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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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wählen die Klerikalen in Rheinland und Westphalen den unerwarteten Wahl¬
sieg davongetragen, sprang z. B. das Organ des Herrn Bissing mit Einem
Satz aus dem Förderalismus in den Unitarismus hinüber und begann sofort
die bisherigen nationalen als die zukünftigen Particularisten zu verhöhnen.
Daß der ehrenwerthe Herr Abgeordnete diesen Standpunkt nicht auch in der
Kammer offen und laut bekannte, wird seinen guten Grund in dem bereits
angedeuteten Strategem haben, der Gegenpartei so wenig wie möglich Anlaß
zu einem heftigen Strauß zu bieten, der, wie die Dinge lagen, für das An¬
sehen der Ultramontanen bei ihren Getreuen sehr gefährlich hätte ausfallen
können. Schade nur, daß ihr anhänglichster Gesinnungsgenosse in der
1. Kammer, Graf Leiningen-Billigheim, sich über diese Rücksicht hinwegsetzte,
und die Versicherung seines Mangels an Interesse für die Forteristenz des
badischen Staates sogar durch einen Ausfall auf die Dynastie bekräftigen zu
müssen glaubte, wofür er dann selbstverständlich den Ordnungsruf erntete.
Da sind die schwarzen Herren in der 2. Kammer freilich bessere Politiker.
Indeß, eine Klippe schob sich ihnen doch in den Weg, an der sie nicht vorüber"
segeln konnten, ohne Farbe zu bekennen: die Adresse an den Großherzog.
Sie stimmten gegen dieselbe, hüteten sich aber, dies Votum auch nur mit
Einem Worte zu begründen. War auch nicht nöthig. Wenn man den Ver¬
trägen zugestimmt hatte, so konnte die Verwerfung der Adresse nur die Eine
Bedeutung haben: der Staat Baden mitsammt seiner Dynastie ist für uns
nicht mehr vorhanden. -- In der That, ein lustiges Schauspiel: die Particu¬
laristen von ehedem in Zukunft die entschiedenen Unitarier! Doch könnte es
nichts schaden, wenn die deutschen Staatsmänner diese Erscheinung auch zum
Gegenstand ernsteren Nachdenkens machen wollten.

Mit ungetrübtem Ergötzen dagegen darf man das Walten der badischen
sog. Demokratie betrachten. Was dieselbe eigentlich will, wer vermag es
zu ergründen? Alle vernünftigen demokratischen Elemente sind in Baden mit
der nationalliberalen Partei verschmolzen, die z. B. im letzten Winter eine
Gemeindeordnung geschaffen hat, so demokratisch, wie kaum eine in der Welt.
Lediglich jenes kleine Häuflein windiger Phrasenhelden, deren Weisheit jeder
Frage des praktischen Lebens gegenüber sich zur absoluten Negation verflüchtigt,
ist es. was in Baden unter dem Namen der Demokratie sigurirt. Ihre bis¬
herige Bedeutung im Lande verdankt sie dem Bündniß mit dem Schwarz¬
rock. Nun dieser aber fortan mit den conservativen Freunden des Herrn von
Muster besser zu fahren meint, wird ihr kaum etwas Anderes übrig bleiben,
als sich in ihre Toga zu hüllen und in ihres Nichts durchbohrendem Gefühle
geräuschlos zu verenden. Nur Eine Oase ist ihr in dieser "verpreußten"
Wüste geblieben. In einer etwas seltsamen Laune hat die Weltgeschichte auf
dem Boden der ehemaligen Hofstatt der pfälzischen Wittelsbacher, freilich erst


wählen die Klerikalen in Rheinland und Westphalen den unerwarteten Wahl¬
sieg davongetragen, sprang z. B. das Organ des Herrn Bissing mit Einem
Satz aus dem Förderalismus in den Unitarismus hinüber und begann sofort
die bisherigen nationalen als die zukünftigen Particularisten zu verhöhnen.
Daß der ehrenwerthe Herr Abgeordnete diesen Standpunkt nicht auch in der
Kammer offen und laut bekannte, wird seinen guten Grund in dem bereits
angedeuteten Strategem haben, der Gegenpartei so wenig wie möglich Anlaß
zu einem heftigen Strauß zu bieten, der, wie die Dinge lagen, für das An¬
sehen der Ultramontanen bei ihren Getreuen sehr gefährlich hätte ausfallen
können. Schade nur, daß ihr anhänglichster Gesinnungsgenosse in der
1. Kammer, Graf Leiningen-Billigheim, sich über diese Rücksicht hinwegsetzte,
und die Versicherung seines Mangels an Interesse für die Forteristenz des
badischen Staates sogar durch einen Ausfall auf die Dynastie bekräftigen zu
müssen glaubte, wofür er dann selbstverständlich den Ordnungsruf erntete.
Da sind die schwarzen Herren in der 2. Kammer freilich bessere Politiker.
Indeß, eine Klippe schob sich ihnen doch in den Weg, an der sie nicht vorüber«
segeln konnten, ohne Farbe zu bekennen: die Adresse an den Großherzog.
Sie stimmten gegen dieselbe, hüteten sich aber, dies Votum auch nur mit
Einem Worte zu begründen. War auch nicht nöthig. Wenn man den Ver¬
trägen zugestimmt hatte, so konnte die Verwerfung der Adresse nur die Eine
Bedeutung haben: der Staat Baden mitsammt seiner Dynastie ist für uns
nicht mehr vorhanden. — In der That, ein lustiges Schauspiel: die Particu¬
laristen von ehedem in Zukunft die entschiedenen Unitarier! Doch könnte es
nichts schaden, wenn die deutschen Staatsmänner diese Erscheinung auch zum
Gegenstand ernsteren Nachdenkens machen wollten.

Mit ungetrübtem Ergötzen dagegen darf man das Walten der badischen
sog. Demokratie betrachten. Was dieselbe eigentlich will, wer vermag es
zu ergründen? Alle vernünftigen demokratischen Elemente sind in Baden mit
der nationalliberalen Partei verschmolzen, die z. B. im letzten Winter eine
Gemeindeordnung geschaffen hat, so demokratisch, wie kaum eine in der Welt.
Lediglich jenes kleine Häuflein windiger Phrasenhelden, deren Weisheit jeder
Frage des praktischen Lebens gegenüber sich zur absoluten Negation verflüchtigt,
ist es. was in Baden unter dem Namen der Demokratie sigurirt. Ihre bis¬
herige Bedeutung im Lande verdankt sie dem Bündniß mit dem Schwarz¬
rock. Nun dieser aber fortan mit den conservativen Freunden des Herrn von
Muster besser zu fahren meint, wird ihr kaum etwas Anderes übrig bleiben,
als sich in ihre Toga zu hüllen und in ihres Nichts durchbohrendem Gefühle
geräuschlos zu verenden. Nur Eine Oase ist ihr in dieser „verpreußten"
Wüste geblieben. In einer etwas seltsamen Laune hat die Weltgeschichte auf
dem Boden der ehemaligen Hofstatt der pfälzischen Wittelsbacher, freilich erst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/83>, abgerufen am 28.09.2024.