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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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wo bei uns bekanntlich nicht alle Laternen brennen, im Rückschritt begriffen, da wir
nur 192 haben. Allerdings gingen damals vor den Wagen noch Fackelträger ein¬
her, die 1787 zuerst vom Hofe abgeschafft wurden, weil es mit Rücksicht auf die
winklige Bauart Weimar's gefährlich erschien, den weitern Kreisen eine der¬
artige Beleuchtung zuzugestehen. Wir müssen also wohl Schillers Wort
"Dorf" und Herders "wüstes Weimar, das Mittelding zwischen Dorf und
Hofstatt" unangefochten stehen lassen.

Wie im ganzen übrigen Deutschland, so treten uns auch in Weimar
drei sehr scharf geschiedene Gruppen der Gesellschaft entgegen: der Bürger¬
stand, der Beamtenstand, Adel und Hof. Auf durchgehende Bildung
konnten nur Adel und Hof Anspruch erheben.

Die sociale Stellung des Bürgers, von dessen sonstiger Leistungsfähig¬
keit wir hier noch absehen, war von sehr untergeordneter Bedeutung. Schritt
für Schritt war ihm Thun und Lassen gesetzlich normirt, ohne Murren ergab
er sich in die Bevormundung, die ihn bis in das innerste Familienleben ver¬
folgte. Geringe Vorbildung bei dem damals höchst ungünstigen Stande der
Schulen, dazu das jedem Fortschritte abholde Zunftwesen, die Unselbständig¬
keit des Gemeindelebens, förderten die Ergebung in das Schicksal. Und so
finden wir den Bürger in stiller Genügsamkeit, in Stunden der Rast am
warmen Sommerabend vor der Thür sitzend, erst in späterer Zeit unserer
Periode mit der Pfeife, welche bisher außerhalb der Stube streng verboten war. *)
Wirthshausleben, das Sitzen im Reiheschank, ein lustig Vogelschießen wurden
von ihm emsig gepflegt, auch ein Tänzchen nach "gemäßigter Musik"**)
liebte er, zumal dieses ja die Polizei "zur Bewegung des Leibes" für
gut hielt; aber alles, was nach ihrer Ansicht zu unnöthigen Depensiren
führte, wurde nicht erlaubt oder beschränkt. Dahin gehört der Besuch der
Dörfer, ***) der sich aus der Thorsperrordnung als übermäßig ergeben hatte.
Natürlich ein Besprechen der Zeitläufte gab es nicht, das Weimarische Zei¬
tungswesen, obwohl durch keinerlei Preßgesetze beengt, war nicht dazu ange¬
than, ein Interesse zu erwecken. Ein vorzügliches Unterhaltungsmittel war
das eine Billard der Stadt, ein zweites durfte 1"!') nicht aufgestellt werden,
weil es die Bevölkerung nur noch mehr zu völlig unnützen Ausgaben verleite.
In Folge der Beschränkung des gesellschaftlichen Lebens stellte sich das leidige
Hazardspiel ein, das übrigens in allen Schichten der Bevölkerung blühte,







") Gesetz v. 8. Sept. 1758 verbot das R-neben bei Strafe eines neuen Schockes.
") Gesetz vom S. Oct. 1759.
Mandat vom 11. März 17K1. Die Gewohnheit des "Dorflaufens" wurde mit einem
halben Gulden bestraft.
1) Mandat v. 1757. 7. u. 12. Sept. gegen das unnöthige und unschickliche Raisonniren
und Kritisiren der Zeitläufte, welches nach Befinden mit Zuchthausstrafe belegt wurde,
et) Im Jahre 1750.

wo bei uns bekanntlich nicht alle Laternen brennen, im Rückschritt begriffen, da wir
nur 192 haben. Allerdings gingen damals vor den Wagen noch Fackelträger ein¬
her, die 1787 zuerst vom Hofe abgeschafft wurden, weil es mit Rücksicht auf die
winklige Bauart Weimar's gefährlich erschien, den weitern Kreisen eine der¬
artige Beleuchtung zuzugestehen. Wir müssen also wohl Schillers Wort
„Dorf" und Herders „wüstes Weimar, das Mittelding zwischen Dorf und
Hofstatt" unangefochten stehen lassen.

Wie im ganzen übrigen Deutschland, so treten uns auch in Weimar
drei sehr scharf geschiedene Gruppen der Gesellschaft entgegen: der Bürger¬
stand, der Beamtenstand, Adel und Hof. Auf durchgehende Bildung
konnten nur Adel und Hof Anspruch erheben.

Die sociale Stellung des Bürgers, von dessen sonstiger Leistungsfähig¬
keit wir hier noch absehen, war von sehr untergeordneter Bedeutung. Schritt
für Schritt war ihm Thun und Lassen gesetzlich normirt, ohne Murren ergab
er sich in die Bevormundung, die ihn bis in das innerste Familienleben ver¬
folgte. Geringe Vorbildung bei dem damals höchst ungünstigen Stande der
Schulen, dazu das jedem Fortschritte abholde Zunftwesen, die Unselbständig¬
keit des Gemeindelebens, förderten die Ergebung in das Schicksal. Und so
finden wir den Bürger in stiller Genügsamkeit, in Stunden der Rast am
warmen Sommerabend vor der Thür sitzend, erst in späterer Zeit unserer
Periode mit der Pfeife, welche bisher außerhalb der Stube streng verboten war. *)
Wirthshausleben, das Sitzen im Reiheschank, ein lustig Vogelschießen wurden
von ihm emsig gepflegt, auch ein Tänzchen nach „gemäßigter Musik"**)
liebte er, zumal dieses ja die Polizei „zur Bewegung des Leibes" für
gut hielt; aber alles, was nach ihrer Ansicht zu unnöthigen Depensiren
führte, wurde nicht erlaubt oder beschränkt. Dahin gehört der Besuch der
Dörfer, ***) der sich aus der Thorsperrordnung als übermäßig ergeben hatte.
Natürlich ein Besprechen der Zeitläufte gab es nicht, das Weimarische Zei¬
tungswesen, obwohl durch keinerlei Preßgesetze beengt, war nicht dazu ange¬
than, ein Interesse zu erwecken. Ein vorzügliches Unterhaltungsmittel war
das eine Billard der Stadt, ein zweites durfte 1"!') nicht aufgestellt werden,
weil es die Bevölkerung nur noch mehr zu völlig unnützen Ausgaben verleite.
In Folge der Beschränkung des gesellschaftlichen Lebens stellte sich das leidige
Hazardspiel ein, das übrigens in allen Schichten der Bevölkerung blühte,







") Gesetz v. 8. Sept. 1758 verbot das R-neben bei Strafe eines neuen Schockes.
") Gesetz vom S. Oct. 1759.
Mandat vom 11. März 17K1. Die Gewohnheit des „Dorflaufens" wurde mit einem
halben Gulden bestraft.
1) Mandat v. 1757. 7. u. 12. Sept. gegen das unnöthige und unschickliche Raisonniren
und Kritisiren der Zeitläufte, welches nach Befinden mit Zuchthausstrafe belegt wurde,
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[0131] wo bei uns bekanntlich nicht alle Laternen brennen, im Rückschritt begriffen, da wir nur 192 haben. Allerdings gingen damals vor den Wagen noch Fackelträger ein¬ her, die 1787 zuerst vom Hofe abgeschafft wurden, weil es mit Rücksicht auf die winklige Bauart Weimar's gefährlich erschien, den weitern Kreisen eine der¬ artige Beleuchtung zuzugestehen. Wir müssen also wohl Schillers Wort „Dorf" und Herders „wüstes Weimar, das Mittelding zwischen Dorf und Hofstatt" unangefochten stehen lassen. Wie im ganzen übrigen Deutschland, so treten uns auch in Weimar drei sehr scharf geschiedene Gruppen der Gesellschaft entgegen: der Bürger¬ stand, der Beamtenstand, Adel und Hof. Auf durchgehende Bildung konnten nur Adel und Hof Anspruch erheben. Die sociale Stellung des Bürgers, von dessen sonstiger Leistungsfähig¬ keit wir hier noch absehen, war von sehr untergeordneter Bedeutung. Schritt für Schritt war ihm Thun und Lassen gesetzlich normirt, ohne Murren ergab er sich in die Bevormundung, die ihn bis in das innerste Familienleben ver¬ folgte. Geringe Vorbildung bei dem damals höchst ungünstigen Stande der Schulen, dazu das jedem Fortschritte abholde Zunftwesen, die Unselbständig¬ keit des Gemeindelebens, förderten die Ergebung in das Schicksal. Und so finden wir den Bürger in stiller Genügsamkeit, in Stunden der Rast am warmen Sommerabend vor der Thür sitzend, erst in späterer Zeit unserer Periode mit der Pfeife, welche bisher außerhalb der Stube streng verboten war. *) Wirthshausleben, das Sitzen im Reiheschank, ein lustig Vogelschießen wurden von ihm emsig gepflegt, auch ein Tänzchen nach „gemäßigter Musik"**) liebte er, zumal dieses ja die Polizei „zur Bewegung des Leibes" für gut hielt; aber alles, was nach ihrer Ansicht zu unnöthigen Depensiren führte, wurde nicht erlaubt oder beschränkt. Dahin gehört der Besuch der Dörfer, ***) der sich aus der Thorsperrordnung als übermäßig ergeben hatte. Natürlich ein Besprechen der Zeitläufte gab es nicht, das Weimarische Zei¬ tungswesen, obwohl durch keinerlei Preßgesetze beengt, war nicht dazu ange¬ than, ein Interesse zu erwecken. Ein vorzügliches Unterhaltungsmittel war das eine Billard der Stadt, ein zweites durfte 1"!') nicht aufgestellt werden, weil es die Bevölkerung nur noch mehr zu völlig unnützen Ausgaben verleite. In Folge der Beschränkung des gesellschaftlichen Lebens stellte sich das leidige Hazardspiel ein, das übrigens in allen Schichten der Bevölkerung blühte, ") Gesetz v. 8. Sept. 1758 verbot das R-neben bei Strafe eines neuen Schockes. ") Gesetz vom S. Oct. 1759. Mandat vom 11. März 17K1. Die Gewohnheit des „Dorflaufens" wurde mit einem halben Gulden bestraft. 1) Mandat v. 1757. 7. u. 12. Sept. gegen das unnöthige und unschickliche Raisonniren und Kritisiren der Zeitläufte, welches nach Befinden mit Zuchthausstrafe belegt wurde, et) Im Jahre 1750.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/131>, abgerufen am 09.01.2025.