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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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ten Culturzustand einräumen können. In der Literatur liegen über Weimar
namentlich aus den achtziger Jahren verschiedene Beschreibungen vor, die
Wahres, Uebertriebenes und Falsches zugleich enthalten. Unter Hinweisung
auf Lewes*) und Diezmann begnüge ich mich mit wenigen Notizen, die zu
unserer Orientirung nöthig sind.

Weimar war das ganze Jahrhundert hindurch von Mauern in Form
eines Rechteckes und vier größeren Thoren begrenzt, innerhalb derer sich die
Bewohner der Vorstädte eingerechnet, etwas über 6000 Einwohner bewegten.
Die Häusernummern waren noch 1792 trügerisch, da sie von den Bewohnern
selbst angemalt und berichtigt wurden. Der Stolz Weimar's, der Park, war
seit 1776 im Entstehen, auch Belvedere und Tiefurt im Werden. Die Allee
nach Belvedere, ein Kind des Jahres 1756, bot noch nicht den erquickenden
Schatten. Die mit Bäumen, Hecken und Bänken besetzte Esplanade war die
Promenade, der Welsche Garten, der Belustigungsort unserer Vorfahren, stand
an Stelle des Kinder-Rondels, und mag im Geschmack von Versailles für
damalige Zeit anziehend gewesen sein. Der Carlsplatz mit Teichen und
Scheuren bot nichts Bemerkenswerthes; über die Frauenthorstraße hinaus
waren die Häuser leicht zu überschauen. An hervorragenden Privatgebäuden
war Mangel; das Schloß lag in Trümmern, nur das Stadt-, damalige
Rathhaus war bemerkenswerth, weil es gleichzeitig ein komisches Wahrzeichen
enthielt: eine Uhr mit einem Türken, dem zwei Böcke zur Seite standen.
Vor dem Ausschlagen der Stunde klingelte der Türke, der dann selbst mit
seinem Stäbe so viel mal an die Glocke schlug, als ihn die Böcke in die
Seite stießen. Dieses Wahrzeichen hieß der Matz und man sagte damals
ganz allgemein, um das Entschwinden einer Stunde zu bezeichnen: "der Matz
hat schon geklingelt."

In den Straßen, welche eng und winklig waren, sah es nach Goethe's
Ankunft unvergleichlich besser aus, als im Beginn unserer Periode, denn
gerade während des siebenjährigen Krieges hatte man sehr viel für die Besse¬
rung des Pflasters gethan, das freilich noch an viel Stellen Vieles zu wün¬
schen übrig ließ. Die Beleuchtung der Straßen war bereits 1732 angeordnet
worden, aber es war schwierig sie im Gange zu erhalten. Die Kämpfe um
ihre Erhaltung zu veranschaulichen würde ein großes Capitel beanspruchen.
So schlecht, wie einige Forscher**) behaupten, stand es aber um sie doch
nicht. Denn 1789 waren die Straßen bereits mit 361 Laternen besetzt*")
und 1801 sprach die Weimarische Polizei mit großer Zuversicht aus,
daß das Laternen-Institut fortdauern müsse. Scheinbar sind wir daher heute,





") Vergl. u. a. Lewes Goethe, Diezmann Goethe und die lustige Zeit.
") Diezmann p. 19: zumal die Beleuchtung noch nicht vorhanden.
Weimar, wöchentliche Anzeigen 1789. Der jährliche Aufwand betrug 512 Thlr.

ten Culturzustand einräumen können. In der Literatur liegen über Weimar
namentlich aus den achtziger Jahren verschiedene Beschreibungen vor, die
Wahres, Uebertriebenes und Falsches zugleich enthalten. Unter Hinweisung
auf Lewes*) und Diezmann begnüge ich mich mit wenigen Notizen, die zu
unserer Orientirung nöthig sind.

Weimar war das ganze Jahrhundert hindurch von Mauern in Form
eines Rechteckes und vier größeren Thoren begrenzt, innerhalb derer sich die
Bewohner der Vorstädte eingerechnet, etwas über 6000 Einwohner bewegten.
Die Häusernummern waren noch 1792 trügerisch, da sie von den Bewohnern
selbst angemalt und berichtigt wurden. Der Stolz Weimar's, der Park, war
seit 1776 im Entstehen, auch Belvedere und Tiefurt im Werden. Die Allee
nach Belvedere, ein Kind des Jahres 1756, bot noch nicht den erquickenden
Schatten. Die mit Bäumen, Hecken und Bänken besetzte Esplanade war die
Promenade, der Welsche Garten, der Belustigungsort unserer Vorfahren, stand
an Stelle des Kinder-Rondels, und mag im Geschmack von Versailles für
damalige Zeit anziehend gewesen sein. Der Carlsplatz mit Teichen und
Scheuren bot nichts Bemerkenswerthes; über die Frauenthorstraße hinaus
waren die Häuser leicht zu überschauen. An hervorragenden Privatgebäuden
war Mangel; das Schloß lag in Trümmern, nur das Stadt-, damalige
Rathhaus war bemerkenswerth, weil es gleichzeitig ein komisches Wahrzeichen
enthielt: eine Uhr mit einem Türken, dem zwei Böcke zur Seite standen.
Vor dem Ausschlagen der Stunde klingelte der Türke, der dann selbst mit
seinem Stäbe so viel mal an die Glocke schlug, als ihn die Böcke in die
Seite stießen. Dieses Wahrzeichen hieß der Matz und man sagte damals
ganz allgemein, um das Entschwinden einer Stunde zu bezeichnen: „der Matz
hat schon geklingelt."

In den Straßen, welche eng und winklig waren, sah es nach Goethe's
Ankunft unvergleichlich besser aus, als im Beginn unserer Periode, denn
gerade während des siebenjährigen Krieges hatte man sehr viel für die Besse¬
rung des Pflasters gethan, das freilich noch an viel Stellen Vieles zu wün¬
schen übrig ließ. Die Beleuchtung der Straßen war bereits 1732 angeordnet
worden, aber es war schwierig sie im Gange zu erhalten. Die Kämpfe um
ihre Erhaltung zu veranschaulichen würde ein großes Capitel beanspruchen.
So schlecht, wie einige Forscher**) behaupten, stand es aber um sie doch
nicht. Denn 1789 waren die Straßen bereits mit 361 Laternen besetzt*")
und 1801 sprach die Weimarische Polizei mit großer Zuversicht aus,
daß das Laternen-Institut fortdauern müsse. Scheinbar sind wir daher heute,





") Vergl. u. a. Lewes Goethe, Diezmann Goethe und die lustige Zeit.
") Diezmann p. 19: zumal die Beleuchtung noch nicht vorhanden.
Weimar, wöchentliche Anzeigen 1789. Der jährliche Aufwand betrug 512 Thlr.
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[0130] ten Culturzustand einräumen können. In der Literatur liegen über Weimar namentlich aus den achtziger Jahren verschiedene Beschreibungen vor, die Wahres, Uebertriebenes und Falsches zugleich enthalten. Unter Hinweisung auf Lewes*) und Diezmann begnüge ich mich mit wenigen Notizen, die zu unserer Orientirung nöthig sind. Weimar war das ganze Jahrhundert hindurch von Mauern in Form eines Rechteckes und vier größeren Thoren begrenzt, innerhalb derer sich die Bewohner der Vorstädte eingerechnet, etwas über 6000 Einwohner bewegten. Die Häusernummern waren noch 1792 trügerisch, da sie von den Bewohnern selbst angemalt und berichtigt wurden. Der Stolz Weimar's, der Park, war seit 1776 im Entstehen, auch Belvedere und Tiefurt im Werden. Die Allee nach Belvedere, ein Kind des Jahres 1756, bot noch nicht den erquickenden Schatten. Die mit Bäumen, Hecken und Bänken besetzte Esplanade war die Promenade, der Welsche Garten, der Belustigungsort unserer Vorfahren, stand an Stelle des Kinder-Rondels, und mag im Geschmack von Versailles für damalige Zeit anziehend gewesen sein. Der Carlsplatz mit Teichen und Scheuren bot nichts Bemerkenswerthes; über die Frauenthorstraße hinaus waren die Häuser leicht zu überschauen. An hervorragenden Privatgebäuden war Mangel; das Schloß lag in Trümmern, nur das Stadt-, damalige Rathhaus war bemerkenswerth, weil es gleichzeitig ein komisches Wahrzeichen enthielt: eine Uhr mit einem Türken, dem zwei Böcke zur Seite standen. Vor dem Ausschlagen der Stunde klingelte der Türke, der dann selbst mit seinem Stäbe so viel mal an die Glocke schlug, als ihn die Böcke in die Seite stießen. Dieses Wahrzeichen hieß der Matz und man sagte damals ganz allgemein, um das Entschwinden einer Stunde zu bezeichnen: „der Matz hat schon geklingelt." In den Straßen, welche eng und winklig waren, sah es nach Goethe's Ankunft unvergleichlich besser aus, als im Beginn unserer Periode, denn gerade während des siebenjährigen Krieges hatte man sehr viel für die Besse¬ rung des Pflasters gethan, das freilich noch an viel Stellen Vieles zu wün¬ schen übrig ließ. Die Beleuchtung der Straßen war bereits 1732 angeordnet worden, aber es war schwierig sie im Gange zu erhalten. Die Kämpfe um ihre Erhaltung zu veranschaulichen würde ein großes Capitel beanspruchen. So schlecht, wie einige Forscher**) behaupten, stand es aber um sie doch nicht. Denn 1789 waren die Straßen bereits mit 361 Laternen besetzt*") und 1801 sprach die Weimarische Polizei mit großer Zuversicht aus, daß das Laternen-Institut fortdauern müsse. Scheinbar sind wir daher heute, ") Vergl. u. a. Lewes Goethe, Diezmann Goethe und die lustige Zeit. ") Diezmann p. 19: zumal die Beleuchtung noch nicht vorhanden. Weimar, wöchentliche Anzeigen 1789. Der jährliche Aufwand betrug 512 Thlr.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/130>, abgerufen am 28.09.2024.