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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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nämliche Recht gegenüber Frankreich verzichtet, und Frankreich, wenn es auch
in thörichter Verblendung einen gleichen Verzicht auszusprechen, trotz eifriger
Mahnungen aus dem eigenen Lande, unterlassen hat, hat doch die Pariser
Seerechts-Declaration dem Wortlaute nach im Wesentlichen ebenso beob¬
achtet, wie dieß von Seiten anderer Mächte, z. B. von Seiten Dänemarks
im Jahre 1864, geschehen ist.

Aber gerade der gegenwärtige Krieg illustrirt recht deutlich, wie wenig
diese Rechtssätze, ganz abgesehen von ihrer vagen und zweideutigen Fassung,
den gerechten Forderungen der Zeit entsprechen, wie grausam und über das
Ziel hinausschießend die Kriegsaction zur See auch dann noch bleibt, wenn jene
Sätze lediglich befolgt werden, und worin die Aufgabe Derer besteht, welche für
eine wirkliche und dem Geist der Zeit entsprechende Reform des Seekriegs¬
rechtes zu wirken berufen sind.

Die Sätze der Pariser Declaration lauten bekanntlich folgendermaßen:

1. Die Kaperei ist und bleibt abgeschafft;

2. die neutrale Flagge deckt die feindliche Waare mit Ausnahme von
Kriegscontrebande;

3. die neutrale Waare, mit Ausnahme von Kriegscontrebande, darf unter
Feindesflagge nicht mit Beschlag belegt werden;

4. Blokaden müssen, um rechtsverbindlich zu sein, effectiv sein, d. h. durch
eine bewaffnete Macht aufrecht erhalten werden, welche ausreicht, um die An¬
näherung an das feindliche Ufer wirklich zu verwehren. -

"Die Kaperei ist und bleibt abgeschafft." Das heißt, es soll
künftig von den Kriegführenden an Private nicht mehr das Privilegium er¬
theilt werden, sich durch Seeraub, geübt an dem Privateigenthum von Ange¬
hörigen des feindlichen Staates, zu bereichern. Unbenommen aber bleibt den
Kriegführenden, den Seeraub mit Staatsschiffen, in eigener Regie,
zu betreiben. Unbenommen bleibt ihnen, im Seekriege zu thun, was im
Landkriege längst als Barbarei gebrandmarkt, als völkerrechtswidrig aner¬
kannt ist. Aller Krieg ist Barbarei. Aber es kann nicht die Aufgabe der
Zeit sein, dieses unvermeidlich charakteristische Moment des Krieges zu ver"
schärfen; es gilt vielmehr, die Barbarei des Krieges so weit als möglich zu
mildern, den Krieg zu Dem zu machen, was er seiner Bestimmung nach aus¬
schließlich sein soll, zu einem Mittel, einen internationalen Rechtsconfliet ge¬
waltsam zu lösen. Dieser Conflict entstand nicht zwischen den einzelnen Bür¬
gern der Kriegführenden, sondern zwischen den Staatsgewalten. Mittelbar
leiden unter jedem Kriege auch jene; aber dieses mittelbare Leiden stellt sich
im Kriege zwischen Culturstaaten als ein gleiches, allgemeines und möglichst
gerecht vertheiltes dar; die Gleichheit und Gerechtigkeit der Verkeilung mil¬
dert für den Einzelnen die Empfindung der Noth. Jenes directe Leiden,


nämliche Recht gegenüber Frankreich verzichtet, und Frankreich, wenn es auch
in thörichter Verblendung einen gleichen Verzicht auszusprechen, trotz eifriger
Mahnungen aus dem eigenen Lande, unterlassen hat, hat doch die Pariser
Seerechts-Declaration dem Wortlaute nach im Wesentlichen ebenso beob¬
achtet, wie dieß von Seiten anderer Mächte, z. B. von Seiten Dänemarks
im Jahre 1864, geschehen ist.

Aber gerade der gegenwärtige Krieg illustrirt recht deutlich, wie wenig
diese Rechtssätze, ganz abgesehen von ihrer vagen und zweideutigen Fassung,
den gerechten Forderungen der Zeit entsprechen, wie grausam und über das
Ziel hinausschießend die Kriegsaction zur See auch dann noch bleibt, wenn jene
Sätze lediglich befolgt werden, und worin die Aufgabe Derer besteht, welche für
eine wirkliche und dem Geist der Zeit entsprechende Reform des Seekriegs¬
rechtes zu wirken berufen sind.

Die Sätze der Pariser Declaration lauten bekanntlich folgendermaßen:

1. Die Kaperei ist und bleibt abgeschafft;

2. die neutrale Flagge deckt die feindliche Waare mit Ausnahme von
Kriegscontrebande;

3. die neutrale Waare, mit Ausnahme von Kriegscontrebande, darf unter
Feindesflagge nicht mit Beschlag belegt werden;

4. Blokaden müssen, um rechtsverbindlich zu sein, effectiv sein, d. h. durch
eine bewaffnete Macht aufrecht erhalten werden, welche ausreicht, um die An¬
näherung an das feindliche Ufer wirklich zu verwehren. -

„Die Kaperei ist und bleibt abgeschafft." Das heißt, es soll
künftig von den Kriegführenden an Private nicht mehr das Privilegium er¬
theilt werden, sich durch Seeraub, geübt an dem Privateigenthum von Ange¬
hörigen des feindlichen Staates, zu bereichern. Unbenommen aber bleibt den
Kriegführenden, den Seeraub mit Staatsschiffen, in eigener Regie,
zu betreiben. Unbenommen bleibt ihnen, im Seekriege zu thun, was im
Landkriege längst als Barbarei gebrandmarkt, als völkerrechtswidrig aner¬
kannt ist. Aller Krieg ist Barbarei. Aber es kann nicht die Aufgabe der
Zeit sein, dieses unvermeidlich charakteristische Moment des Krieges zu ver»
schärfen; es gilt vielmehr, die Barbarei des Krieges so weit als möglich zu
mildern, den Krieg zu Dem zu machen, was er seiner Bestimmung nach aus¬
schließlich sein soll, zu einem Mittel, einen internationalen Rechtsconfliet ge¬
waltsam zu lösen. Dieser Conflict entstand nicht zwischen den einzelnen Bür¬
gern der Kriegführenden, sondern zwischen den Staatsgewalten. Mittelbar
leiden unter jedem Kriege auch jene; aber dieses mittelbare Leiden stellt sich
im Kriege zwischen Culturstaaten als ein gleiches, allgemeines und möglichst
gerecht vertheiltes dar; die Gleichheit und Gerechtigkeit der Verkeilung mil¬
dert für den Einzelnen die Empfindung der Noth. Jenes directe Leiden,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/16>, abgerufen am 28.09.2024.