Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wohner abzwang. Ich sehe aber, daß er nicht Folge des Charakters, sondern
Folge der Verhältnisse war."

Endlich, am 8. August 1807, kommt der große Kriegsgott, Napoleon I.,
selbst nach Frankfurt am Main, um seinen Knecht, das Geschöpf seiner Laune,
den Großherzog von Frankfurt, zu besuchen. Und Karl Ritter, gewiß
ein unverdächtiger Zeuge schildert (Band I, Seite 481 ff.) den Eingang,
wie folgt:

"Es hieß, Napoleon der Kaiser kommt! Heute Abend! Sogleich wurde
alles bereitet, ein Triumphbogen gebaut, Illuminationen angesagt; die ganze
Stadt steckte sich in Uniform, die ganze Heerstraße wurde mit Bürgermilitär
geschmückt. Der Fürst (Freiherr von Dalberg, von Napoleon's Gnaden
Großherzog von Frankfurt am Main, welches sich Fulda, Aschaffenburg,
Hanau u. s. w. annectirt hatte) fuhr selbst bis an die Grenze aus das Zoll¬
haus, um seinen Gebieter zu empfangen; aber siehe da, er kam nicht! Nachts
um 12 Uhr ging der Zug auseinander und ward um 5 Uhr wiederbestellt.
In größter Herzensangst, als käme ein fürchterlicher Racheengel angezogen,
fuhr ihm der Fürst wieder entgegen und harrte wieder vergeblich von der
Frühe bis in die Nacht. Die fürchterlichste Hitze quälte die armen Bürger
auf dem heißen Pflaster: überall Lärm, Müßiggang, Plage, Puppenparade,
Angst, Freudenmusik, Mißmuth, vergebliches Hoffen, und selbst der Fürst
hatte zitternd vor Angst kein Mittel gefunden, sich bestimmte Nachricht
über die Ankunft des Kaisers zu verschaffen. Dieser jammervolle Zu¬
stand dauerte volle vier Tage zum Aerger aller rechtlich Gesinnten. Da
hörte man plötzlich das Signal der Ankunft, alles trat unter die Waffen,
alles flog an die Fenster und auf die Balcone, die Straßen waren voll von
einer gaffenden Menge; da erhob sich eine Staubwolke, sie rollte immer näher;
da traten 8 Pferde wie im Dämmerlicht heraus, und eine schwarze Kutsche
flog wie das Bild einer ombis eninoiss an der Menge vorüber, die kaum
sah, ob jemand darin saß oder nicht. Die ganze Geschichte dauerte wenige
Minuten; durch den Triumphbogen, den er vielleicht nicht einmal ansah, jagte
der Kaiser in das Schloß seines Vasallen, des Fürsten."

So Karl Ritter. Es liegt gewiß nicht ferne, eine Parallele zu ziehen
zwischen diesem Verhalten von 1806 und 1807 gegenüber dem Kaiser von
Frankreich und dem von 1866 und 1867 gegenüber dem Oberhaupte von
Deutschland. Ich will jedoch dieser Versuchung ausweichen und habe
obige Zeugnisse nur angeführt, um neue Belege dafür zu liefern, daß
Oppermann die volle historische Wahrheit für sich hat, wenn er uns in
den neuesten Bänden seines Romans erzählt, wie elend damals sich die
"Stützen des Throns" in Kurhannover und Kurhessen benahmen, und wie
sie, die Legitunisten, nach Kassel, wo der französische Emporkömmling und


wohner abzwang. Ich sehe aber, daß er nicht Folge des Charakters, sondern
Folge der Verhältnisse war."

Endlich, am 8. August 1807, kommt der große Kriegsgott, Napoleon I.,
selbst nach Frankfurt am Main, um seinen Knecht, das Geschöpf seiner Laune,
den Großherzog von Frankfurt, zu besuchen. Und Karl Ritter, gewiß
ein unverdächtiger Zeuge schildert (Band I, Seite 481 ff.) den Eingang,
wie folgt:

„Es hieß, Napoleon der Kaiser kommt! Heute Abend! Sogleich wurde
alles bereitet, ein Triumphbogen gebaut, Illuminationen angesagt; die ganze
Stadt steckte sich in Uniform, die ganze Heerstraße wurde mit Bürgermilitär
geschmückt. Der Fürst (Freiherr von Dalberg, von Napoleon's Gnaden
Großherzog von Frankfurt am Main, welches sich Fulda, Aschaffenburg,
Hanau u. s. w. annectirt hatte) fuhr selbst bis an die Grenze aus das Zoll¬
haus, um seinen Gebieter zu empfangen; aber siehe da, er kam nicht! Nachts
um 12 Uhr ging der Zug auseinander und ward um 5 Uhr wiederbestellt.
In größter Herzensangst, als käme ein fürchterlicher Racheengel angezogen,
fuhr ihm der Fürst wieder entgegen und harrte wieder vergeblich von der
Frühe bis in die Nacht. Die fürchterlichste Hitze quälte die armen Bürger
auf dem heißen Pflaster: überall Lärm, Müßiggang, Plage, Puppenparade,
Angst, Freudenmusik, Mißmuth, vergebliches Hoffen, und selbst der Fürst
hatte zitternd vor Angst kein Mittel gefunden, sich bestimmte Nachricht
über die Ankunft des Kaisers zu verschaffen. Dieser jammervolle Zu¬
stand dauerte volle vier Tage zum Aerger aller rechtlich Gesinnten. Da
hörte man plötzlich das Signal der Ankunft, alles trat unter die Waffen,
alles flog an die Fenster und auf die Balcone, die Straßen waren voll von
einer gaffenden Menge; da erhob sich eine Staubwolke, sie rollte immer näher;
da traten 8 Pferde wie im Dämmerlicht heraus, und eine schwarze Kutsche
flog wie das Bild einer ombis eninoiss an der Menge vorüber, die kaum
sah, ob jemand darin saß oder nicht. Die ganze Geschichte dauerte wenige
Minuten; durch den Triumphbogen, den er vielleicht nicht einmal ansah, jagte
der Kaiser in das Schloß seines Vasallen, des Fürsten."

So Karl Ritter. Es liegt gewiß nicht ferne, eine Parallele zu ziehen
zwischen diesem Verhalten von 1806 und 1807 gegenüber dem Kaiser von
Frankreich und dem von 1866 und 1867 gegenüber dem Oberhaupte von
Deutschland. Ich will jedoch dieser Versuchung ausweichen und habe
obige Zeugnisse nur angeführt, um neue Belege dafür zu liefern, daß
Oppermann die volle historische Wahrheit für sich hat, wenn er uns in
den neuesten Bänden seines Romans erzählt, wie elend damals sich die
„Stützen des Throns" in Kurhannover und Kurhessen benahmen, und wie
sie, die Legitunisten, nach Kassel, wo der französische Emporkömmling und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0096" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125340"/>
          <p xml:id="ID_352" prev="#ID_351"> wohner abzwang. Ich sehe aber, daß er nicht Folge des Charakters, sondern<lb/>
Folge der Verhältnisse war."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_353"> Endlich, am 8. August 1807, kommt der große Kriegsgott, Napoleon I.,<lb/>
selbst nach Frankfurt am Main, um seinen Knecht, das Geschöpf seiner Laune,<lb/>
den Großherzog von Frankfurt, zu besuchen. Und Karl Ritter, gewiß<lb/>
ein unverdächtiger Zeuge schildert (Band I, Seite 481 ff.) den Eingang,<lb/>
wie folgt:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_354"> &#x201E;Es hieß, Napoleon der Kaiser kommt! Heute Abend! Sogleich wurde<lb/>
alles bereitet, ein Triumphbogen gebaut, Illuminationen angesagt; die ganze<lb/>
Stadt steckte sich in Uniform, die ganze Heerstraße wurde mit Bürgermilitär<lb/>
geschmückt. Der Fürst (Freiherr von Dalberg, von Napoleon's Gnaden<lb/>
Großherzog von Frankfurt am Main, welches sich Fulda, Aschaffenburg,<lb/>
Hanau u. s. w. annectirt hatte) fuhr selbst bis an die Grenze aus das Zoll¬<lb/>
haus, um seinen Gebieter zu empfangen; aber siehe da, er kam nicht! Nachts<lb/>
um 12 Uhr ging der Zug auseinander und ward um 5 Uhr wiederbestellt.<lb/>
In größter Herzensangst, als käme ein fürchterlicher Racheengel angezogen,<lb/>
fuhr ihm der Fürst wieder entgegen und harrte wieder vergeblich von der<lb/>
Frühe bis in die Nacht. Die fürchterlichste Hitze quälte die armen Bürger<lb/>
auf dem heißen Pflaster: überall Lärm, Müßiggang, Plage, Puppenparade,<lb/>
Angst, Freudenmusik, Mißmuth, vergebliches Hoffen, und selbst der Fürst<lb/>
hatte zitternd vor Angst kein Mittel gefunden, sich bestimmte Nachricht<lb/>
über die Ankunft des Kaisers zu verschaffen. Dieser jammervolle Zu¬<lb/>
stand dauerte volle vier Tage zum Aerger aller rechtlich Gesinnten. Da<lb/>
hörte man plötzlich das Signal der Ankunft, alles trat unter die Waffen,<lb/>
alles flog an die Fenster und auf die Balcone, die Straßen waren voll von<lb/>
einer gaffenden Menge; da erhob sich eine Staubwolke, sie rollte immer näher;<lb/>
da traten 8 Pferde wie im Dämmerlicht heraus, und eine schwarze Kutsche<lb/>
flog wie das Bild einer ombis eninoiss an der Menge vorüber, die kaum<lb/>
sah, ob jemand darin saß oder nicht. Die ganze Geschichte dauerte wenige<lb/>
Minuten; durch den Triumphbogen, den er vielleicht nicht einmal ansah, jagte<lb/>
der Kaiser in das Schloß seines Vasallen, des Fürsten."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_355" next="#ID_356"> So Karl Ritter. Es liegt gewiß nicht ferne, eine Parallele zu ziehen<lb/>
zwischen diesem Verhalten von 1806 und 1807 gegenüber dem Kaiser von<lb/>
Frankreich und dem von 1866 und 1867 gegenüber dem Oberhaupte von<lb/>
Deutschland. Ich will jedoch dieser Versuchung ausweichen und habe<lb/>
obige Zeugnisse nur angeführt, um neue Belege dafür zu liefern, daß<lb/>
Oppermann die volle historische Wahrheit für sich hat, wenn er uns in<lb/>
den neuesten Bänden seines Romans erzählt, wie elend damals sich die<lb/>
&#x201E;Stützen des Throns" in Kurhannover und Kurhessen benahmen, und wie<lb/>
sie, die Legitunisten, nach Kassel, wo der französische Emporkömmling und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0096] wohner abzwang. Ich sehe aber, daß er nicht Folge des Charakters, sondern Folge der Verhältnisse war." Endlich, am 8. August 1807, kommt der große Kriegsgott, Napoleon I., selbst nach Frankfurt am Main, um seinen Knecht, das Geschöpf seiner Laune, den Großherzog von Frankfurt, zu besuchen. Und Karl Ritter, gewiß ein unverdächtiger Zeuge schildert (Band I, Seite 481 ff.) den Eingang, wie folgt: „Es hieß, Napoleon der Kaiser kommt! Heute Abend! Sogleich wurde alles bereitet, ein Triumphbogen gebaut, Illuminationen angesagt; die ganze Stadt steckte sich in Uniform, die ganze Heerstraße wurde mit Bürgermilitär geschmückt. Der Fürst (Freiherr von Dalberg, von Napoleon's Gnaden Großherzog von Frankfurt am Main, welches sich Fulda, Aschaffenburg, Hanau u. s. w. annectirt hatte) fuhr selbst bis an die Grenze aus das Zoll¬ haus, um seinen Gebieter zu empfangen; aber siehe da, er kam nicht! Nachts um 12 Uhr ging der Zug auseinander und ward um 5 Uhr wiederbestellt. In größter Herzensangst, als käme ein fürchterlicher Racheengel angezogen, fuhr ihm der Fürst wieder entgegen und harrte wieder vergeblich von der Frühe bis in die Nacht. Die fürchterlichste Hitze quälte die armen Bürger auf dem heißen Pflaster: überall Lärm, Müßiggang, Plage, Puppenparade, Angst, Freudenmusik, Mißmuth, vergebliches Hoffen, und selbst der Fürst hatte zitternd vor Angst kein Mittel gefunden, sich bestimmte Nachricht über die Ankunft des Kaisers zu verschaffen. Dieser jammervolle Zu¬ stand dauerte volle vier Tage zum Aerger aller rechtlich Gesinnten. Da hörte man plötzlich das Signal der Ankunft, alles trat unter die Waffen, alles flog an die Fenster und auf die Balcone, die Straßen waren voll von einer gaffenden Menge; da erhob sich eine Staubwolke, sie rollte immer näher; da traten 8 Pferde wie im Dämmerlicht heraus, und eine schwarze Kutsche flog wie das Bild einer ombis eninoiss an der Menge vorüber, die kaum sah, ob jemand darin saß oder nicht. Die ganze Geschichte dauerte wenige Minuten; durch den Triumphbogen, den er vielleicht nicht einmal ansah, jagte der Kaiser in das Schloß seines Vasallen, des Fürsten." So Karl Ritter. Es liegt gewiß nicht ferne, eine Parallele zu ziehen zwischen diesem Verhalten von 1806 und 1807 gegenüber dem Kaiser von Frankreich und dem von 1866 und 1867 gegenüber dem Oberhaupte von Deutschland. Ich will jedoch dieser Versuchung ausweichen und habe obige Zeugnisse nur angeführt, um neue Belege dafür zu liefern, daß Oppermann die volle historische Wahrheit für sich hat, wenn er uns in den neuesten Bänden seines Romans erzählt, wie elend damals sich die „Stützen des Throns" in Kurhannover und Kurhessen benahmen, und wie sie, die Legitunisten, nach Kassel, wo der französische Emporkömmling und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/96
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/96>, abgerufen am 29.06.2024.