Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

verderblichste Maske, in welcher jemals der Particularismus vor das Parla¬
ment getreten war; so verführerisch, daß sie die Majorität des Parlamentes
ebenso wie die Vertreter der Regierung vollkommen berückt hatte -- bis
plötzlich der Kanzler selbst von Varzin gen Berlin aufbrach, mit seinem klaren
Blick das Trugbild durchschaute, und mit seinem entscheidenden Wort die
größte Gefahr, die dem Gesetz drohen konnte, energisch zurückwies.

Mit der kleinsten Majorität, die jemals ein wichtiges Gesetz in Nord¬
deutschland gefunden, ward dieses uns aus dem Kampf der Parteien gerettet.
Wenn es gescheitert wäre, -- dürfen wir wohl heute fragen -- welches Straf¬
recht würde uns das künftige deutsche Parlament bescheeren, das ungeboren
im Schoß der Zukunft schlummert, von dem kein Sterblicher vorauszusagen
vermag, ob die Liberalen die Majorität haben werden, von dem aber gewiß
ist, daß zu vorübergehenden Bündnissen leicht die Männer des Rückschritts
aus dem Norden streitbare Freunde finden werden an den Dunkelmännern
des Südens?

Freuen wir uns daher des Gewonnenen und hoffen wir, daß recht bald
eine Deutsche Strafgerichts- und Strafproceßordnung uns die einheitliche
Auslegung unsres Strafgesetzes sichert.




Alöert Hppermann's letztes Werk.
Von Karl Braun. II.
(Schluß).

Es kann nicht meine Absicht sein, den Plan der Handlung bis ins Ein-
zelne zu verfolgen, von jener Zeit an, wo das Kurfürstenthum Hannover par
Zistaves regiert wurde durch einen geistig blinden König, und zwar in einer
Art, daß damals ein Anwalt an seine Clientin schreibt: "Den Plan einer
Jmmediat-Eingabe an den König geben Sie nur gänzlich auf; denn erstens
ist bei namhafter Strafe verboten. Seine Majestät mit Jmmediat-Eingaben
zu belästigen; zweitens leidet aber Seine Majestät dermalen an Irrsinn;
drittens geht jedes Jmmediatgesuch an das Geheimrathscollegium in Hanno¬
ver, und dort würde Ihres, welches die Interessen des Grafen S. verletzt,
wahrscheinlich zurückgehalten werden; endlich viertens aber, wenn es auch glück¬
lich nach London zurückkäme, so würde fast mit avodictischer Gewißheit an-


verderblichste Maske, in welcher jemals der Particularismus vor das Parla¬
ment getreten war; so verführerisch, daß sie die Majorität des Parlamentes
ebenso wie die Vertreter der Regierung vollkommen berückt hatte — bis
plötzlich der Kanzler selbst von Varzin gen Berlin aufbrach, mit seinem klaren
Blick das Trugbild durchschaute, und mit seinem entscheidenden Wort die
größte Gefahr, die dem Gesetz drohen konnte, energisch zurückwies.

Mit der kleinsten Majorität, die jemals ein wichtiges Gesetz in Nord¬
deutschland gefunden, ward dieses uns aus dem Kampf der Parteien gerettet.
Wenn es gescheitert wäre, — dürfen wir wohl heute fragen — welches Straf¬
recht würde uns das künftige deutsche Parlament bescheeren, das ungeboren
im Schoß der Zukunft schlummert, von dem kein Sterblicher vorauszusagen
vermag, ob die Liberalen die Majorität haben werden, von dem aber gewiß
ist, daß zu vorübergehenden Bündnissen leicht die Männer des Rückschritts
aus dem Norden streitbare Freunde finden werden an den Dunkelmännern
des Südens?

Freuen wir uns daher des Gewonnenen und hoffen wir, daß recht bald
eine Deutsche Strafgerichts- und Strafproceßordnung uns die einheitliche
Auslegung unsres Strafgesetzes sichert.




Alöert Hppermann's letztes Werk.
Von Karl Braun. II.
(Schluß).

Es kann nicht meine Absicht sein, den Plan der Handlung bis ins Ein-
zelne zu verfolgen, von jener Zeit an, wo das Kurfürstenthum Hannover par
Zistaves regiert wurde durch einen geistig blinden König, und zwar in einer
Art, daß damals ein Anwalt an seine Clientin schreibt: „Den Plan einer
Jmmediat-Eingabe an den König geben Sie nur gänzlich auf; denn erstens
ist bei namhafter Strafe verboten. Seine Majestät mit Jmmediat-Eingaben
zu belästigen; zweitens leidet aber Seine Majestät dermalen an Irrsinn;
drittens geht jedes Jmmediatgesuch an das Geheimrathscollegium in Hanno¬
ver, und dort würde Ihres, welches die Interessen des Grafen S. verletzt,
wahrscheinlich zurückgehalten werden; endlich viertens aber, wenn es auch glück¬
lich nach London zurückkäme, so würde fast mit avodictischer Gewißheit an-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0094" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125338"/>
          <p xml:id="ID_346" prev="#ID_345"> verderblichste Maske, in welcher jemals der Particularismus vor das Parla¬<lb/>
ment getreten war; so verführerisch, daß sie die Majorität des Parlamentes<lb/>
ebenso wie die Vertreter der Regierung vollkommen berückt hatte &#x2014; bis<lb/>
plötzlich der Kanzler selbst von Varzin gen Berlin aufbrach, mit seinem klaren<lb/>
Blick das Trugbild durchschaute, und mit seinem entscheidenden Wort die<lb/>
größte Gefahr, die dem Gesetz drohen konnte, energisch zurückwies.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_347"> Mit der kleinsten Majorität, die jemals ein wichtiges Gesetz in Nord¬<lb/>
deutschland gefunden, ward dieses uns aus dem Kampf der Parteien gerettet.<lb/>
Wenn es gescheitert wäre, &#x2014; dürfen wir wohl heute fragen &#x2014; welches Straf¬<lb/>
recht würde uns das künftige deutsche Parlament bescheeren, das ungeboren<lb/>
im Schoß der Zukunft schlummert, von dem kein Sterblicher vorauszusagen<lb/>
vermag, ob die Liberalen die Majorität haben werden, von dem aber gewiß<lb/>
ist, daß zu vorübergehenden Bündnissen leicht die Männer des Rückschritts<lb/>
aus dem Norden streitbare Freunde finden werden an den Dunkelmännern<lb/>
des Südens?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_348"> Freuen wir uns daher des Gewonnenen und hoffen wir, daß recht bald<lb/>
eine Deutsche Strafgerichts- und Strafproceßordnung uns die einheitliche<lb/>
Auslegung unsres Strafgesetzes sichert.</p><lb/>
          <note type="byline"/><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Alöert Hppermann's letztes Werk.<lb/><note type="byline"> Von Karl Braun.</note> II.<lb/>
(Schluß).</head><lb/>
          <p xml:id="ID_349" next="#ID_350"> Es kann nicht meine Absicht sein, den Plan der Handlung bis ins Ein-<lb/>
zelne zu verfolgen, von jener Zeit an, wo das Kurfürstenthum Hannover par<lb/>
Zistaves regiert wurde durch einen geistig blinden König, und zwar in einer<lb/>
Art, daß damals ein Anwalt an seine Clientin schreibt: &#x201E;Den Plan einer<lb/>
Jmmediat-Eingabe an den König geben Sie nur gänzlich auf; denn erstens<lb/>
ist bei namhafter Strafe verboten. Seine Majestät mit Jmmediat-Eingaben<lb/>
zu belästigen; zweitens leidet aber Seine Majestät dermalen an Irrsinn;<lb/>
drittens geht jedes Jmmediatgesuch an das Geheimrathscollegium in Hanno¬<lb/>
ver, und dort würde Ihres, welches die Interessen des Grafen S. verletzt,<lb/>
wahrscheinlich zurückgehalten werden; endlich viertens aber, wenn es auch glück¬<lb/>
lich nach London zurückkäme, so würde fast mit avodictischer Gewißheit an-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0094] verderblichste Maske, in welcher jemals der Particularismus vor das Parla¬ ment getreten war; so verführerisch, daß sie die Majorität des Parlamentes ebenso wie die Vertreter der Regierung vollkommen berückt hatte — bis plötzlich der Kanzler selbst von Varzin gen Berlin aufbrach, mit seinem klaren Blick das Trugbild durchschaute, und mit seinem entscheidenden Wort die größte Gefahr, die dem Gesetz drohen konnte, energisch zurückwies. Mit der kleinsten Majorität, die jemals ein wichtiges Gesetz in Nord¬ deutschland gefunden, ward dieses uns aus dem Kampf der Parteien gerettet. Wenn es gescheitert wäre, — dürfen wir wohl heute fragen — welches Straf¬ recht würde uns das künftige deutsche Parlament bescheeren, das ungeboren im Schoß der Zukunft schlummert, von dem kein Sterblicher vorauszusagen vermag, ob die Liberalen die Majorität haben werden, von dem aber gewiß ist, daß zu vorübergehenden Bündnissen leicht die Männer des Rückschritts aus dem Norden streitbare Freunde finden werden an den Dunkelmännern des Südens? Freuen wir uns daher des Gewonnenen und hoffen wir, daß recht bald eine Deutsche Strafgerichts- und Strafproceßordnung uns die einheitliche Auslegung unsres Strafgesetzes sichert. Alöert Hppermann's letztes Werk. Von Karl Braun. II. (Schluß). Es kann nicht meine Absicht sein, den Plan der Handlung bis ins Ein- zelne zu verfolgen, von jener Zeit an, wo das Kurfürstenthum Hannover par Zistaves regiert wurde durch einen geistig blinden König, und zwar in einer Art, daß damals ein Anwalt an seine Clientin schreibt: „Den Plan einer Jmmediat-Eingabe an den König geben Sie nur gänzlich auf; denn erstens ist bei namhafter Strafe verboten. Seine Majestät mit Jmmediat-Eingaben zu belästigen; zweitens leidet aber Seine Majestät dermalen an Irrsinn; drittens geht jedes Jmmediatgesuch an das Geheimrathscollegium in Hanno¬ ver, und dort würde Ihres, welches die Interessen des Grafen S. verletzt, wahrscheinlich zurückgehalten werden; endlich viertens aber, wenn es auch glück¬ lich nach London zurückkäme, so würde fast mit avodictischer Gewißheit an-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/94
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/94>, abgerufen am 29.06.2024.