pariser Deklaration thatsächlich stets so gut als möglich beob¬
achtet, ja manches leuchtende Beispiel von viel weiter gehenden Zugeständ¬
nissen an die Humanität gegeben worden ist. So haben im deutsch-dänischen
Kriege die Kriegführenden im Wesentlichen die Pariser Declaration geachtet,
so hat selbst England im letzten chinesischen Krieg laut Orcler in eoune.it vom
7. März 1860 daran festgehalten; so haben Oesterreich und Preußen, als sie
im Jahre 1866 dicht vor dem Kriege standen, sich beeilt, beiderseits ihren
Verzicht nicht nur aus die Privat-Kaperei, sondern auch auf nehmung feind¬
lichen Privat-Eigenthums zur See durch Kriegsschiffe zu erklären; so endlich
hat der norddeutsche Bund beim Beginne des gegenwärtigen Krieges auf das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/15>, abgerufen am 28.09.2024.