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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Während unserer ganzen Periode behauptet die Stadt eine durch die
Thorsperre *) bedingte eigenthümliche Abgeschlossenheit. Jede Jahreszeit hatte
bestimmte Stunden, in denen die Thore sich aufthaten. Eine irrige Auf¬
fassung der Einrichtung erblickt darin Willkühr und ein vom Hofe in Anspruch
genommenes Recht, den Verkehr zu controliren, während der alleinige Grund
der Sperrung im Steuer- und Aceiswesen zu suchen ist. Freilich schädigte
immerhin diese Einrichtung das Pulsiren des Lebens und nur höhere Stände **)
wußten sich mit der Zeit von dieser lästigen Einrichtung, die gleichzeitig eine
materielle Last war, zu befreien. -- Auch die übrigen Verkehrsanstalten
waren mangelhaft, in der Regel ließ man sich durch die schon 1708 einge¬
richteten Portchaisen befördern, die aber erst spät***) und nur bei ganz feier¬
lichen Gelegenheiten über 10 Uhr Abends dienstbereit waren. Dies dem
Staate gehörende Institut collidirte bisweilen mit dem Dienst der Nacht¬
wächter, welche zu dessen Bedienung verwandt wurden, und es kam wohl
vor. daß der Beförderte eine kleine Station machen mußte, bis der Wächter
die Stunde abgerufen und die Beförderung wieder aufgenommen wurde. Auch
die Post griff nicht bedeutend in den Verkehr ein; wöchentlich kamen 10 Po¬
sten an, eben so viel gingen ab und die Expedition war nur an 4 Tagen,
entweder Vor- oder Nachmittags, geöffnet; der Personenverkehr zwischen Wei¬
mar und Erfurt war so schwach, daß man diese Post verpachten wollte.
Ueberhaupt lag ja Weimar nicht an der großen Verkehrsstraße, die über
Buttelstädt ging und von wo aus auch lange der dortige Briefträger die
Reichspost bestellte. 1-) Lohnfuhrwerke waren der Post tributpflichtig, l-f) mit
Ausnahme der Fälle, in denen sie eine Spazierfahrt von höchstens 2 Stun¬
den unternahmen. Auch die Verkehrsstraßen waren mangelhaft, ursprünglich
hielten sie die anliegenden Grundbesitzer in Besserung, später verwandelte man
die Zuchthäusstrafen in Strafarbeitszeit für Wegebau 1"!"!-), bis dann, besonders
nach dem Vorgange Preußens, die schon früh angelegten Kunststraßen weiter
sich ausbreiteten und die Kriegs- und Wegebaucommission, obwohl auch viel¬
fach angefeindet,*) namentlich unter Carl August, eine so erfreuliche Thätig-









") Ordnung von 1750, dann mehrfach wiederholt. Geöffnet je nach der Jahreszeit von
^. v Ubr, Abends geschlossen zwischen "i und >/,10 Uhr. Fremde bezahlten Sperrgeld
V Pfg. bis 1>/z Gr., je nachdem sie zu Fuß oder mit Pferde" ankamen. Verschone war nur
der Handelsmann, um dem Commercium nicht zu schaden.
") Deren Domestiken mußten Freizcttel haben (seit 17V4,) Seit 1788 wurden nur die
wirklich fürstlichen Räthe von dem Thorsperrgelde befreit.
Seit 1791.
5) Noch l>is^7W,
Die Abgabe bestand in einem Groschen.
-M) Mandat von 1778.
') Weil Goethe nach dem Urtheil der Bevölkerung nicht viel verstanden haben und enorme
Summen gebraucht habe" soll.
Grenzboten I. 1871. ^"

Während unserer ganzen Periode behauptet die Stadt eine durch die
Thorsperre *) bedingte eigenthümliche Abgeschlossenheit. Jede Jahreszeit hatte
bestimmte Stunden, in denen die Thore sich aufthaten. Eine irrige Auf¬
fassung der Einrichtung erblickt darin Willkühr und ein vom Hofe in Anspruch
genommenes Recht, den Verkehr zu controliren, während der alleinige Grund
der Sperrung im Steuer- und Aceiswesen zu suchen ist. Freilich schädigte
immerhin diese Einrichtung das Pulsiren des Lebens und nur höhere Stände **)
wußten sich mit der Zeit von dieser lästigen Einrichtung, die gleichzeitig eine
materielle Last war, zu befreien. — Auch die übrigen Verkehrsanstalten
waren mangelhaft, in der Regel ließ man sich durch die schon 1708 einge¬
richteten Portchaisen befördern, die aber erst spät***) und nur bei ganz feier¬
lichen Gelegenheiten über 10 Uhr Abends dienstbereit waren. Dies dem
Staate gehörende Institut collidirte bisweilen mit dem Dienst der Nacht¬
wächter, welche zu dessen Bedienung verwandt wurden, und es kam wohl
vor. daß der Beförderte eine kleine Station machen mußte, bis der Wächter
die Stunde abgerufen und die Beförderung wieder aufgenommen wurde. Auch
die Post griff nicht bedeutend in den Verkehr ein; wöchentlich kamen 10 Po¬
sten an, eben so viel gingen ab und die Expedition war nur an 4 Tagen,
entweder Vor- oder Nachmittags, geöffnet; der Personenverkehr zwischen Wei¬
mar und Erfurt war so schwach, daß man diese Post verpachten wollte.
Ueberhaupt lag ja Weimar nicht an der großen Verkehrsstraße, die über
Buttelstädt ging und von wo aus auch lange der dortige Briefträger die
Reichspost bestellte. 1-) Lohnfuhrwerke waren der Post tributpflichtig, l-f) mit
Ausnahme der Fälle, in denen sie eine Spazierfahrt von höchstens 2 Stun¬
den unternahmen. Auch die Verkehrsstraßen waren mangelhaft, ursprünglich
hielten sie die anliegenden Grundbesitzer in Besserung, später verwandelte man
die Zuchthäusstrafen in Strafarbeitszeit für Wegebau 1"!"!-), bis dann, besonders
nach dem Vorgange Preußens, die schon früh angelegten Kunststraßen weiter
sich ausbreiteten und die Kriegs- und Wegebaucommission, obwohl auch viel¬
fach angefeindet,*) namentlich unter Carl August, eine so erfreuliche Thätig-









") Ordnung von 1750, dann mehrfach wiederholt. Geöffnet je nach der Jahreszeit von
^. v Ubr, Abends geschlossen zwischen «i und >/,10 Uhr. Fremde bezahlten Sperrgeld
V Pfg. bis 1>/z Gr., je nachdem sie zu Fuß oder mit Pferde» ankamen. Verschone war nur
der Handelsmann, um dem Commercium nicht zu schaden.
") Deren Domestiken mußten Freizcttel haben (seit 17V4,) Seit 1788 wurden nur die
wirklich fürstlichen Räthe von dem Thorsperrgelde befreit.
Seit 1791.
5) Noch l>is^7W,
Die Abgabe bestand in einem Groschen.
-M) Mandat von 1778.
') Weil Goethe nach dem Urtheil der Bevölkerung nicht viel verstanden haben und enorme
Summen gebraucht habe» soll.
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[0137] Während unserer ganzen Periode behauptet die Stadt eine durch die Thorsperre *) bedingte eigenthümliche Abgeschlossenheit. Jede Jahreszeit hatte bestimmte Stunden, in denen die Thore sich aufthaten. Eine irrige Auf¬ fassung der Einrichtung erblickt darin Willkühr und ein vom Hofe in Anspruch genommenes Recht, den Verkehr zu controliren, während der alleinige Grund der Sperrung im Steuer- und Aceiswesen zu suchen ist. Freilich schädigte immerhin diese Einrichtung das Pulsiren des Lebens und nur höhere Stände **) wußten sich mit der Zeit von dieser lästigen Einrichtung, die gleichzeitig eine materielle Last war, zu befreien. — Auch die übrigen Verkehrsanstalten waren mangelhaft, in der Regel ließ man sich durch die schon 1708 einge¬ richteten Portchaisen befördern, die aber erst spät***) und nur bei ganz feier¬ lichen Gelegenheiten über 10 Uhr Abends dienstbereit waren. Dies dem Staate gehörende Institut collidirte bisweilen mit dem Dienst der Nacht¬ wächter, welche zu dessen Bedienung verwandt wurden, und es kam wohl vor. daß der Beförderte eine kleine Station machen mußte, bis der Wächter die Stunde abgerufen und die Beförderung wieder aufgenommen wurde. Auch die Post griff nicht bedeutend in den Verkehr ein; wöchentlich kamen 10 Po¬ sten an, eben so viel gingen ab und die Expedition war nur an 4 Tagen, entweder Vor- oder Nachmittags, geöffnet; der Personenverkehr zwischen Wei¬ mar und Erfurt war so schwach, daß man diese Post verpachten wollte. Ueberhaupt lag ja Weimar nicht an der großen Verkehrsstraße, die über Buttelstädt ging und von wo aus auch lange der dortige Briefträger die Reichspost bestellte. 1-) Lohnfuhrwerke waren der Post tributpflichtig, l-f) mit Ausnahme der Fälle, in denen sie eine Spazierfahrt von höchstens 2 Stun¬ den unternahmen. Auch die Verkehrsstraßen waren mangelhaft, ursprünglich hielten sie die anliegenden Grundbesitzer in Besserung, später verwandelte man die Zuchthäusstrafen in Strafarbeitszeit für Wegebau 1"!"!-), bis dann, besonders nach dem Vorgange Preußens, die schon früh angelegten Kunststraßen weiter sich ausbreiteten und die Kriegs- und Wegebaucommission, obwohl auch viel¬ fach angefeindet,*) namentlich unter Carl August, eine so erfreuliche Thätig- ") Ordnung von 1750, dann mehrfach wiederholt. Geöffnet je nach der Jahreszeit von ^. v Ubr, Abends geschlossen zwischen «i und >/,10 Uhr. Fremde bezahlten Sperrgeld V Pfg. bis 1>/z Gr., je nachdem sie zu Fuß oder mit Pferde» ankamen. Verschone war nur der Handelsmann, um dem Commercium nicht zu schaden. ") Deren Domestiken mußten Freizcttel haben (seit 17V4,) Seit 1788 wurden nur die wirklich fürstlichen Räthe von dem Thorsperrgelde befreit. Seit 1791. 5) Noch l>is^7W, Die Abgabe bestand in einem Groschen. -M) Mandat von 1778. ') Weil Goethe nach dem Urtheil der Bevölkerung nicht viel verstanden haben und enorme Summen gebraucht habe» soll. Grenzboten I. 1871. ^»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/137>, abgerufen am 29.12.2024.