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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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sitze Heustedt ennuyirte und das ausgesogene Land wenig Geld abwarf, nach
Kassel zu Jörome's. Sie, die sich der intimsten Beziehungen zur Dynastie
der Könige von England, ihrer Erziehung bei der Prinzessin von Wales, der
höchsten Gunst des Königs Georg III. rühmte, wurde Hofdame in dem Palaste
eines der kleinen Satrapen des Todfeindes ihrer bisherigen Gönner. Die
Bilder aus der Zeit der Fremdherrschaft, aus dem tiefsten Verfall Deutsch¬
lands, wo namentlich auch die edeln alten Geschlechter aus den.Ländern,
welche Napoleon zum Ausbau seines Königreichs Westfalen vernutzt hatte,
die Parole: "Lieber Französisch als Deutsch" ausgaben, sind bei Oppermann
mit ergreifender Wahrheit und Sachkenntniß gemalt.

Heutzutage können wir diese Bilder leichteren Herzens betrachten als ehe¬
dem. Heute tragen wir Alle das trostreiche Gefühl im Herzen: Sie ist ge¬
sühnt, die Schmach jener Zeiten; und wer versucht, sie wieder heraufzubeschwö¬
ren, ist dem Untergange verfallen.

Aber wir dürfen die Lehren nicht vergessen, welche jene von Oppermann
in scharf realistischen Zügen wiedergegebenen Ereignisse uns bieten, und die
ich hier kurz zusammenfassen will.

Es war die verkommene Kleinstaaterei in Deutschland, welche während
der letzten drei Jahrhunderte stets dem feindlichen Auslande verrätherisch die
Schlüssel der deutschen Burgen in die Hände spielte, von dem Verrath der
drei Bisthümer Metz, Tüll und Verdun bis auf unsere Tage. Und stets
war es Preußen, das, neben dem alten "deutschen Reich" als der Keim des
neuen Deutschland emporgewachsen, sieh von der Corruption des Alten frei¬
gehalten, in Kampf und Entbehrung, in spartanischer Zucht und Sitte ge¬
stählt hatte, und das, wenn die Fremdherrschaft in Deutschland um sich ge¬
griffen, zur rechten Zeit auf dem Platze erschien, um sie, bevor sie Zeit gehabt
halte, sich festzusetzen, wieder hinauszuwerfen.

So verjagte der große Kurfürst die Schweden und Friedrich der Große
die Franzosen. So hat Preußen 1813 das Joch und 1870 den Einfluß, das
"I)r^tiL,'6", die "pi'LponäLi-anne lögitims" der Franzosen gebrochen, weil sie
sich erfrechten, Deutschland Gesetze vorschreiben zu wollen.

Zum Dank dafür werden Herr Moriz Mohl in Würtemberg und an¬
dere edle Particularisten und Volksvereinler nicht müde, zu versichern, die
Preußen seien eigentlich keine wirklichen Deutschen, sondern Slaven, das
"reine" Deutschland sei nur im Südwesten zu finden, und dieser reindeutschen
Bevölkerung dürfe man nicht zumuthen, die Militärlast, welche Preußen für
Deutschland trägt, mitzutragen. Ach, wir armen "Nein-Deutschen"! Was
wäre aus uns geworden ohne das tapfere preußische Schwert! Und wäre es
nicht ein Zeichen äußerster Verkommenheit, wenn dieses "reine" Deutschland
erklärte, es sei zu schwach, dieselben Wehrkräfte auszubilden, wie jene "Halb-


sitze Heustedt ennuyirte und das ausgesogene Land wenig Geld abwarf, nach
Kassel zu Jörome's. Sie, die sich der intimsten Beziehungen zur Dynastie
der Könige von England, ihrer Erziehung bei der Prinzessin von Wales, der
höchsten Gunst des Königs Georg III. rühmte, wurde Hofdame in dem Palaste
eines der kleinen Satrapen des Todfeindes ihrer bisherigen Gönner. Die
Bilder aus der Zeit der Fremdherrschaft, aus dem tiefsten Verfall Deutsch¬
lands, wo namentlich auch die edeln alten Geschlechter aus den.Ländern,
welche Napoleon zum Ausbau seines Königreichs Westfalen vernutzt hatte,
die Parole: „Lieber Französisch als Deutsch" ausgaben, sind bei Oppermann
mit ergreifender Wahrheit und Sachkenntniß gemalt.

Heutzutage können wir diese Bilder leichteren Herzens betrachten als ehe¬
dem. Heute tragen wir Alle das trostreiche Gefühl im Herzen: Sie ist ge¬
sühnt, die Schmach jener Zeiten; und wer versucht, sie wieder heraufzubeschwö¬
ren, ist dem Untergange verfallen.

Aber wir dürfen die Lehren nicht vergessen, welche jene von Oppermann
in scharf realistischen Zügen wiedergegebenen Ereignisse uns bieten, und die
ich hier kurz zusammenfassen will.

Es war die verkommene Kleinstaaterei in Deutschland, welche während
der letzten drei Jahrhunderte stets dem feindlichen Auslande verrätherisch die
Schlüssel der deutschen Burgen in die Hände spielte, von dem Verrath der
drei Bisthümer Metz, Tüll und Verdun bis auf unsere Tage. Und stets
war es Preußen, das, neben dem alten „deutschen Reich" als der Keim des
neuen Deutschland emporgewachsen, sieh von der Corruption des Alten frei¬
gehalten, in Kampf und Entbehrung, in spartanischer Zucht und Sitte ge¬
stählt hatte, und das, wenn die Fremdherrschaft in Deutschland um sich ge¬
griffen, zur rechten Zeit auf dem Platze erschien, um sie, bevor sie Zeit gehabt
halte, sich festzusetzen, wieder hinauszuwerfen.

So verjagte der große Kurfürst die Schweden und Friedrich der Große
die Franzosen. So hat Preußen 1813 das Joch und 1870 den Einfluß, das
„I)r^tiL,'6", die „pi'LponäLi-anne lögitims" der Franzosen gebrochen, weil sie
sich erfrechten, Deutschland Gesetze vorschreiben zu wollen.

Zum Dank dafür werden Herr Moriz Mohl in Würtemberg und an¬
dere edle Particularisten und Volksvereinler nicht müde, zu versichern, die
Preußen seien eigentlich keine wirklichen Deutschen, sondern Slaven, das
„reine" Deutschland sei nur im Südwesten zu finden, und dieser reindeutschen
Bevölkerung dürfe man nicht zumuthen, die Militärlast, welche Preußen für
Deutschland trägt, mitzutragen. Ach, wir armen „Nein-Deutschen"! Was
wäre aus uns geworden ohne das tapfere preußische Schwert! Und wäre es
nicht ein Zeichen äußerster Verkommenheit, wenn dieses „reine" Deutschland
erklärte, es sei zu schwach, dieselben Wehrkräfte auszubilden, wie jene „Halb-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/98>, abgerufen am 28.09.2024.