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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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die Bundesregierungen nach den Vorarbeiten der Redactionscommission dem
Reichstag vorlegten, das preußische Gesetz in sehr wichtigen Bestimmungen.
Wir führen nur die hervorragendsten auf. Die Todesstrafe war von vier¬
zehn auf vier Fälle herabgesetzt, die Zuchthausstrafe von zwanzig auf fünf¬
zehn, die Festungshaft von zwanzig auf zehn Jahre im Maximalmaß; das
Mindestmaß der Zuchthausstrafe dagegen auf die Hälfte (von zwei Jahren
auf ein Jahr) ermäßigt, das höchste Maß der Einzelhaft auf sechs Jahre;
daneben das sogenannte Beurlaubungssystem eingeführt. Die Ehrenstrafen
infolge gemeiner Verbrechen sollten, wie bereits erwähnt, nur auf Zeit (bei
Zuchthaus höchstens auf zehn, bei Gefängniß höchstens auf fünf Jahre) er¬
kannt werden dürfen, und obendrein hatte im einzelnen Falle der Richter die
Entscheidung darüber, ob neben der gesetzlichen Hauptstrafe der Verlust der
bürgerlichen Ehrenrechte eintreten solle oder nicht. Dieselbe Beschränkung
galt hinsichtlich der Stellung des Verbrechers unter Polizeiaufsicht; diese
Aufsicht selbst war weniger demüthigend als vordem. Der Versuch sollte bei
Vergehen nur dann strafbar sein, wenn er ausdrücklich für strafbar erklärt
ist, und stets milder geahndet werden, als das vollendete Verbrechen. Nur
noch Mitthäter, Anstifter und Gehilfen wurden vom Entwurf als Theilneh-
mer strafbarer Handlungen angesehen. Der Rückfall wurde nur bei den aus
gemeinster Gesinnung entsprungenen Eigenthumsvergehen u. f. w. (wie bet
Raub, Hehlerei, Unterschlagung :c.) als Strafschärfungsgrund festgesetzt, im
Uebrigen aber fiel der Rückfall als allgemeiner Strafschärfungsgrund weg.
Dagegen war hinfort auch gegen erkannte Strafen die Verjährung zulässig,
und eine Gesammtstrafe bei Concurrenz strafbarer Handlungen. Der Kreis
der Strafmilderungs-, der Strafausschließungsgründe, der Antragsvergehen
und der mildernden Umstände war erheblich erweitert, in einer großen An¬
zahl von Fällen das geringste Maß der Strafe durchaus ins freie Ermessen
des Richters gestellt, also die Strafminima des preußischen Strafrechts
beseitigt.

Auf dieser humanen, der hohen Cultur des deutschen Volkes durchaus
würdigen Bahn, welche der Entwurf des norddeutschen Strafgesetzbuchs schon
einhielt, haben nun die Verhandlungen des Reichstags eine mächtige Srrecke
weiter geführt. Die Verbesserungen, welche der Reichstag in Wochen-, ja
monatelangen Berathungen in den Entwurf einführte, sind so zahlreich, so
bedeutend und von so grundsätzlicher Wichtigkeit, daß hier eine Aufzählung
der Hunderte von angenommenen und verworfenen Amendements selbstver¬
ständlich nicht versucht werden kann. Ja, kaum die Gruppirung der wesent¬
lichsten Verbesserungen, die der Reichstag durchsetzte, ist möglich, ohne bemer-
kenswerthe Aenderungen zu übergehen. So mag hier, ohne Anspruch auf
Vollständigkeit, welche doch nur die bogenlange Abhandlung einer Fachschrift


die Bundesregierungen nach den Vorarbeiten der Redactionscommission dem
Reichstag vorlegten, das preußische Gesetz in sehr wichtigen Bestimmungen.
Wir führen nur die hervorragendsten auf. Die Todesstrafe war von vier¬
zehn auf vier Fälle herabgesetzt, die Zuchthausstrafe von zwanzig auf fünf¬
zehn, die Festungshaft von zwanzig auf zehn Jahre im Maximalmaß; das
Mindestmaß der Zuchthausstrafe dagegen auf die Hälfte (von zwei Jahren
auf ein Jahr) ermäßigt, das höchste Maß der Einzelhaft auf sechs Jahre;
daneben das sogenannte Beurlaubungssystem eingeführt. Die Ehrenstrafen
infolge gemeiner Verbrechen sollten, wie bereits erwähnt, nur auf Zeit (bei
Zuchthaus höchstens auf zehn, bei Gefängniß höchstens auf fünf Jahre) er¬
kannt werden dürfen, und obendrein hatte im einzelnen Falle der Richter die
Entscheidung darüber, ob neben der gesetzlichen Hauptstrafe der Verlust der
bürgerlichen Ehrenrechte eintreten solle oder nicht. Dieselbe Beschränkung
galt hinsichtlich der Stellung des Verbrechers unter Polizeiaufsicht; diese
Aufsicht selbst war weniger demüthigend als vordem. Der Versuch sollte bei
Vergehen nur dann strafbar sein, wenn er ausdrücklich für strafbar erklärt
ist, und stets milder geahndet werden, als das vollendete Verbrechen. Nur
noch Mitthäter, Anstifter und Gehilfen wurden vom Entwurf als Theilneh-
mer strafbarer Handlungen angesehen. Der Rückfall wurde nur bei den aus
gemeinster Gesinnung entsprungenen Eigenthumsvergehen u. f. w. (wie bet
Raub, Hehlerei, Unterschlagung :c.) als Strafschärfungsgrund festgesetzt, im
Uebrigen aber fiel der Rückfall als allgemeiner Strafschärfungsgrund weg.
Dagegen war hinfort auch gegen erkannte Strafen die Verjährung zulässig,
und eine Gesammtstrafe bei Concurrenz strafbarer Handlungen. Der Kreis
der Strafmilderungs-, der Strafausschließungsgründe, der Antragsvergehen
und der mildernden Umstände war erheblich erweitert, in einer großen An¬
zahl von Fällen das geringste Maß der Strafe durchaus ins freie Ermessen
des Richters gestellt, also die Strafminima des preußischen Strafrechts
beseitigt.

Auf dieser humanen, der hohen Cultur des deutschen Volkes durchaus
würdigen Bahn, welche der Entwurf des norddeutschen Strafgesetzbuchs schon
einhielt, haben nun die Verhandlungen des Reichstags eine mächtige Srrecke
weiter geführt. Die Verbesserungen, welche der Reichstag in Wochen-, ja
monatelangen Berathungen in den Entwurf einführte, sind so zahlreich, so
bedeutend und von so grundsätzlicher Wichtigkeit, daß hier eine Aufzählung
der Hunderte von angenommenen und verworfenen Amendements selbstver¬
ständlich nicht versucht werden kann. Ja, kaum die Gruppirung der wesent¬
lichsten Verbesserungen, die der Reichstag durchsetzte, ist möglich, ohne bemer-
kenswerthe Aenderungen zu übergehen. So mag hier, ohne Anspruch auf
Vollständigkeit, welche doch nur die bogenlange Abhandlung einer Fachschrift


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[0091] die Bundesregierungen nach den Vorarbeiten der Redactionscommission dem Reichstag vorlegten, das preußische Gesetz in sehr wichtigen Bestimmungen. Wir führen nur die hervorragendsten auf. Die Todesstrafe war von vier¬ zehn auf vier Fälle herabgesetzt, die Zuchthausstrafe von zwanzig auf fünf¬ zehn, die Festungshaft von zwanzig auf zehn Jahre im Maximalmaß; das Mindestmaß der Zuchthausstrafe dagegen auf die Hälfte (von zwei Jahren auf ein Jahr) ermäßigt, das höchste Maß der Einzelhaft auf sechs Jahre; daneben das sogenannte Beurlaubungssystem eingeführt. Die Ehrenstrafen infolge gemeiner Verbrechen sollten, wie bereits erwähnt, nur auf Zeit (bei Zuchthaus höchstens auf zehn, bei Gefängniß höchstens auf fünf Jahre) er¬ kannt werden dürfen, und obendrein hatte im einzelnen Falle der Richter die Entscheidung darüber, ob neben der gesetzlichen Hauptstrafe der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte eintreten solle oder nicht. Dieselbe Beschränkung galt hinsichtlich der Stellung des Verbrechers unter Polizeiaufsicht; diese Aufsicht selbst war weniger demüthigend als vordem. Der Versuch sollte bei Vergehen nur dann strafbar sein, wenn er ausdrücklich für strafbar erklärt ist, und stets milder geahndet werden, als das vollendete Verbrechen. Nur noch Mitthäter, Anstifter und Gehilfen wurden vom Entwurf als Theilneh- mer strafbarer Handlungen angesehen. Der Rückfall wurde nur bei den aus gemeinster Gesinnung entsprungenen Eigenthumsvergehen u. f. w. (wie bet Raub, Hehlerei, Unterschlagung :c.) als Strafschärfungsgrund festgesetzt, im Uebrigen aber fiel der Rückfall als allgemeiner Strafschärfungsgrund weg. Dagegen war hinfort auch gegen erkannte Strafen die Verjährung zulässig, und eine Gesammtstrafe bei Concurrenz strafbarer Handlungen. Der Kreis der Strafmilderungs-, der Strafausschließungsgründe, der Antragsvergehen und der mildernden Umstände war erheblich erweitert, in einer großen An¬ zahl von Fällen das geringste Maß der Strafe durchaus ins freie Ermessen des Richters gestellt, also die Strafminima des preußischen Strafrechts beseitigt. Auf dieser humanen, der hohen Cultur des deutschen Volkes durchaus würdigen Bahn, welche der Entwurf des norddeutschen Strafgesetzbuchs schon einhielt, haben nun die Verhandlungen des Reichstags eine mächtige Srrecke weiter geführt. Die Verbesserungen, welche der Reichstag in Wochen-, ja monatelangen Berathungen in den Entwurf einführte, sind so zahlreich, so bedeutend und von so grundsätzlicher Wichtigkeit, daß hier eine Aufzählung der Hunderte von angenommenen und verworfenen Amendements selbstver¬ ständlich nicht versucht werden kann. Ja, kaum die Gruppirung der wesent¬ lichsten Verbesserungen, die der Reichstag durchsetzte, ist möglich, ohne bemer- kenswerthe Aenderungen zu übergehen. So mag hier, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, welche doch nur die bogenlange Abhandlung einer Fachschrift

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/91>, abgerufen am 29.06.2024.