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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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game der Staatsgewalt u. s. w. ward die correcte Formel gefunden. Hinfort
war der Widerstand gegen unrechtmäßige Handlungen der Beamten, Militär¬
personen u. f. w. straflos. Aber den wichtigsten Fortschritt in Betreff aller so¬
genannten "politischen Vergehen" bezeichnete die Annahme des Laster'schen An¬
trags, wonach überall da, wo das Gesetz die Wahl läßt zwischen Festungshaft
und Zuchthausstrafe, die letztere nur dann erkannt werden darf, wenn die ehr¬
lose Gesinnung des Thäters ausdrücklich festgestellt ist. Da nun weiter dem
Reichstag gelang, bei fast allen politischen Vergehen, außer dem gemeinen
schweren Landesverrat!) und diesem in moralischer Hinsicht gleichstehenden
Verbrechen, die Alternative von Festungshaft neben der Zuchthausstrafdrohung
ins Gesetz einzuführen, fo darf wohl behauptet werden, daß die Bestimmungen
des deutschen Strafgesetzbuchs über politische Vergehen zu den liberalsten und
mildesten der ganzen Welt gehören. Nie wieder wird, wenn uns jemals eine
Reaction wie diejenige der fünfziger Jahre beschieden sein könnte, möglich
sein, an der Hand dieses Gesetzes, den politisch-mißliebigen Mann in die ent¬
ehrende Unfreiheit des Zuchthauses zu stürzen.

Die freimüthigen Organe großer Culturvölker, die uns in trüben Tagen
Vorbilder gewesen sind für die einheitliche Gestaltung des Staates, wie für
die unantastbare Freiheit der Bürger haben ihren Landsleuten offen verkün¬
det, daß Deutschland an seinem Strafgesetzbuch ein Palladium des Rechts
und der Freiheit gewonnen habe, wie es jenen vorgeschrittenen Nationen selbst
noch mangle. Die Nordamerikanische Union, selbst die Schweiz, entbehrt noch
heute der Einheit des Strafrechts; England mindestens einer, modernen An¬
schauungen genügenden Codification. Mit Verwunderung sind jene Nationen
daher jenen Wochen der Berathung des Parlaments gefolgt, als das große
wichtige Gesetz an der von den Regierungen geforderten Beibehaltung der
Todesstrafe scheitern zu wollen schien. Sie nannten das mit harten Worten
einen Streich von Abderiten, sie erklärten die Herabsetzung der Diebstahls¬
strafen allein schon für eine viel wichtigere praktische Errungenschaft, als die
Beibehaltung oder Aufhebung der Todesstrafe, zumal wenn die Todesstrafe
in Zeiten öffentlicher Unruhen, im Belagerungszustand und im Kriege daneben
ungeschmälert fortbestand. Sie zeigten indessen auch in diesen Urtheilen die
Anschauungen des Fremden. Der deutsche Mann ist von jungen Jahren an
so sehr gewöhnt, die Frage der Todesstrafe als Gewissensfrage zu behandeln,
daß wir keinen der Abgeordneten schelten, die um ihrer sittlichen Ueberzeugung
willen, bereit waren, an der Todesstrafe das Gesetz scheitern zu lassen.

Aber weit verderblicher, als das?Scheitern des Gesetzes selbst, hätten wir
den Schaden gehalten, der noch in letzter Stunde der Rechtseinheit drohte
durch den Antrag, daß in den Bundesstaaten, wo die Todesstrafe einmal
abgeschafft war, sie aufgehoben bleiben sollte. Es war die verlockendste und


game der Staatsgewalt u. s. w. ward die correcte Formel gefunden. Hinfort
war der Widerstand gegen unrechtmäßige Handlungen der Beamten, Militär¬
personen u. f. w. straflos. Aber den wichtigsten Fortschritt in Betreff aller so¬
genannten „politischen Vergehen" bezeichnete die Annahme des Laster'schen An¬
trags, wonach überall da, wo das Gesetz die Wahl läßt zwischen Festungshaft
und Zuchthausstrafe, die letztere nur dann erkannt werden darf, wenn die ehr¬
lose Gesinnung des Thäters ausdrücklich festgestellt ist. Da nun weiter dem
Reichstag gelang, bei fast allen politischen Vergehen, außer dem gemeinen
schweren Landesverrat!) und diesem in moralischer Hinsicht gleichstehenden
Verbrechen, die Alternative von Festungshaft neben der Zuchthausstrafdrohung
ins Gesetz einzuführen, fo darf wohl behauptet werden, daß die Bestimmungen
des deutschen Strafgesetzbuchs über politische Vergehen zu den liberalsten und
mildesten der ganzen Welt gehören. Nie wieder wird, wenn uns jemals eine
Reaction wie diejenige der fünfziger Jahre beschieden sein könnte, möglich
sein, an der Hand dieses Gesetzes, den politisch-mißliebigen Mann in die ent¬
ehrende Unfreiheit des Zuchthauses zu stürzen.

Die freimüthigen Organe großer Culturvölker, die uns in trüben Tagen
Vorbilder gewesen sind für die einheitliche Gestaltung des Staates, wie für
die unantastbare Freiheit der Bürger haben ihren Landsleuten offen verkün¬
det, daß Deutschland an seinem Strafgesetzbuch ein Palladium des Rechts
und der Freiheit gewonnen habe, wie es jenen vorgeschrittenen Nationen selbst
noch mangle. Die Nordamerikanische Union, selbst die Schweiz, entbehrt noch
heute der Einheit des Strafrechts; England mindestens einer, modernen An¬
schauungen genügenden Codification. Mit Verwunderung sind jene Nationen
daher jenen Wochen der Berathung des Parlaments gefolgt, als das große
wichtige Gesetz an der von den Regierungen geforderten Beibehaltung der
Todesstrafe scheitern zu wollen schien. Sie nannten das mit harten Worten
einen Streich von Abderiten, sie erklärten die Herabsetzung der Diebstahls¬
strafen allein schon für eine viel wichtigere praktische Errungenschaft, als die
Beibehaltung oder Aufhebung der Todesstrafe, zumal wenn die Todesstrafe
in Zeiten öffentlicher Unruhen, im Belagerungszustand und im Kriege daneben
ungeschmälert fortbestand. Sie zeigten indessen auch in diesen Urtheilen die
Anschauungen des Fremden. Der deutsche Mann ist von jungen Jahren an
so sehr gewöhnt, die Frage der Todesstrafe als Gewissensfrage zu behandeln,
daß wir keinen der Abgeordneten schelten, die um ihrer sittlichen Ueberzeugung
willen, bereit waren, an der Todesstrafe das Gesetz scheitern zu lassen.

Aber weit verderblicher, als das?Scheitern des Gesetzes selbst, hätten wir
den Schaden gehalten, der noch in letzter Stunde der Rechtseinheit drohte
durch den Antrag, daß in den Bundesstaaten, wo die Todesstrafe einmal
abgeschafft war, sie aufgehoben bleiben sollte. Es war die verlockendste und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/93>, abgerufen am 29.06.2024.