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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Führung, was Wunder, wenn man begierig war, wie sie heute ihre alten
Principien vertheidigen würden? Etwas dergleichen hatte Baumstark vor
2--3 Monaten in einer Broschüre versucht. Der wunderliche Mann unter¬
fing sich damals nachzuweisen, daß die bisherigen Ereignisse der von seiner
Partei verfolgten deutschen Politik "in allen wesentlichen Beziehungen ebenso
sehr Recht gegeben haben, als die Bestrebungen und Behauptungen der
nationalliberalen Partei durch eben die bisherigen Ereignisse zurückgewiesen
und widerlegt worden seien." Nun, die Qualität der Ereignisse hatte sich
seitdem durchaus nicht verändert; mit Recht durfte man also jetzt eine Wieder¬
holung, resp. Erweiterung der gleichen Beweisführung erwarten. Statt dessen,
was geschah? Herr Baumstark gab Namens seiner Partei rund und nett -
die Erklärung ab, daß ihre deutsche Politik "principiell besiegt" sei, und daß
ihnen als ehrlichen deutschen Bürgern nichts übrig bleibe, als das deutsche Reich in
der nun allein noch möglichen Form zu acceptiren. In Parenthese bemerkt:
Noßhirt ging noch weiter; er trennte sich von der Bevormundung seiner
Freunde, und hielt auf eigene Faust eine Rede, wie ein nationaler vom rein¬
sten Wasser.

Der Engel des Friedens zog durch den Ständesaal, als Baumstark das
neue Evangelium in sonoren Baß verkündete. Ein lange nicht mehr ge¬
kanntes Gefühl der Versöhnung beschlich die Herzen der Hörer. Die natio¬
nale Mehrheit hatte die Besiegten in der Hand, es stand ihr frei, sie vor
den Augen des Landes zu züchtigen für die Sünden der Vergangenheit. Aber
nicht umsonst hielt ihr Baumstark sein "uodlessö odligs" entgegen; sie^ver-
schmähte das pac piceis, die schwarzen Herren kamen mit leidlich heiler Haut
davon. Und das allein war der Zweck ihrer Friedfertigkeit. Sobald der
Landtag vorüber war, gaben sie in ihren Blättern eine nochmalige Begrün¬
dung ihrer Zustimmung zu den Verträgen, und diesmal in wesentlich anderem
Tone. Sie haben -- so erklären sie -- ihre Zustimmung gegeben, "weil es
von jetzt an die Aufgabe der katholischen Volkspartei Badens sein muß, ihre
dem Volke zur Genüge bekannten und durch die Abstimmung vom 16. d. M.
in keiner Weise erschütterten Grundsätze in treuem Anschluß an die große
katholische Partei Gesammtdeutschlands mit allen gesetzlichen Mitteln inner¬
halb der Formen der neuen Reichsverfassung zu vertheidigen und ihrer Ver
wirklichung entgegenzuführen."

Da haben wir's. Die Bekämpfung des modernen Staates, die den Nöm-
lingen in den Einzelstaaten nicht gelingen wollte, wird fortan nicht mehr
gegen die provinzialen Centren, sondern gegen den kaum geborenen Mittel¬
punkt unsres gesammten Staatslebens, gegen die Reichsgewalt, gerichtet sein.
Ueberraschen konnte diese Eröffnung freilich Niemanden. An Vorboten der¬
selben hatte es nicht gefehlt. Nachdem bei den letzten preußischen Landtags-


Führung, was Wunder, wenn man begierig war, wie sie heute ihre alten
Principien vertheidigen würden? Etwas dergleichen hatte Baumstark vor
2—3 Monaten in einer Broschüre versucht. Der wunderliche Mann unter¬
fing sich damals nachzuweisen, daß die bisherigen Ereignisse der von seiner
Partei verfolgten deutschen Politik „in allen wesentlichen Beziehungen ebenso
sehr Recht gegeben haben, als die Bestrebungen und Behauptungen der
nationalliberalen Partei durch eben die bisherigen Ereignisse zurückgewiesen
und widerlegt worden seien." Nun, die Qualität der Ereignisse hatte sich
seitdem durchaus nicht verändert; mit Recht durfte man also jetzt eine Wieder¬
holung, resp. Erweiterung der gleichen Beweisführung erwarten. Statt dessen,
was geschah? Herr Baumstark gab Namens seiner Partei rund und nett -
die Erklärung ab, daß ihre deutsche Politik „principiell besiegt" sei, und daß
ihnen als ehrlichen deutschen Bürgern nichts übrig bleibe, als das deutsche Reich in
der nun allein noch möglichen Form zu acceptiren. In Parenthese bemerkt:
Noßhirt ging noch weiter; er trennte sich von der Bevormundung seiner
Freunde, und hielt auf eigene Faust eine Rede, wie ein nationaler vom rein¬
sten Wasser.

Der Engel des Friedens zog durch den Ständesaal, als Baumstark das
neue Evangelium in sonoren Baß verkündete. Ein lange nicht mehr ge¬
kanntes Gefühl der Versöhnung beschlich die Herzen der Hörer. Die natio¬
nale Mehrheit hatte die Besiegten in der Hand, es stand ihr frei, sie vor
den Augen des Landes zu züchtigen für die Sünden der Vergangenheit. Aber
nicht umsonst hielt ihr Baumstark sein „uodlessö odligs" entgegen; sie^ver-
schmähte das pac piceis, die schwarzen Herren kamen mit leidlich heiler Haut
davon. Und das allein war der Zweck ihrer Friedfertigkeit. Sobald der
Landtag vorüber war, gaben sie in ihren Blättern eine nochmalige Begrün¬
dung ihrer Zustimmung zu den Verträgen, und diesmal in wesentlich anderem
Tone. Sie haben — so erklären sie — ihre Zustimmung gegeben, „weil es
von jetzt an die Aufgabe der katholischen Volkspartei Badens sein muß, ihre
dem Volke zur Genüge bekannten und durch die Abstimmung vom 16. d. M.
in keiner Weise erschütterten Grundsätze in treuem Anschluß an die große
katholische Partei Gesammtdeutschlands mit allen gesetzlichen Mitteln inner¬
halb der Formen der neuen Reichsverfassung zu vertheidigen und ihrer Ver
wirklichung entgegenzuführen."

Da haben wir's. Die Bekämpfung des modernen Staates, die den Nöm-
lingen in den Einzelstaaten nicht gelingen wollte, wird fortan nicht mehr
gegen die provinzialen Centren, sondern gegen den kaum geborenen Mittel¬
punkt unsres gesammten Staatslebens, gegen die Reichsgewalt, gerichtet sein.
Ueberraschen konnte diese Eröffnung freilich Niemanden. An Vorboten der¬
selben hatte es nicht gefehlt. Nachdem bei den letzten preußischen Landtags-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/82>, abgerufen am 29.06.2024.