Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ich in meiner Küche mich in die Minorität schaffen, um mich aller
Pflichten und aller Verantwortlichkeit zu entladen? Kann ich in mei¬
ner Küche die weitest gehenden Anträge stellen in der sicheren Erwartung,
daß ich doch damit durchfalle. Kann ich verrückte Dinge vorschlagen, in der
Gewißheit, daß nicht ich es bin, dem die Ausführung obliegt? Kann ich
schlechte Sachen kochen in der Erwartung, daß nicht ich, sondern andere
Lieute sie essen müssen? Antworte mir! Du schweigst? Nun dann werde ich
für Dich selbst antworten.

-- Nein, Bratenriecher, das kann ich nicht! Und darin liegt der Unter¬
schied. In der Küche liegt der Knüppel beim Hund, die Pflicht beim Recht,
der Vollzug beim Beschluß, der Beschluß beim Antrag, die Verantwortlichkeit
bei Allem. Was i es koche, das muß i es essen, ich selbst. Koch' ich schlecht,
dann esse ich schlecht. Ich frage Dich weiter:

Kann ich sagen: "Ich hätt's gerne besser gemacht, aber ich bin in der
Minorität, warte doch in Geduld bis ich in die Majorität komme; freilich
kann das ein wenig lange dauern; vielleicht so ein zwanzig Jährchen und
auch noch was drüber; allein was liegt dran? zwanzig Jahre hast Du ja
schon gewartet; und wenn Du noch einmal zwanzig Jahre wartest: dann
hast Du allerdings wahrscheinlich keine Zähne mehr, wenn das gute Essen
kommt, aber Du kannst es dann doch wenigstens riechen!" Kann ich das
sagen?

Bratenriecher! Kann ich sagen: "Ja, ich möchte wohl gut kochen, aber
meine Köchin und mein Küchenmädchen leiden's nicht. Die Zwei haben die
Mehrheit gegen mich. Sie sind das souveräne Volk, sie sind die Urwähler.
Sie haben einen schlechten Geschmack, das ist wahr; und wenn ich liebe, wie
diese Zwei wollen, dann werden wir schlecht leben, ich und der Staat; (unter
dem Staat verstehe ich Dich, Bratenriecher; ich hoffe, Du wirst nicht unem¬
pfänglich sein für das Compliment, das ich Dir damit mache). Aber, was
machen? Eigentlich zwar bin i es der Führer, und die zwei Dienstboten sollten
sich von mir führen lassen. Früher war es auch so. Allein das war doch
die reine Reaction! Heut zu Tage ist es anders. Heute muß sich der Führer
führen lassen von den Geführten. Heut zu Tage muß ich kochen, wie
meine Dienstboten wollen. Denn sie sind das souveräne Volk. Das Essen ist
schlecht, das gebe ich zu; aber es ist höllisch demokratisch. Das Volk will
es, und deshalb mußt Du's hinunter schlucken." Ich frage Dich zum
dritten Male: Kann ich Das sagen?

Wenn ich Dir so käme, Bratenriecher, was würdest Du sagen? Gib
mir Antwort. Ich bestehe auf einer Antwort. Bratenriecher, antworte mir!

Du schweigst? Du stellst Dich, als wenn Du schon schliefst? Vogel
Strauß, der den Kopf in den Busch steckt und glaubt, dann sieht ihn Nie-


ich in meiner Küche mich in die Minorität schaffen, um mich aller
Pflichten und aller Verantwortlichkeit zu entladen? Kann ich in mei¬
ner Küche die weitest gehenden Anträge stellen in der sicheren Erwartung,
daß ich doch damit durchfalle. Kann ich verrückte Dinge vorschlagen, in der
Gewißheit, daß nicht ich es bin, dem die Ausführung obliegt? Kann ich
schlechte Sachen kochen in der Erwartung, daß nicht ich, sondern andere
Lieute sie essen müssen? Antworte mir! Du schweigst? Nun dann werde ich
für Dich selbst antworten.

— Nein, Bratenriecher, das kann ich nicht! Und darin liegt der Unter¬
schied. In der Küche liegt der Knüppel beim Hund, die Pflicht beim Recht,
der Vollzug beim Beschluß, der Beschluß beim Antrag, die Verantwortlichkeit
bei Allem. Was i es koche, das muß i es essen, ich selbst. Koch' ich schlecht,
dann esse ich schlecht. Ich frage Dich weiter:

Kann ich sagen: „Ich hätt's gerne besser gemacht, aber ich bin in der
Minorität, warte doch in Geduld bis ich in die Majorität komme; freilich
kann das ein wenig lange dauern; vielleicht so ein zwanzig Jährchen und
auch noch was drüber; allein was liegt dran? zwanzig Jahre hast Du ja
schon gewartet; und wenn Du noch einmal zwanzig Jahre wartest: dann
hast Du allerdings wahrscheinlich keine Zähne mehr, wenn das gute Essen
kommt, aber Du kannst es dann doch wenigstens riechen!" Kann ich das
sagen?

Bratenriecher! Kann ich sagen: „Ja, ich möchte wohl gut kochen, aber
meine Köchin und mein Küchenmädchen leiden's nicht. Die Zwei haben die
Mehrheit gegen mich. Sie sind das souveräne Volk, sie sind die Urwähler.
Sie haben einen schlechten Geschmack, das ist wahr; und wenn ich liebe, wie
diese Zwei wollen, dann werden wir schlecht leben, ich und der Staat; (unter
dem Staat verstehe ich Dich, Bratenriecher; ich hoffe, Du wirst nicht unem¬
pfänglich sein für das Compliment, das ich Dir damit mache). Aber, was
machen? Eigentlich zwar bin i es der Führer, und die zwei Dienstboten sollten
sich von mir führen lassen. Früher war es auch so. Allein das war doch
die reine Reaction! Heut zu Tage ist es anders. Heute muß sich der Führer
führen lassen von den Geführten. Heut zu Tage muß ich kochen, wie
meine Dienstboten wollen. Denn sie sind das souveräne Volk. Das Essen ist
schlecht, das gebe ich zu; aber es ist höllisch demokratisch. Das Volk will
es, und deshalb mußt Du's hinunter schlucken." Ich frage Dich zum
dritten Male: Kann ich Das sagen?

Wenn ich Dir so käme, Bratenriecher, was würdest Du sagen? Gib
mir Antwort. Ich bestehe auf einer Antwort. Bratenriecher, antworte mir!

Du schweigst? Du stellst Dich, als wenn Du schon schliefst? Vogel
Strauß, der den Kopf in den Busch steckt und glaubt, dann sieht ihn Nie-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0078" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125322"/>
            <p xml:id="ID_295" prev="#ID_294"> ich in meiner Küche mich in die Minorität schaffen, um mich aller<lb/>
Pflichten und aller Verantwortlichkeit zu entladen? Kann ich in mei¬<lb/>
ner Küche die weitest gehenden Anträge stellen in der sicheren Erwartung,<lb/>
daß ich doch damit durchfalle. Kann ich verrückte Dinge vorschlagen, in der<lb/>
Gewißheit, daß nicht ich es bin, dem die Ausführung obliegt? Kann ich<lb/>
schlechte Sachen kochen in der Erwartung, daß nicht ich, sondern andere<lb/>
Lieute sie essen müssen? Antworte mir! Du schweigst? Nun dann werde ich<lb/>
für Dich selbst antworten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_296"> &#x2014; Nein, Bratenriecher, das kann ich nicht! Und darin liegt der Unter¬<lb/>
schied. In der Küche liegt der Knüppel beim Hund, die Pflicht beim Recht,<lb/>
der Vollzug beim Beschluß, der Beschluß beim Antrag, die Verantwortlichkeit<lb/>
bei Allem. Was i es koche, das muß i es essen, ich selbst. Koch' ich schlecht,<lb/>
dann esse ich schlecht. Ich frage Dich weiter:</p><lb/>
            <p xml:id="ID_297"> Kann ich sagen: &#x201E;Ich hätt's gerne besser gemacht, aber ich bin in der<lb/>
Minorität, warte doch in Geduld bis ich in die Majorität komme; freilich<lb/>
kann das ein wenig lange dauern; vielleicht so ein zwanzig Jährchen und<lb/>
auch noch was drüber; allein was liegt dran? zwanzig Jahre hast Du ja<lb/>
schon gewartet; und wenn Du noch einmal zwanzig Jahre wartest: dann<lb/>
hast Du allerdings wahrscheinlich keine Zähne mehr, wenn das gute Essen<lb/>
kommt, aber Du kannst es dann doch wenigstens riechen!" Kann ich das<lb/>
sagen?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_298"> Bratenriecher! Kann ich sagen: &#x201E;Ja, ich möchte wohl gut kochen, aber<lb/>
meine Köchin und mein Küchenmädchen leiden's nicht. Die Zwei haben die<lb/>
Mehrheit gegen mich. Sie sind das souveräne Volk, sie sind die Urwähler.<lb/>
Sie haben einen schlechten Geschmack, das ist wahr; und wenn ich liebe, wie<lb/>
diese Zwei wollen, dann werden wir schlecht leben, ich und der Staat; (unter<lb/>
dem Staat verstehe ich Dich, Bratenriecher; ich hoffe, Du wirst nicht unem¬<lb/>
pfänglich sein für das Compliment, das ich Dir damit mache). Aber, was<lb/>
machen? Eigentlich zwar bin i es der Führer, und die zwei Dienstboten sollten<lb/>
sich von mir führen lassen. Früher war es auch so. Allein das war doch<lb/>
die reine Reaction! Heut zu Tage ist es anders. Heute muß sich der Führer<lb/>
führen lassen von den Geführten. Heut zu Tage muß ich kochen, wie<lb/>
meine Dienstboten wollen. Denn sie sind das souveräne Volk. Das Essen ist<lb/>
schlecht, das gebe ich zu; aber es ist höllisch demokratisch. Das Volk will<lb/>
es, und deshalb mußt Du's hinunter schlucken." Ich frage Dich zum<lb/>
dritten Male: Kann ich Das sagen?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_299"> Wenn ich Dir so käme, Bratenriecher, was würdest Du sagen? Gib<lb/>
mir Antwort. Ich bestehe auf einer Antwort.  Bratenriecher, antworte mir!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_300" next="#ID_301"> Du schweigst? Du stellst Dich, als wenn Du schon schliefst? Vogel<lb/>
Strauß, der den Kopf in den Busch steckt und glaubt, dann sieht ihn Nie-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0078] ich in meiner Küche mich in die Minorität schaffen, um mich aller Pflichten und aller Verantwortlichkeit zu entladen? Kann ich in mei¬ ner Küche die weitest gehenden Anträge stellen in der sicheren Erwartung, daß ich doch damit durchfalle. Kann ich verrückte Dinge vorschlagen, in der Gewißheit, daß nicht ich es bin, dem die Ausführung obliegt? Kann ich schlechte Sachen kochen in der Erwartung, daß nicht ich, sondern andere Lieute sie essen müssen? Antworte mir! Du schweigst? Nun dann werde ich für Dich selbst antworten. — Nein, Bratenriecher, das kann ich nicht! Und darin liegt der Unter¬ schied. In der Küche liegt der Knüppel beim Hund, die Pflicht beim Recht, der Vollzug beim Beschluß, der Beschluß beim Antrag, die Verantwortlichkeit bei Allem. Was i es koche, das muß i es essen, ich selbst. Koch' ich schlecht, dann esse ich schlecht. Ich frage Dich weiter: Kann ich sagen: „Ich hätt's gerne besser gemacht, aber ich bin in der Minorität, warte doch in Geduld bis ich in die Majorität komme; freilich kann das ein wenig lange dauern; vielleicht so ein zwanzig Jährchen und auch noch was drüber; allein was liegt dran? zwanzig Jahre hast Du ja schon gewartet; und wenn Du noch einmal zwanzig Jahre wartest: dann hast Du allerdings wahrscheinlich keine Zähne mehr, wenn das gute Essen kommt, aber Du kannst es dann doch wenigstens riechen!" Kann ich das sagen? Bratenriecher! Kann ich sagen: „Ja, ich möchte wohl gut kochen, aber meine Köchin und mein Küchenmädchen leiden's nicht. Die Zwei haben die Mehrheit gegen mich. Sie sind das souveräne Volk, sie sind die Urwähler. Sie haben einen schlechten Geschmack, das ist wahr; und wenn ich liebe, wie diese Zwei wollen, dann werden wir schlecht leben, ich und der Staat; (unter dem Staat verstehe ich Dich, Bratenriecher; ich hoffe, Du wirst nicht unem¬ pfänglich sein für das Compliment, das ich Dir damit mache). Aber, was machen? Eigentlich zwar bin i es der Führer, und die zwei Dienstboten sollten sich von mir führen lassen. Früher war es auch so. Allein das war doch die reine Reaction! Heut zu Tage ist es anders. Heute muß sich der Führer führen lassen von den Geführten. Heut zu Tage muß ich kochen, wie meine Dienstboten wollen. Denn sie sind das souveräne Volk. Das Essen ist schlecht, das gebe ich zu; aber es ist höllisch demokratisch. Das Volk will es, und deshalb mußt Du's hinunter schlucken." Ich frage Dich zum dritten Male: Kann ich Das sagen? Wenn ich Dir so käme, Bratenriecher, was würdest Du sagen? Gib mir Antwort. Ich bestehe auf einer Antwort. Bratenriecher, antworte mir! Du schweigst? Du stellst Dich, als wenn Du schon schliefst? Vogel Strauß, der den Kopf in den Busch steckt und glaubt, dann sieht ihn Nie-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/78
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/78>, abgerufen am 22.07.2024.