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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Kann man durch Verwirrung aufklären? frage ich. Ich will Dir sagen, wie
ich mir denke, daß Ihr zu Eurem buntscheckigen und sonderbaren Verfahren
gekommen seid. Von Eurem Wähler wollte der Eine Jncompetenz-ErM-
rung, der Andere Grundrechte; der Eine, daß Etwas, der Andere, daß Nichts
zu Stande komme, -- der Eine einen möglichst raschen Abschluß, der Andere
Aufschub und eine constituirende Versammlung oder sonst so etwas roman¬
tisches Paulskirchliches, -- der Eine wollte lieber die "ganze Freiheit", als
das "ganze Deutschland" und der Andere umgekehrt lieber das ganze Deutsch¬
land, als die ganze Freiheit, die man ja überhaupt nicht über Nacht und im
Traume bescheert kriegt.

Euere Wähler also konnten nicht einig werden. Ihr auch nicht. Aber
Ihr wollt nun einmal unter allen Umständen stets sowohl den Wünschen
Eurer Wähler entsprechen, als auch als geschlossene Partei auftreten. Was
war da zu machen? Ihr müßtet alle diese widersprechenden Dinge auf ein¬
mal beantragen. Ihr wußtet ja, schaden thut's doch nicht, Ihr seid ja
immer in der Minorität. Und so habt Ihr es denn gemacht, wie jener
Mann, der nicht blos mit den Händen, sondern mit den beiden ganzen
Vorderarmen auf dem Clavier herumtrommelte und dabei sagte: "Kinder, jetzt
spiele ich alle Melodien auf einmal."

-- Du lachst?

-- Sage selbst: Ist es nicht so? Und was würdest Du thun, wenn ich
einmal in unsrer Küche gerade so verfahren wollte? Wenn ich sagen wollte:
"Bon unsern Gästen ißt der Eine gerne süß und der Andre sauer; der
Eine gerne Fleisch und der Andre gerne Fisch; der Eine trinkt gerne Bier,
der Andre gerne Wein, und der Dritte gerne Liqueur; und weil ich nun
nicht für Jeden extra kochen kann, so schütte ich Alles, Süß und Sauer,
Wein und Bier und Liqueur und Fisch und Fleisch und Alles, was mir in
die Hand kommt, in einen Pott und koche es zusammen. Was liegt
mir daran?"

Was würdest Du, verwöhnter Mensch, auf welchen Rücksichten genom¬
men werden, die sich eigentlich gar nicht rechtfertigen lassen, für den sich eine
edle und geistreiche Frau, die wahrlich zu etwas Besserem geboren ist, zur
Köchin herabwürdigt, was würdest Du sagen zu einer solchen Kochkunst, die
ein getreues Ebenbild der Politik wäre, die Ihr treibt?

-- "Küche und Politik sind zwei verschiedene Dinge", sagst Du? Ja,
Bratenriecher, diesmal hast Du wirklich den Braten gerochen. Diesmal hast
Du Recht, nämlich wenn Du nicht von der Politik an und für sich, sondern
von Eurer Politik sprichst, -- von der Politik, wie Ihr sie treibt, Ihr Ber¬
liner Pflastertreter!

-- "Wie ich das meine", fragst Du? Nun, das ist doch einfach. Kann


Kann man durch Verwirrung aufklären? frage ich. Ich will Dir sagen, wie
ich mir denke, daß Ihr zu Eurem buntscheckigen und sonderbaren Verfahren
gekommen seid. Von Eurem Wähler wollte der Eine Jncompetenz-ErM-
rung, der Andere Grundrechte; der Eine, daß Etwas, der Andere, daß Nichts
zu Stande komme, — der Eine einen möglichst raschen Abschluß, der Andere
Aufschub und eine constituirende Versammlung oder sonst so etwas roman¬
tisches Paulskirchliches, — der Eine wollte lieber die „ganze Freiheit", als
das „ganze Deutschland" und der Andere umgekehrt lieber das ganze Deutsch¬
land, als die ganze Freiheit, die man ja überhaupt nicht über Nacht und im
Traume bescheert kriegt.

Euere Wähler also konnten nicht einig werden. Ihr auch nicht. Aber
Ihr wollt nun einmal unter allen Umständen stets sowohl den Wünschen
Eurer Wähler entsprechen, als auch als geschlossene Partei auftreten. Was
war da zu machen? Ihr müßtet alle diese widersprechenden Dinge auf ein¬
mal beantragen. Ihr wußtet ja, schaden thut's doch nicht, Ihr seid ja
immer in der Minorität. Und so habt Ihr es denn gemacht, wie jener
Mann, der nicht blos mit den Händen, sondern mit den beiden ganzen
Vorderarmen auf dem Clavier herumtrommelte und dabei sagte: „Kinder, jetzt
spiele ich alle Melodien auf einmal."

— Du lachst?

— Sage selbst: Ist es nicht so? Und was würdest Du thun, wenn ich
einmal in unsrer Küche gerade so verfahren wollte? Wenn ich sagen wollte:
„Bon unsern Gästen ißt der Eine gerne süß und der Andre sauer; der
Eine gerne Fleisch und der Andre gerne Fisch; der Eine trinkt gerne Bier,
der Andre gerne Wein, und der Dritte gerne Liqueur; und weil ich nun
nicht für Jeden extra kochen kann, so schütte ich Alles, Süß und Sauer,
Wein und Bier und Liqueur und Fisch und Fleisch und Alles, was mir in
die Hand kommt, in einen Pott und koche es zusammen. Was liegt
mir daran?"

Was würdest Du, verwöhnter Mensch, auf welchen Rücksichten genom¬
men werden, die sich eigentlich gar nicht rechtfertigen lassen, für den sich eine
edle und geistreiche Frau, die wahrlich zu etwas Besserem geboren ist, zur
Köchin herabwürdigt, was würdest Du sagen zu einer solchen Kochkunst, die
ein getreues Ebenbild der Politik wäre, die Ihr treibt?

— „Küche und Politik sind zwei verschiedene Dinge", sagst Du? Ja,
Bratenriecher, diesmal hast Du wirklich den Braten gerochen. Diesmal hast
Du Recht, nämlich wenn Du nicht von der Politik an und für sich, sondern
von Eurer Politik sprichst, — von der Politik, wie Ihr sie treibt, Ihr Ber¬
liner Pflastertreter!

— „Wie ich das meine", fragst Du? Nun, das ist doch einfach. Kann


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[0077] Kann man durch Verwirrung aufklären? frage ich. Ich will Dir sagen, wie ich mir denke, daß Ihr zu Eurem buntscheckigen und sonderbaren Verfahren gekommen seid. Von Eurem Wähler wollte der Eine Jncompetenz-ErM- rung, der Andere Grundrechte; der Eine, daß Etwas, der Andere, daß Nichts zu Stande komme, — der Eine einen möglichst raschen Abschluß, der Andere Aufschub und eine constituirende Versammlung oder sonst so etwas roman¬ tisches Paulskirchliches, — der Eine wollte lieber die „ganze Freiheit", als das „ganze Deutschland" und der Andere umgekehrt lieber das ganze Deutsch¬ land, als die ganze Freiheit, die man ja überhaupt nicht über Nacht und im Traume bescheert kriegt. Euere Wähler also konnten nicht einig werden. Ihr auch nicht. Aber Ihr wollt nun einmal unter allen Umständen stets sowohl den Wünschen Eurer Wähler entsprechen, als auch als geschlossene Partei auftreten. Was war da zu machen? Ihr müßtet alle diese widersprechenden Dinge auf ein¬ mal beantragen. Ihr wußtet ja, schaden thut's doch nicht, Ihr seid ja immer in der Minorität. Und so habt Ihr es denn gemacht, wie jener Mann, der nicht blos mit den Händen, sondern mit den beiden ganzen Vorderarmen auf dem Clavier herumtrommelte und dabei sagte: „Kinder, jetzt spiele ich alle Melodien auf einmal." — Du lachst? — Sage selbst: Ist es nicht so? Und was würdest Du thun, wenn ich einmal in unsrer Küche gerade so verfahren wollte? Wenn ich sagen wollte: „Bon unsern Gästen ißt der Eine gerne süß und der Andre sauer; der Eine gerne Fleisch und der Andre gerne Fisch; der Eine trinkt gerne Bier, der Andre gerne Wein, und der Dritte gerne Liqueur; und weil ich nun nicht für Jeden extra kochen kann, so schütte ich Alles, Süß und Sauer, Wein und Bier und Liqueur und Fisch und Fleisch und Alles, was mir in die Hand kommt, in einen Pott und koche es zusammen. Was liegt mir daran?" Was würdest Du, verwöhnter Mensch, auf welchen Rücksichten genom¬ men werden, die sich eigentlich gar nicht rechtfertigen lassen, für den sich eine edle und geistreiche Frau, die wahrlich zu etwas Besserem geboren ist, zur Köchin herabwürdigt, was würdest Du sagen zu einer solchen Kochkunst, die ein getreues Ebenbild der Politik wäre, die Ihr treibt? — „Küche und Politik sind zwei verschiedene Dinge", sagst Du? Ja, Bratenriecher, diesmal hast Du wirklich den Braten gerochen. Diesmal hast Du Recht, nämlich wenn Du nicht von der Politik an und für sich, sondern von Eurer Politik sprichst, — von der Politik, wie Ihr sie treibt, Ihr Ber¬ liner Pflastertreter! — „Wie ich das meine", fragst Du? Nun, das ist doch einfach. Kann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/77>, abgerufen am 29.06.2024.