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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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esse zu gewinnen angefangen; das ältere Interesse des britischen Volkes für
diese Dinge trat aus erklärlichen Gründen stets lieber für die Conservirung,
als für die Reform des alten barbarischen Seerechts in die Schranken. Die
Ehre, zuerst entschieden und erfolgreich für solche Reformen eingetreten zu
sein, darf die gebildete öffentliche Meinung Deutschlands beanspruchen.

Am 2. Dezember 1869 fand zu Bremen eine von beinahe 300 Mitglie¬
dern der dortigen Börse besuchte Versammlung zum Schutze aller Privat-
Jnteressen auf der See in Kriegszeiten statt, welche nach lebhafter Verhand¬
lung vier Resolutionen einstimmig annahm. Bon diesen Resolutionen lauten
die ersten beiden: "1. Die Unverletzlichkeit der Person und des Eigenthums
in Kriegszeiten zur See, unter Ausdehnung auf die Angehörigen kriegführen¬
der Staaten, soweit die Zwecke des Krieges sie nicht nothwendig beschränken,
ist eine unabweisliche Forderung des Rechtsbewußtseins unserer Zeit. 2. Der
Senat der Freistadt Bremen soll diesen Grundsatz möglichst vertreten und bei
den deutschen und anderen Mächten auf seine Handhabung dringen." In
Satz 3 und 4 werden dann Maßregeln zur Empfehlung dieses Satzes in allen
Kreisen, in fremden Staaten:c. befürwortet.

Mit dieser Kundgebung, welche in den verschiedensten Gegenden Europas
und auch an Handelsplätzen anderer Welttheile entschiedene Zustimmung fand,
und welche von Seiten verschiedener Regierungen rückhaltloser Anerkennung
gewürdigt ward, begann eine sehr wirksame Bewegung zu Gunsten der all¬
gemeinen Annahme einer milderen und zeitgemäßeren Praxis des Seekriegs¬
rechtes.

Mit der Forderung völliger Unverletzlichkeit des Privateigenthums und
der Personen der Nichtcombattanten zur See war allerdings ein höheres Ziel
gesteckt, als welches drei Jahre früher durch die bekannte Pariser See-
rechts-Declaration to. 16. April 18S6) practisch angestrebt worden war.
Aber man wird nicht irren in der Annahme, daß, wenn die Agitation im
Jahre S9 Minderes gefordert, und wenn sie seitdem ihre weitgehende Forde¬
rung minder eifrig und minder geschickt vertreten hätte, man heutzutage noch
von keiner Seite sonderlich geneigt sein würde, die Pariser Declaration für
unzureichend zu erklären. Und das ist andererseits nicht zu leugnen, daß doch
schon die Sätze der Pariser Declaration, wenn sie allgemein gültiges Völker¬
recht geworden wären, selbst bei aller ihrer Unklarheit und Zweideutigkeit als
eine immerhin bedeutende Reform des gültigen Seekriegsrechtes betrachtet
werden müßten. Uebrigens hat man sie, wie weiter unten gezeigt werden
soll, verschiedentlich lo Europa als rechtsgültige Norm, als inoclus vivencli
im Seekriege betrachtet, und so gut als thunlich beobachtet.

Das äußere Schicksal der Pariser Seerechts-Declaration ist bekannt. Zu¬
nächst stimmten ihr nur die Paciszenten des Pariser Friedensvertrages bei.


esse zu gewinnen angefangen; das ältere Interesse des britischen Volkes für
diese Dinge trat aus erklärlichen Gründen stets lieber für die Conservirung,
als für die Reform des alten barbarischen Seerechts in die Schranken. Die
Ehre, zuerst entschieden und erfolgreich für solche Reformen eingetreten zu
sein, darf die gebildete öffentliche Meinung Deutschlands beanspruchen.

Am 2. Dezember 1869 fand zu Bremen eine von beinahe 300 Mitglie¬
dern der dortigen Börse besuchte Versammlung zum Schutze aller Privat-
Jnteressen auf der See in Kriegszeiten statt, welche nach lebhafter Verhand¬
lung vier Resolutionen einstimmig annahm. Bon diesen Resolutionen lauten
die ersten beiden: „1. Die Unverletzlichkeit der Person und des Eigenthums
in Kriegszeiten zur See, unter Ausdehnung auf die Angehörigen kriegführen¬
der Staaten, soweit die Zwecke des Krieges sie nicht nothwendig beschränken,
ist eine unabweisliche Forderung des Rechtsbewußtseins unserer Zeit. 2. Der
Senat der Freistadt Bremen soll diesen Grundsatz möglichst vertreten und bei
den deutschen und anderen Mächten auf seine Handhabung dringen." In
Satz 3 und 4 werden dann Maßregeln zur Empfehlung dieses Satzes in allen
Kreisen, in fremden Staaten:c. befürwortet.

Mit dieser Kundgebung, welche in den verschiedensten Gegenden Europas
und auch an Handelsplätzen anderer Welttheile entschiedene Zustimmung fand,
und welche von Seiten verschiedener Regierungen rückhaltloser Anerkennung
gewürdigt ward, begann eine sehr wirksame Bewegung zu Gunsten der all¬
gemeinen Annahme einer milderen und zeitgemäßeren Praxis des Seekriegs¬
rechtes.

Mit der Forderung völliger Unverletzlichkeit des Privateigenthums und
der Personen der Nichtcombattanten zur See war allerdings ein höheres Ziel
gesteckt, als welches drei Jahre früher durch die bekannte Pariser See-
rechts-Declaration to. 16. April 18S6) practisch angestrebt worden war.
Aber man wird nicht irren in der Annahme, daß, wenn die Agitation im
Jahre S9 Minderes gefordert, und wenn sie seitdem ihre weitgehende Forde¬
rung minder eifrig und minder geschickt vertreten hätte, man heutzutage noch
von keiner Seite sonderlich geneigt sein würde, die Pariser Declaration für
unzureichend zu erklären. Und das ist andererseits nicht zu leugnen, daß doch
schon die Sätze der Pariser Declaration, wenn sie allgemein gültiges Völker¬
recht geworden wären, selbst bei aller ihrer Unklarheit und Zweideutigkeit als
eine immerhin bedeutende Reform des gültigen Seekriegsrechtes betrachtet
werden müßten. Uebrigens hat man sie, wie weiter unten gezeigt werden
soll, verschiedentlich lo Europa als rechtsgültige Norm, als inoclus vivencli
im Seekriege betrachtet, und so gut als thunlich beobachtet.

Das äußere Schicksal der Pariser Seerechts-Declaration ist bekannt. Zu¬
nächst stimmten ihr nur die Paciszenten des Pariser Friedensvertrages bei.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/14>, abgerufen am 29.12.2024.