Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

deren, falls sie überhaupt seemächtig sind, kann sie vor solchen Unbilden nicht
schützen. Wenn diese Macht zur Betheiligung am Kriege verleitet, so wird
doch selbst in diesem Falle den beschädigten Privaten keineswegs immer ge¬
holfen; viel häufiger würde die Kriegserklärung ihre Lage nur noch ver¬
schlimmern.

Das Seekriegsrecht aus dem Stadium, in welchem es noch
die über den Kriegszweck weit hinausgehende Gewaltthätig¬
keit sanctionirt, in einen Zustand überzuführen, wo es den
Kriegführenden nur zu thun gestattet, was derKrieg zwischen
souveränen Staatsgewalten, was die Bekämpfung der einen
durch die andere organisirte Macht erheischt, sobald einmal
die ultimg, ratio des Krieges zu Hilfe genommen werden muß
-- das ist die Tendenz der modernen Reformbestrebungen auf
diesem Gebiete. Es ist eine Tendenz, die nicht nur in der Form von
wohlbegründeten Wünschen oder in der von internationalen Vertrags - Ent¬
würfen zu Tage getreten ist, sondern eine Tendenz, von welcher bereits ver¬
schiedene Mächte bei ihrem thatsächlichen Verhalten im Kriegsfalle sich haben
leiten lassen; es ist eine Tendenz, welche vereinzelt bereits mehrfach seit dem
vorigen Jahrhundert praktische Geltung gewonnen hat. Man denke nur an
den berühmten Staatsvertrag zwischen Preußen und der jungen transatlanti¬
schen Republik vom Jahre 1785, welcher die Unverletzlichkeit des Privateigen¬
thums im Seekriege als eine Maxime hinstellt, welche zwischen den Contra¬
henten unverbrüchlich gelten solle! Denn "alle Handelsschiffe" -- heißt es
da (Art. 23) -- "welche zum Verlaufes der Producte verschiedener Oerter an
gewandt werden und folglich bestimmt sind, die Bedürfnisse, die Bequemlich¬
keiten und Annehmlichkeiten des Lebens zu erleichtern und zu befriedigen,
sollen frei und ohne Bekümmerung fahren dürfen, und beide contrahirende
Mächte verpflichten sich, keine Commission an zum Kreuzen ausgerüstete Schiffe
zu geben, welche dieselben berechtigt, solcher Art Kauffahrteischiffe zu nehmen
oder zu zerstören."

Allein Aussichten, allgemein verstanden und gewürdigt zu werden, hat
diese reformatorische Tendenz doch erst seit Kurzem erlangt. Es kann gar
keinem Zweifel unterliegen, daß große Reformen in der Regelung der Formen
des internationalen Verkehrs ebenso wie solche in der inneren Politik der
Staaten, erst von dem Augenblick an Aussicht haben, sich zu verwirklichen, wo
sie von der Mehrzahl der Gebildeten als Bedürfniß empfunden und durch die
Organe der öffentlichen Meinung entschieden und unzweideutig gefordert
werden.

Aber für die Borgänge zur See hat die große Masse der binnenländischen
Bevölkerung des europäischen Continentes erst ganz neuerdings einiges Inder-


deren, falls sie überhaupt seemächtig sind, kann sie vor solchen Unbilden nicht
schützen. Wenn diese Macht zur Betheiligung am Kriege verleitet, so wird
doch selbst in diesem Falle den beschädigten Privaten keineswegs immer ge¬
holfen; viel häufiger würde die Kriegserklärung ihre Lage nur noch ver¬
schlimmern.

Das Seekriegsrecht aus dem Stadium, in welchem es noch
die über den Kriegszweck weit hinausgehende Gewaltthätig¬
keit sanctionirt, in einen Zustand überzuführen, wo es den
Kriegführenden nur zu thun gestattet, was derKrieg zwischen
souveränen Staatsgewalten, was die Bekämpfung der einen
durch die andere organisirte Macht erheischt, sobald einmal
die ultimg, ratio des Krieges zu Hilfe genommen werden muß
— das ist die Tendenz der modernen Reformbestrebungen auf
diesem Gebiete. Es ist eine Tendenz, die nicht nur in der Form von
wohlbegründeten Wünschen oder in der von internationalen Vertrags - Ent¬
würfen zu Tage getreten ist, sondern eine Tendenz, von welcher bereits ver¬
schiedene Mächte bei ihrem thatsächlichen Verhalten im Kriegsfalle sich haben
leiten lassen; es ist eine Tendenz, welche vereinzelt bereits mehrfach seit dem
vorigen Jahrhundert praktische Geltung gewonnen hat. Man denke nur an
den berühmten Staatsvertrag zwischen Preußen und der jungen transatlanti¬
schen Republik vom Jahre 1785, welcher die Unverletzlichkeit des Privateigen¬
thums im Seekriege als eine Maxime hinstellt, welche zwischen den Contra¬
henten unverbrüchlich gelten solle! Denn „alle Handelsschiffe" — heißt es
da (Art. 23) — „welche zum Verlaufes der Producte verschiedener Oerter an
gewandt werden und folglich bestimmt sind, die Bedürfnisse, die Bequemlich¬
keiten und Annehmlichkeiten des Lebens zu erleichtern und zu befriedigen,
sollen frei und ohne Bekümmerung fahren dürfen, und beide contrahirende
Mächte verpflichten sich, keine Commission an zum Kreuzen ausgerüstete Schiffe
zu geben, welche dieselben berechtigt, solcher Art Kauffahrteischiffe zu nehmen
oder zu zerstören."

Allein Aussichten, allgemein verstanden und gewürdigt zu werden, hat
diese reformatorische Tendenz doch erst seit Kurzem erlangt. Es kann gar
keinem Zweifel unterliegen, daß große Reformen in der Regelung der Formen
des internationalen Verkehrs ebenso wie solche in der inneren Politik der
Staaten, erst von dem Augenblick an Aussicht haben, sich zu verwirklichen, wo
sie von der Mehrzahl der Gebildeten als Bedürfniß empfunden und durch die
Organe der öffentlichen Meinung entschieden und unzweideutig gefordert
werden.

Aber für die Borgänge zur See hat die große Masse der binnenländischen
Bevölkerung des europäischen Continentes erst ganz neuerdings einiges Inder-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0013" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125795"/>
          <p xml:id="ID_19" prev="#ID_18"> deren, falls sie überhaupt seemächtig sind, kann sie vor solchen Unbilden nicht<lb/>
schützen. Wenn diese Macht zur Betheiligung am Kriege verleitet, so wird<lb/>
doch selbst in diesem Falle den beschädigten Privaten keineswegs immer ge¬<lb/>
holfen; viel häufiger würde die Kriegserklärung ihre Lage nur noch ver¬<lb/>
schlimmern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_20"> Das Seekriegsrecht aus dem Stadium, in welchem es noch<lb/>
die über den Kriegszweck weit hinausgehende Gewaltthätig¬<lb/>
keit sanctionirt, in einen Zustand überzuführen, wo es den<lb/>
Kriegführenden nur zu thun gestattet, was derKrieg zwischen<lb/>
souveränen Staatsgewalten, was die Bekämpfung der einen<lb/>
durch die andere organisirte Macht erheischt, sobald einmal<lb/>
die ultimg, ratio des Krieges zu Hilfe genommen werden muß<lb/>
&#x2014; das ist die Tendenz der modernen Reformbestrebungen auf<lb/>
diesem Gebiete. Es ist eine Tendenz, die nicht nur in der Form von<lb/>
wohlbegründeten Wünschen oder in der von internationalen Vertrags - Ent¬<lb/>
würfen zu Tage getreten ist, sondern eine Tendenz, von welcher bereits ver¬<lb/>
schiedene Mächte bei ihrem thatsächlichen Verhalten im Kriegsfalle sich haben<lb/>
leiten lassen; es ist eine Tendenz, welche vereinzelt bereits mehrfach seit dem<lb/>
vorigen Jahrhundert praktische Geltung gewonnen hat. Man denke nur an<lb/>
den berühmten Staatsvertrag zwischen Preußen und der jungen transatlanti¬<lb/>
schen Republik vom Jahre 1785, welcher die Unverletzlichkeit des Privateigen¬<lb/>
thums im Seekriege als eine Maxime hinstellt, welche zwischen den Contra¬<lb/>
henten unverbrüchlich gelten solle! Denn &#x201E;alle Handelsschiffe" &#x2014; heißt es<lb/>
da (Art. 23) &#x2014; &#x201E;welche zum Verlaufes der Producte verschiedener Oerter an<lb/>
gewandt werden und folglich bestimmt sind, die Bedürfnisse, die Bequemlich¬<lb/>
keiten und Annehmlichkeiten des Lebens zu erleichtern und zu befriedigen,<lb/>
sollen frei und ohne Bekümmerung fahren dürfen, und beide contrahirende<lb/>
Mächte verpflichten sich, keine Commission an zum Kreuzen ausgerüstete Schiffe<lb/>
zu geben, welche dieselben berechtigt, solcher Art Kauffahrteischiffe zu nehmen<lb/>
oder zu zerstören."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_21"> Allein Aussichten, allgemein verstanden und gewürdigt zu werden, hat<lb/>
diese reformatorische Tendenz doch erst seit Kurzem erlangt. Es kann gar<lb/>
keinem Zweifel unterliegen, daß große Reformen in der Regelung der Formen<lb/>
des internationalen Verkehrs ebenso wie solche in der inneren Politik der<lb/>
Staaten, erst von dem Augenblick an Aussicht haben, sich zu verwirklichen, wo<lb/>
sie von der Mehrzahl der Gebildeten als Bedürfniß empfunden und durch die<lb/>
Organe der öffentlichen Meinung entschieden und unzweideutig gefordert<lb/>
werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_22" next="#ID_23"> Aber für die Borgänge zur See hat die große Masse der binnenländischen<lb/>
Bevölkerung des europäischen Continentes erst ganz neuerdings einiges Inder-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0013] deren, falls sie überhaupt seemächtig sind, kann sie vor solchen Unbilden nicht schützen. Wenn diese Macht zur Betheiligung am Kriege verleitet, so wird doch selbst in diesem Falle den beschädigten Privaten keineswegs immer ge¬ holfen; viel häufiger würde die Kriegserklärung ihre Lage nur noch ver¬ schlimmern. Das Seekriegsrecht aus dem Stadium, in welchem es noch die über den Kriegszweck weit hinausgehende Gewaltthätig¬ keit sanctionirt, in einen Zustand überzuführen, wo es den Kriegführenden nur zu thun gestattet, was derKrieg zwischen souveränen Staatsgewalten, was die Bekämpfung der einen durch die andere organisirte Macht erheischt, sobald einmal die ultimg, ratio des Krieges zu Hilfe genommen werden muß — das ist die Tendenz der modernen Reformbestrebungen auf diesem Gebiete. Es ist eine Tendenz, die nicht nur in der Form von wohlbegründeten Wünschen oder in der von internationalen Vertrags - Ent¬ würfen zu Tage getreten ist, sondern eine Tendenz, von welcher bereits ver¬ schiedene Mächte bei ihrem thatsächlichen Verhalten im Kriegsfalle sich haben leiten lassen; es ist eine Tendenz, welche vereinzelt bereits mehrfach seit dem vorigen Jahrhundert praktische Geltung gewonnen hat. Man denke nur an den berühmten Staatsvertrag zwischen Preußen und der jungen transatlanti¬ schen Republik vom Jahre 1785, welcher die Unverletzlichkeit des Privateigen¬ thums im Seekriege als eine Maxime hinstellt, welche zwischen den Contra¬ henten unverbrüchlich gelten solle! Denn „alle Handelsschiffe" — heißt es da (Art. 23) — „welche zum Verlaufes der Producte verschiedener Oerter an gewandt werden und folglich bestimmt sind, die Bedürfnisse, die Bequemlich¬ keiten und Annehmlichkeiten des Lebens zu erleichtern und zu befriedigen, sollen frei und ohne Bekümmerung fahren dürfen, und beide contrahirende Mächte verpflichten sich, keine Commission an zum Kreuzen ausgerüstete Schiffe zu geben, welche dieselben berechtigt, solcher Art Kauffahrteischiffe zu nehmen oder zu zerstören." Allein Aussichten, allgemein verstanden und gewürdigt zu werden, hat diese reformatorische Tendenz doch erst seit Kurzem erlangt. Es kann gar keinem Zweifel unterliegen, daß große Reformen in der Regelung der Formen des internationalen Verkehrs ebenso wie solche in der inneren Politik der Staaten, erst von dem Augenblick an Aussicht haben, sich zu verwirklichen, wo sie von der Mehrzahl der Gebildeten als Bedürfniß empfunden und durch die Organe der öffentlichen Meinung entschieden und unzweideutig gefordert werden. Aber für die Borgänge zur See hat die große Masse der binnenländischen Bevölkerung des europäischen Continentes erst ganz neuerdings einiges Inder-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/13
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/13>, abgerufen am 29.12.2024.