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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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nommer. Je mehr Euer Häuflein zusammenschmilzt, desto zahlreicher wird
die schwarze Brigade. Aber was kümmert Euch das? Ihr sitzt an Euerm
alten Hexenkessel und sagt die nämlichen Sprüche her, wie vor fünfzehn Jahren,
und kocht Grundrechte, die Niemand genießen will, Ihr alten . . . Männer!

Bratenriecher, Du solltest Dir einen anderen Namen geben, Du hast den
Braten noch niemals gerochen!

-- Was sagst Du? "Die Ideale" sagst Du? "Man muß dem Volk stets
die idealen Ziele vor Augen halten?" Meinetwegen. Ich habe gar nichts da¬
gegen. Aber gleichzeitig darf man es doch nicht in den Sumpf oder in die
Patsche führen in einem Augenblicke, wo Alles darauf ankommt, daß man
den richtigen Weg wählt.

-- Also den Reichstag habt Ihr für todt und begraben, oder für incom-
petent erklärt, gleichzeitig aber ein volles Dutzend Anträge bei ihm eingebracht.
Ihr verlangt also, daß der Todte arbeitet. Der incompetente Reichstag sollte
nach' Euerm Antrage beschließen, daß ein anderer Reichstag zusammentrete
und eine neue Verfassung mache. So habt Ihr verlangt. Aber kann denn
ein incompetenter Reichstag überhaupt etwas beschließen? Und wenn der
alte incompetente Reichstag einen neuen macht, ist dann der neue nicht auch
incompetent? Wenn Vater und Mutter Kameele sind, kann denn das Kind
ein Löwe sein? Und dann mit Eurer verfassunggebenden Nationalversamm¬
lung von Achtundvierzig! Haben wir das denn nicht erlebt, daß dabei gar
nichts herauskommt? -- Ich war damals zwar noch sehr jung, Bratenriecher.
-- Was haben denn alle Euren langen Reden in der Paulskirche geholfen?
Ein einzelner Füsilier vor Paris ist mir lieber, als die ganze Paulskirche
mit all ihren Gägägägerr. Habt Ihr doch Euer Leben lang nichts gethan,
als über die "Gothaer" räsonnirt und jetzt macht Ihr es grad so. Vorne
getrommelt, und hinten keine Soldaten. Wer immer auf Anno 48 zurück
will, ist auch ein Reactionär.

Wenn Ihr behaupten wolltet, der Reichstag sei nicht berechtigt zu der
Verfassung, dann müßtet Ihr es machen, wie der alte Baron Hilgers, der
ihm einfach schrieb: "Ich komme nicht mehr". Aber Ihr schreibt ab und
kommt dann doch. Das begreife, wer kann! Ihr glaubt nicht mehr an
Euern Auftrag. Eure Mission, und wollt doch Wunder verrichten?

Eine ganze Woche lang verunreinigt Ihr den Brei, und dann eßt Ihr
ihn doch; und Ihr stimmt für die Adresse, für den Kaiser, für das Reich
und für die ganze Pastete! Ist da Musik drin? Bet der Echternacher
Sprungproeession springt man drei Schritte vor und zwei zurück. Ihr aber
springt drei vor und einen zurück. Sage mir doch endlich einmal, wie soll
man sich ein solches Verfahren erklären? Ich bin begierig!

-- "Ihr habt daS Volk durch die Debatte aufklären wollen", sagst Du?


nommer. Je mehr Euer Häuflein zusammenschmilzt, desto zahlreicher wird
die schwarze Brigade. Aber was kümmert Euch das? Ihr sitzt an Euerm
alten Hexenkessel und sagt die nämlichen Sprüche her, wie vor fünfzehn Jahren,
und kocht Grundrechte, die Niemand genießen will, Ihr alten . . . Männer!

Bratenriecher, Du solltest Dir einen anderen Namen geben, Du hast den
Braten noch niemals gerochen!

— Was sagst Du? „Die Ideale" sagst Du? „Man muß dem Volk stets
die idealen Ziele vor Augen halten?" Meinetwegen. Ich habe gar nichts da¬
gegen. Aber gleichzeitig darf man es doch nicht in den Sumpf oder in die
Patsche führen in einem Augenblicke, wo Alles darauf ankommt, daß man
den richtigen Weg wählt.

— Also den Reichstag habt Ihr für todt und begraben, oder für incom-
petent erklärt, gleichzeitig aber ein volles Dutzend Anträge bei ihm eingebracht.
Ihr verlangt also, daß der Todte arbeitet. Der incompetente Reichstag sollte
nach' Euerm Antrage beschließen, daß ein anderer Reichstag zusammentrete
und eine neue Verfassung mache. So habt Ihr verlangt. Aber kann denn
ein incompetenter Reichstag überhaupt etwas beschließen? Und wenn der
alte incompetente Reichstag einen neuen macht, ist dann der neue nicht auch
incompetent? Wenn Vater und Mutter Kameele sind, kann denn das Kind
ein Löwe sein? Und dann mit Eurer verfassunggebenden Nationalversamm¬
lung von Achtundvierzig! Haben wir das denn nicht erlebt, daß dabei gar
nichts herauskommt? — Ich war damals zwar noch sehr jung, Bratenriecher.
— Was haben denn alle Euren langen Reden in der Paulskirche geholfen?
Ein einzelner Füsilier vor Paris ist mir lieber, als die ganze Paulskirche
mit all ihren Gägägägerr. Habt Ihr doch Euer Leben lang nichts gethan,
als über die „Gothaer" räsonnirt und jetzt macht Ihr es grad so. Vorne
getrommelt, und hinten keine Soldaten. Wer immer auf Anno 48 zurück
will, ist auch ein Reactionär.

Wenn Ihr behaupten wolltet, der Reichstag sei nicht berechtigt zu der
Verfassung, dann müßtet Ihr es machen, wie der alte Baron Hilgers, der
ihm einfach schrieb: „Ich komme nicht mehr". Aber Ihr schreibt ab und
kommt dann doch. Das begreife, wer kann! Ihr glaubt nicht mehr an
Euern Auftrag. Eure Mission, und wollt doch Wunder verrichten?

Eine ganze Woche lang verunreinigt Ihr den Brei, und dann eßt Ihr
ihn doch; und Ihr stimmt für die Adresse, für den Kaiser, für das Reich
und für die ganze Pastete! Ist da Musik drin? Bet der Echternacher
Sprungproeession springt man drei Schritte vor und zwei zurück. Ihr aber
springt drei vor und einen zurück. Sage mir doch endlich einmal, wie soll
man sich ein solches Verfahren erklären? Ich bin begierig!

— „Ihr habt daS Volk durch die Debatte aufklären wollen", sagst Du?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/76>, abgerufen am 28.09.2024.