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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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weiland Commis in Baltimore, Jörüme I., König von Westphalen, sein
"lustig!" Regiment aufgeschlagen hatte, "zu Hofe dienen gingen".

Auch die beiden Kurstaaten spielten später eine seltsame Rolle. Der Kurfürst-
Großvater konnte 1806 so wenig zu einer Entschließung kommen, wie der Kur¬
fürst-Enkel im Jahre 1866. Bald zeigte er Lust, mit Preußen wider die Fran¬
zosen zu marschiren, bald wieder auf Kosten des ersteren mit den letzteren
Frieden zu machen. Das Ende vom Liede war, daß Napoleon I. durch De-
pvssedirung der zweideutigen Haltung ein Ende machte. Der Kurfürst-Gro߬
vater floh, nachdem er seine Schätze, die er durch den Verkauf seiner Unter¬
thanen nach Amerika erworben hatte, bei dem Hause Rothschild in Frankfurt
geborgen, nach Prag. Von dort aus eröffnete er dem Freiherrn von Dörn¬
berg für seinen beabsichtigten Aufstand, bei Rothschild einen Credit von
3000 Thalern, instruirte jedoch, vorsichtiger Weise, das genannte Bankhaus,
"nur im Falle des Gelingens des Aufstandes zu zahlen". Der Aufstand
mißlang, und Rothschild zahlte nicht. Dörnberg rettete mit Noth das nackte
Leben und erhielt vom Kurfürsten in Prag, wohin er geflüchtet war, einen
östreichischen Einhundertguldenschein.

Was den Kurstaat Hannover anlangt, so "acquiescirte" für denselben Eng¬
land dem Baseler Frieden und duldete, daß Preußen das, Land besetzte, um es
gegen englische Waaren abzuschließen. Man wußte das im Voraus. Der
Friede von Amiens schaffte auf kurze Zeit Abhilfe. Dann wurde wieder
der deutsche Kurstaat dem englischen Handelsinteresse geopfert. Die "Hanno-
ver'schen Getreuen" schrieen: "Lieber französisch als preußisch": Ihr Wille
geschah. Preußen hatte für die Besetzung täglich 6000 Thaler ausgegeben
und nichts aus dem Lande bezogen. Nun besetzten es die Franzosen und
wirthschafteten es vollständig ab. Statt täglich 6000 Thaler auszugeben, holte
der Franzose täglich das Doppelte.

Der Grundadel verarmte durch die Franzosen. Die Gräfin Melusine
von Wildhausen, Oppermann's Heldin in Bd. 1 -- 5., wird während der Krisis,
in welche sie, auch eine der "Stützen des Thrones", ihre Heimath hat stürzen
helfen, nur von einem Gefühle bewegt. Sie hat bei dem Commissionsrath
Crelinger Geld borgen müssen; und, im Vertrauen hierauf, hat die Frau des
besagten Crelinger gewagt, eines Abends im Hoftheater zu Hannover
in den ersten Rang zu gehen und sich in derselben Loge, in welcher Gräfin
Wildhausen Excellenz thronte, niederzulassen, wenn auch viel, viel weiter hinten.
Dieses entsetzliche Attentat, das Eindringen einer Bürgerlichen, einer Jüdin,
in die Loge einer Gräfin, einer Excellenz, -- das war es, was die Herzen
bewegte und die Zungen beschäftigte in der guten Stadt Hannover, zur Zeit
als der Kurstaat zu Grunde ging. Und als nun die Herrlichkeit in Hannover
zu Ende war, da ging die Gräfin Melusine, weil sie sich in ihrem Land-


Grmjbotm 1. 1871. 12

weiland Commis in Baltimore, Jörüme I., König von Westphalen, sein
„lustig!" Regiment aufgeschlagen hatte, „zu Hofe dienen gingen".

Auch die beiden Kurstaaten spielten später eine seltsame Rolle. Der Kurfürst-
Großvater konnte 1806 so wenig zu einer Entschließung kommen, wie der Kur¬
fürst-Enkel im Jahre 1866. Bald zeigte er Lust, mit Preußen wider die Fran¬
zosen zu marschiren, bald wieder auf Kosten des ersteren mit den letzteren
Frieden zu machen. Das Ende vom Liede war, daß Napoleon I. durch De-
pvssedirung der zweideutigen Haltung ein Ende machte. Der Kurfürst-Gro߬
vater floh, nachdem er seine Schätze, die er durch den Verkauf seiner Unter¬
thanen nach Amerika erworben hatte, bei dem Hause Rothschild in Frankfurt
geborgen, nach Prag. Von dort aus eröffnete er dem Freiherrn von Dörn¬
berg für seinen beabsichtigten Aufstand, bei Rothschild einen Credit von
3000 Thalern, instruirte jedoch, vorsichtiger Weise, das genannte Bankhaus,
„nur im Falle des Gelingens des Aufstandes zu zahlen". Der Aufstand
mißlang, und Rothschild zahlte nicht. Dörnberg rettete mit Noth das nackte
Leben und erhielt vom Kurfürsten in Prag, wohin er geflüchtet war, einen
östreichischen Einhundertguldenschein.

Was den Kurstaat Hannover anlangt, so „acquiescirte" für denselben Eng¬
land dem Baseler Frieden und duldete, daß Preußen das, Land besetzte, um es
gegen englische Waaren abzuschließen. Man wußte das im Voraus. Der
Friede von Amiens schaffte auf kurze Zeit Abhilfe. Dann wurde wieder
der deutsche Kurstaat dem englischen Handelsinteresse geopfert. Die „Hanno-
ver'schen Getreuen" schrieen: „Lieber französisch als preußisch": Ihr Wille
geschah. Preußen hatte für die Besetzung täglich 6000 Thaler ausgegeben
und nichts aus dem Lande bezogen. Nun besetzten es die Franzosen und
wirthschafteten es vollständig ab. Statt täglich 6000 Thaler auszugeben, holte
der Franzose täglich das Doppelte.

Der Grundadel verarmte durch die Franzosen. Die Gräfin Melusine
von Wildhausen, Oppermann's Heldin in Bd. 1 — 5., wird während der Krisis,
in welche sie, auch eine der „Stützen des Thrones", ihre Heimath hat stürzen
helfen, nur von einem Gefühle bewegt. Sie hat bei dem Commissionsrath
Crelinger Geld borgen müssen; und, im Vertrauen hierauf, hat die Frau des
besagten Crelinger gewagt, eines Abends im Hoftheater zu Hannover
in den ersten Rang zu gehen und sich in derselben Loge, in welcher Gräfin
Wildhausen Excellenz thronte, niederzulassen, wenn auch viel, viel weiter hinten.
Dieses entsetzliche Attentat, das Eindringen einer Bürgerlichen, einer Jüdin,
in die Loge einer Gräfin, einer Excellenz, — das war es, was die Herzen
bewegte und die Zungen beschäftigte in der guten Stadt Hannover, zur Zeit
als der Kurstaat zu Grunde ging. Und als nun die Herrlichkeit in Hannover
zu Ende war, da ging die Gräfin Melusine, weil sie sich in ihrem Land-


Grmjbotm 1. 1871. 12
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/97>, abgerufen am 28.09.2024.