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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Ich sprach von großen Fortschritten, welche das Seekriegsrecht bereits
in den letzten Jahrzehnten gemacht. Leider beruhen dieselben noch zur Zeit
nur darin, daß jetzt das Vorrecht der Barbarei, welches nach früheren An¬
schauungen der Seekrieg' vor dem Landkriege voraus hatte, und angeblich
voraus haben mußte, mit unwiderstehlichen Gründen angefochten und stark
erschüttert ist, und weiter dari", daß die meisten civilisirten Staaten von
einigen, einige von allen barbarischen Gewaltmaaßregeln, welche das "garan-
tirte" Völkerrecht im Seekriege noch gestattet, keinen Gebrauch machen. Der
Fortschritt besteht also nur in der immer weiteren Verbreitung milderer An¬
schauungen im Betreff dessen, was im Seekriege Rechtens sei, und in der
Ueberhandnahme der Zahl der Fälle, wo Kriegführende thatsächlich sich des
Gebrauches ihres vollen Rechtes enthalten. Aber noch heute kann von einer
Verletzung allgemein anerkannter Bölkerrechtssätze nicht die Rede sein, wenn
Kriegführende alles feindliche Privat- und Staatseigenthum, Schiffe, wie
Güter, auf der See. in den freien Gewässern, wie in den nationalen Seege¬
bieten, als gute Beute betrachten. Noch heute also ist und darf sein, nach
anerkannten Völkerrecht, der Seekrieg im Unterschied vom Landkriege eine
Art von Raubkrieg, gerichtet auf die Schädigung ebensowohl der feindlichen
Staatsmacht, wie der Existenz des friedlichen Bürgers des feindlichen Staates.

So besteht noch das Recht der Privat-Kaperei, zwar mit mannigfachen
und bedeutenden Schranken umgeben, aber doch noch so ausbündig, daß seine
Handhabung überall den eigentlichen Kriegszweck überschreitet, zwar in der
alten und neuen Welt von der öffentlichen Meinung entschieden verurtheilt,
aber noch keineswegs so vollständig beseitigt, daß man mit voller Bestimmt¬
heit behaupten könne, ein Kriegführender, welcher Caperbriefe ausstelle, mache
sich eines Völkerrechtsbruches schuldig.

So besteht noch das offizielle Prisenrecht, als ein Recht der Kriegsschiffe
des Kriegführenden, die Rheder und Befrachter des feindlichen Staates auf
See zu berauben, und selbst den Privaten neutraler Staaten unter Umstän¬
den den erheblichsten Schaden zuzufügen; so ist noch der Begriff der Kriegs-
conterbande in seiner unglücklichen Dehnbarkeit belassen; so steht den Krieg¬
führenden noch das Durchsuchungsrecht mit aller seiner verführerischen Gele¬
genheit zu Acten der Willkühr und Schädigung zu; so hat der Kriegführende
noch das Recht der Blockade der feindlichen Häfen und herrscht darüber
keineswegs Klarheit, in welchen Formen dieses Recht gehandhabt werden
muß, um nicht im einzelnen Falle bestritten zu werden; so endlich wird die
neutrale Flagge, welche feindliches Gut führt, und neutrales Gut unter feind¬
licher Flagge zwar formell mit gewissen Rücksichten behandelt; thatsächlich
leiden aber unter der Barbarei des Seekriegsrechtes auch die Angehörigen ganz
unbeteiligter Staaten auf das Empfindlichste, und selbst die Macht der letz-


Ich sprach von großen Fortschritten, welche das Seekriegsrecht bereits
in den letzten Jahrzehnten gemacht. Leider beruhen dieselben noch zur Zeit
nur darin, daß jetzt das Vorrecht der Barbarei, welches nach früheren An¬
schauungen der Seekrieg' vor dem Landkriege voraus hatte, und angeblich
voraus haben mußte, mit unwiderstehlichen Gründen angefochten und stark
erschüttert ist, und weiter dari», daß die meisten civilisirten Staaten von
einigen, einige von allen barbarischen Gewaltmaaßregeln, welche das „garan-
tirte" Völkerrecht im Seekriege noch gestattet, keinen Gebrauch machen. Der
Fortschritt besteht also nur in der immer weiteren Verbreitung milderer An¬
schauungen im Betreff dessen, was im Seekriege Rechtens sei, und in der
Ueberhandnahme der Zahl der Fälle, wo Kriegführende thatsächlich sich des
Gebrauches ihres vollen Rechtes enthalten. Aber noch heute kann von einer
Verletzung allgemein anerkannter Bölkerrechtssätze nicht die Rede sein, wenn
Kriegführende alles feindliche Privat- und Staatseigenthum, Schiffe, wie
Güter, auf der See. in den freien Gewässern, wie in den nationalen Seege¬
bieten, als gute Beute betrachten. Noch heute also ist und darf sein, nach
anerkannten Völkerrecht, der Seekrieg im Unterschied vom Landkriege eine
Art von Raubkrieg, gerichtet auf die Schädigung ebensowohl der feindlichen
Staatsmacht, wie der Existenz des friedlichen Bürgers des feindlichen Staates.

So besteht noch das Recht der Privat-Kaperei, zwar mit mannigfachen
und bedeutenden Schranken umgeben, aber doch noch so ausbündig, daß seine
Handhabung überall den eigentlichen Kriegszweck überschreitet, zwar in der
alten und neuen Welt von der öffentlichen Meinung entschieden verurtheilt,
aber noch keineswegs so vollständig beseitigt, daß man mit voller Bestimmt¬
heit behaupten könne, ein Kriegführender, welcher Caperbriefe ausstelle, mache
sich eines Völkerrechtsbruches schuldig.

So besteht noch das offizielle Prisenrecht, als ein Recht der Kriegsschiffe
des Kriegführenden, die Rheder und Befrachter des feindlichen Staates auf
See zu berauben, und selbst den Privaten neutraler Staaten unter Umstän¬
den den erheblichsten Schaden zuzufügen; so ist noch der Begriff der Kriegs-
conterbande in seiner unglücklichen Dehnbarkeit belassen; so steht den Krieg¬
führenden noch das Durchsuchungsrecht mit aller seiner verführerischen Gele¬
genheit zu Acten der Willkühr und Schädigung zu; so hat der Kriegführende
noch das Recht der Blockade der feindlichen Häfen und herrscht darüber
keineswegs Klarheit, in welchen Formen dieses Recht gehandhabt werden
muß, um nicht im einzelnen Falle bestritten zu werden; so endlich wird die
neutrale Flagge, welche feindliches Gut führt, und neutrales Gut unter feind¬
licher Flagge zwar formell mit gewissen Rücksichten behandelt; thatsächlich
leiden aber unter der Barbarei des Seekriegsrechtes auch die Angehörigen ganz
unbeteiligter Staaten auf das Empfindlichste, und selbst die Macht der letz-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/12>, abgerufen am 28.09.2024.