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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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die Ehre, sich dieser bedienen zu können, verursachte wieder Qual. Die Damen
preßten und wickelten die Füße, und setzten die Qualen ihres frühern Tanz¬
meisters fort, der sie zwischen Bretterchen zu klemmen pflegte, um den Gang
nach Außen desto sicherer zu erzielen.

Die geistreichen Gesellschaften der Herzogin Amalia, die in allen Rich¬
tungen der Kunst und Wissenschaft thätig war, sind noch, was die erste Zeit
derselben anlangt, durch die Nebenbeschäftigung bemerkenswerth. Man strickte
Filet, drieselte Goldfäden, während man zulässigen Kindern kleine Stücken
Seidenzeug zerzupfen ließ. Da die Herzogin Amalia sehr darauf bedacht war,
daß Niemand zu blaß in dem Cirkel erschien, so half sie wohl selbst hie und
da mit dem Rouge durch einen sanften Backenstreich nach. Die Umgangs¬
sprache in den Cirkeln war natürlich französisch, aber die Mischung des
Deutsch und Französisch war durchaus nicht auffällig. Eine junge Dame, die
den Zorn der Mutter schilderte, drückte sich ungefähr so aus: LKöie mana,
hat uns ZlÄväö gronäemMt, daß ich nicht die mindeste temturs einer noblen
Konversation habe.

Fragen wir aber, zu Ernsterem übergehend, wie die Herzogin die Aufgabe
des Lebens ansah, so möchte ich antworten, nach der guten, alten Tradition
der Ernestiner, nicht blos angehaucht von dem Humanismus des 18. Jahr¬
hunderts. Wer ihre Selbstbiographie kennt, weiß, daß ihr eine seltene Kennt¬
niß ihres Ich inne wohnte, und wenn wir die von ihr überwachte Erziehung
ihres Sohnes Carl August überschauen, wie sie auf Grund untrügerischer
Zeugnisse geschildert ist/) so wird man Schritt für Schritt darauf hinge¬
wiesen, daß dieser sich beim Beginn seiner Regierung und namentlich bei An¬
stellung Goethe's im Bewußtsein seiner Regentenpflicht äußern mußre, wie
er sich äußerte. Die Welt,"*) sagte er, urtheilt nach Vorurtheilen; ich aber
sorge und arbeite, wie jeder Andere, der seine Pflicht thun will, nicht um des
Ruhmes, nicht um des Beifalls der Welt willen, sondern um mich vor Gott
und meinem Gewissen rechtfertigen zu können. Eine ernste und würdige
Sprache eines 19jährigen Regenten, die im sichern Bewußtsein der übernom¬
menen Pflichten aus vollem Herzen kam!

Von den herrschenden Kreisen zunächst gingen unsere' Culturbe¬
strebungen aus. Lächeln wir nicht über die Wahl dieser und jener Mittel;
die äußern gesellschaftlichen Zustände, wie wir sie vorgeführt, der Stand der
Wissenschaften und viele andere Factoren, die man im practischen Leben nicht
wie Ballast über Bord werfen kann, sprechen ein ernstes Wort in diesen
Bestrebungen mit.




') Burkhardt, Die Erziehung Carl August's, in Western-druf Monatsheften ,18l!S.
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) Düntzer, Goethe und Carl August. I. S.

die Ehre, sich dieser bedienen zu können, verursachte wieder Qual. Die Damen
preßten und wickelten die Füße, und setzten die Qualen ihres frühern Tanz¬
meisters fort, der sie zwischen Bretterchen zu klemmen pflegte, um den Gang
nach Außen desto sicherer zu erzielen.

Die geistreichen Gesellschaften der Herzogin Amalia, die in allen Rich¬
tungen der Kunst und Wissenschaft thätig war, sind noch, was die erste Zeit
derselben anlangt, durch die Nebenbeschäftigung bemerkenswerth. Man strickte
Filet, drieselte Goldfäden, während man zulässigen Kindern kleine Stücken
Seidenzeug zerzupfen ließ. Da die Herzogin Amalia sehr darauf bedacht war,
daß Niemand zu blaß in dem Cirkel erschien, so half sie wohl selbst hie und
da mit dem Rouge durch einen sanften Backenstreich nach. Die Umgangs¬
sprache in den Cirkeln war natürlich französisch, aber die Mischung des
Deutsch und Französisch war durchaus nicht auffällig. Eine junge Dame, die
den Zorn der Mutter schilderte, drückte sich ungefähr so aus: LKöie mana,
hat uns ZlÄväö gronäemMt, daß ich nicht die mindeste temturs einer noblen
Konversation habe.

Fragen wir aber, zu Ernsterem übergehend, wie die Herzogin die Aufgabe
des Lebens ansah, so möchte ich antworten, nach der guten, alten Tradition
der Ernestiner, nicht blos angehaucht von dem Humanismus des 18. Jahr¬
hunderts. Wer ihre Selbstbiographie kennt, weiß, daß ihr eine seltene Kennt¬
niß ihres Ich inne wohnte, und wenn wir die von ihr überwachte Erziehung
ihres Sohnes Carl August überschauen, wie sie auf Grund untrügerischer
Zeugnisse geschildert ist/) so wird man Schritt für Schritt darauf hinge¬
wiesen, daß dieser sich beim Beginn seiner Regierung und namentlich bei An¬
stellung Goethe's im Bewußtsein seiner Regentenpflicht äußern mußre, wie
er sich äußerte. Die Welt,"*) sagte er, urtheilt nach Vorurtheilen; ich aber
sorge und arbeite, wie jeder Andere, der seine Pflicht thun will, nicht um des
Ruhmes, nicht um des Beifalls der Welt willen, sondern um mich vor Gott
und meinem Gewissen rechtfertigen zu können. Eine ernste und würdige
Sprache eines 19jährigen Regenten, die im sichern Bewußtsein der übernom¬
menen Pflichten aus vollem Herzen kam!

Von den herrschenden Kreisen zunächst gingen unsere' Culturbe¬
strebungen aus. Lächeln wir nicht über die Wahl dieser und jener Mittel;
die äußern gesellschaftlichen Zustände, wie wir sie vorgeführt, der Stand der
Wissenschaften und viele andere Factoren, die man im practischen Leben nicht
wie Ballast über Bord werfen kann, sprechen ein ernstes Wort in diesen
Bestrebungen mit.




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[0136] die Ehre, sich dieser bedienen zu können, verursachte wieder Qual. Die Damen preßten und wickelten die Füße, und setzten die Qualen ihres frühern Tanz¬ meisters fort, der sie zwischen Bretterchen zu klemmen pflegte, um den Gang nach Außen desto sicherer zu erzielen. Die geistreichen Gesellschaften der Herzogin Amalia, die in allen Rich¬ tungen der Kunst und Wissenschaft thätig war, sind noch, was die erste Zeit derselben anlangt, durch die Nebenbeschäftigung bemerkenswerth. Man strickte Filet, drieselte Goldfäden, während man zulässigen Kindern kleine Stücken Seidenzeug zerzupfen ließ. Da die Herzogin Amalia sehr darauf bedacht war, daß Niemand zu blaß in dem Cirkel erschien, so half sie wohl selbst hie und da mit dem Rouge durch einen sanften Backenstreich nach. Die Umgangs¬ sprache in den Cirkeln war natürlich französisch, aber die Mischung des Deutsch und Französisch war durchaus nicht auffällig. Eine junge Dame, die den Zorn der Mutter schilderte, drückte sich ungefähr so aus: LKöie mana, hat uns ZlÄväö gronäemMt, daß ich nicht die mindeste temturs einer noblen Konversation habe. Fragen wir aber, zu Ernsterem übergehend, wie die Herzogin die Aufgabe des Lebens ansah, so möchte ich antworten, nach der guten, alten Tradition der Ernestiner, nicht blos angehaucht von dem Humanismus des 18. Jahr¬ hunderts. Wer ihre Selbstbiographie kennt, weiß, daß ihr eine seltene Kennt¬ niß ihres Ich inne wohnte, und wenn wir die von ihr überwachte Erziehung ihres Sohnes Carl August überschauen, wie sie auf Grund untrügerischer Zeugnisse geschildert ist/) so wird man Schritt für Schritt darauf hinge¬ wiesen, daß dieser sich beim Beginn seiner Regierung und namentlich bei An¬ stellung Goethe's im Bewußtsein seiner Regentenpflicht äußern mußre, wie er sich äußerte. Die Welt,"*) sagte er, urtheilt nach Vorurtheilen; ich aber sorge und arbeite, wie jeder Andere, der seine Pflicht thun will, nicht um des Ruhmes, nicht um des Beifalls der Welt willen, sondern um mich vor Gott und meinem Gewissen rechtfertigen zu können. Eine ernste und würdige Sprache eines 19jährigen Regenten, die im sichern Bewußtsein der übernom¬ menen Pflichten aus vollem Herzen kam! Von den herrschenden Kreisen zunächst gingen unsere' Culturbe¬ strebungen aus. Lächeln wir nicht über die Wahl dieser und jener Mittel; die äußern gesellschaftlichen Zustände, wie wir sie vorgeführt, der Stand der Wissenschaften und viele andere Factoren, die man im practischen Leben nicht wie Ballast über Bord werfen kann, sprechen ein ernstes Wort in diesen Bestrebungen mit. ') Burkhardt, Die Erziehung Carl August's, in Western-druf Monatsheften ,18l!S. " ) Düntzer, Goethe und Carl August. I. S.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/136>, abgerufen am 01.01.2025.