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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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gebildeten Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten die gefürchtete Spitze
abzubrechen. Durch eine protoeollarische Festsetzung, welche dem nächsten
Reichstage zur Zustimmung vorgelegt werden wird, ist nämlich bestimmt
worden, daß in jenen Ausschuß, außer den Genannten, noch zwei weitere
durch Wahl zu ernennende Stimmen eintreten sollen, wodurch die Möglich¬
keit, ihn zum Tummelplatz etwaiger Intriguen der drei mittelstaatlichen
Königreiche zu machen, von vornherein wesentlich beeinträchtigt, wenn nicht
ganz abgeschnitten wird.

Mit einiger Spannung durfte man in der 2. Kammer dem Verhalten
der Ultramontanen, oder, wie sie "sich in einer Anwandlung von jesuiti-
sehen Humor getauft haben, der "katholischen Volkspartei" entgegensehen.
Hat es doch auf dem vorigen Landtage eine gewisse Berühmtheit erlangt,
jenes schwarze "Festungsviereck", das in Tagen besonderer Gefahr sich sogar
zu einem Fünfeck erweiterte, wenn nämlich der Mannheimer Oberhofgerichts'
rath Roßhirt einmal mit voller Rüstung pro aris eintrat, während er sich
für gewöhnlich seinen Gesinnungsgenossen gegenüber mit der Rolle des fünften
Rades am Wagen begnügte. Man muß sie gesehen haben, die gewaltigen
Streiter, um zu begreifen, daß ihre Stimme unvergleichlich schwerer in die
Wagschale fallen muß, als die von vier gewöhnlichen Sterblichen. Da ist
Lindau, der Mann von robuster Lunge und "feschter Ueberzeugung", theils
Heidelberger Krämer, theils geborener Volksmann, deß Bildniß zahllose
Schnupftabaksdosen und baumwollene Sacktücher über den Erdball tragen;
da ist Bissing, ein gelehrter Mann von üppiger Fülle der Formen, unbe¬
schäftigter Privatdocent an der Universität Heidelberg und Redacteur des
"Pfälzer Boten", in der Weltstadt Baden-Baden angestaunt ob seiner philo¬
sophischen Weisheit, dem übrigen Lande bekannt durch die durchgeistigte Fein¬
heit seines Witzes, womit er z. B. auf dem vorigen Landtage den nationalen rieth,
lieber an die Ueberbrückung des übelriechenden " Landgrabens" beim Karls¬
ruher Ständehause, als an die des Mains zu denken, im Uebrigen auch in
Berlin durch seine beim Zollparlament wider die badische Regierung erho¬
bene Anklage nicht ohne eine gewisse heitere Berühmtheit; da ist ferner der
Decan Lender, Anno 49 Freischärler, heute wohlbestallter Diener des Herrn,
vor neun Monaten Anhänger der freisinnigsten.Väter des Concils, heute erge¬
benster Anbeter des unfehlbaren Papstes, ein würdiger Herr, in dessen Seele
himmlische Einfalt friedlich zusammenwohnt mit irdischer Schlauheit; da ist
endlich der Konstanzer Kreisgerichtsrath Bau mstark, Convertit und Schwär¬
mer für das Land der Kastanien, ein düsterer Mann, auf dessen breiter Stirn
die frommen Schauer sich widerspiegeln, an denen seine Seele sich tagtäglich
berauscht im Weihrauchdüfte der alleinseligmachenden Kirche. Sie Alle waren
seither die geschworenen Feinde der Einigung Deutschlands unter Preußens


1871. 10

gebildeten Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten die gefürchtete Spitze
abzubrechen. Durch eine protoeollarische Festsetzung, welche dem nächsten
Reichstage zur Zustimmung vorgelegt werden wird, ist nämlich bestimmt
worden, daß in jenen Ausschuß, außer den Genannten, noch zwei weitere
durch Wahl zu ernennende Stimmen eintreten sollen, wodurch die Möglich¬
keit, ihn zum Tummelplatz etwaiger Intriguen der drei mittelstaatlichen
Königreiche zu machen, von vornherein wesentlich beeinträchtigt, wenn nicht
ganz abgeschnitten wird.

Mit einiger Spannung durfte man in der 2. Kammer dem Verhalten
der Ultramontanen, oder, wie sie «sich in einer Anwandlung von jesuiti-
sehen Humor getauft haben, der „katholischen Volkspartei" entgegensehen.
Hat es doch auf dem vorigen Landtage eine gewisse Berühmtheit erlangt,
jenes schwarze „Festungsviereck", das in Tagen besonderer Gefahr sich sogar
zu einem Fünfeck erweiterte, wenn nämlich der Mannheimer Oberhofgerichts'
rath Roßhirt einmal mit voller Rüstung pro aris eintrat, während er sich
für gewöhnlich seinen Gesinnungsgenossen gegenüber mit der Rolle des fünften
Rades am Wagen begnügte. Man muß sie gesehen haben, die gewaltigen
Streiter, um zu begreifen, daß ihre Stimme unvergleichlich schwerer in die
Wagschale fallen muß, als die von vier gewöhnlichen Sterblichen. Da ist
Lindau, der Mann von robuster Lunge und „feschter Ueberzeugung", theils
Heidelberger Krämer, theils geborener Volksmann, deß Bildniß zahllose
Schnupftabaksdosen und baumwollene Sacktücher über den Erdball tragen;
da ist Bissing, ein gelehrter Mann von üppiger Fülle der Formen, unbe¬
schäftigter Privatdocent an der Universität Heidelberg und Redacteur des
„Pfälzer Boten", in der Weltstadt Baden-Baden angestaunt ob seiner philo¬
sophischen Weisheit, dem übrigen Lande bekannt durch die durchgeistigte Fein¬
heit seines Witzes, womit er z. B. auf dem vorigen Landtage den nationalen rieth,
lieber an die Ueberbrückung des übelriechenden „ Landgrabens" beim Karls¬
ruher Ständehause, als an die des Mains zu denken, im Uebrigen auch in
Berlin durch seine beim Zollparlament wider die badische Regierung erho¬
bene Anklage nicht ohne eine gewisse heitere Berühmtheit; da ist ferner der
Decan Lender, Anno 49 Freischärler, heute wohlbestallter Diener des Herrn,
vor neun Monaten Anhänger der freisinnigsten.Väter des Concils, heute erge¬
benster Anbeter des unfehlbaren Papstes, ein würdiger Herr, in dessen Seele
himmlische Einfalt friedlich zusammenwohnt mit irdischer Schlauheit; da ist
endlich der Konstanzer Kreisgerichtsrath Bau mstark, Convertit und Schwär¬
mer für das Land der Kastanien, ein düsterer Mann, auf dessen breiter Stirn
die frommen Schauer sich widerspiegeln, an denen seine Seele sich tagtäglich
berauscht im Weihrauchdüfte der alleinseligmachenden Kirche. Sie Alle waren
seither die geschworenen Feinde der Einigung Deutschlands unter Preußens


1871. 10
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/81>, abgerufen am 28.09.2024.