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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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sucht hatte, erfuhr in Straßburg einen eigenthümlich abstoßenden Eindruck
von der fremden Sprache und Literatur. Er wollte sich im Französischen
vervollkommnen; die Versuche, die er machte, hatten zur Wirkung, daß er
sich auf sein deutsches Wesen um so gründlicher besann, daß er deutsche Sprache
und Art um so inniger schätzen lernte. Ein ähnliche Erfahrung machte in
derselben Zeit Herder in Paris.

Die Franzosen, so bemerkte Goethe bald, sind gegen Fremde, die ihre
Sprache sich aneignen wollen, auf eine eigenthümliche, dem Deutschen unver¬
ständliche und auf die Dauer lästige Art nachsichtig und höflich. Nie werden
sie Jemand wegen eines Fehlers tadeln oder gar auslachen: bei Leibe nicht,
ein Franzose kennt Lebensart. Aber ganz von der vollkommenen Eleganz
ihrer Sprache eingenommen, beleidigt jeder Mißgriff des Fremden empfindlich
ihr Ohr. Um ihn nun allmählich auf das Richtige zu lenken, antworten sie
sachlich nicht auf das eben Gesagte, sondern bekräftigen es gleichsam höflich,
umschreiben es noch einmal und bedienen sich dabei des Ausdrucks, den man
unkundig oder ungeschickt verfehlt hat. Man macht bei dieser Methode frei¬
lich allmählich Fortschritte in der Wahl der richtigen Worte und Wendungen,
in der feinen Pariser Aussprache; aber das ewige Corrigiren der Form und
die Nichtberücksichtigung des Inhalts wird auf die Dauer Demjenigen lästig,
der in deutscher Weise auf den Gedanken selbst das Meiste giebt; zumal wenn
man erfährt, daß ausländische Rauhheit und Unbeholfenheit ganz zu überwinden,
eigentlich unmöglich sei; der vollkommene Pariser Schliff sei nun einmal für
einen Fremden ein unerreichbares Ideal. Ueberhaupt sprachen sie allen Aus¬
ländern, aber besonders den Deutschen, kurzweg allen Geschmack ab; eine
Phrase, die den Refrain eines jeden Urtheils bildete.

Goethe erzählt, wie er durch die französische Ueberschätzung der Form
an der Sprache und durch den ganz eigenen feinen Hochmuth hinter der Maske
der Höflichkeit und Dienstwilligkeit mit der Zeit immer mehr zurückgestoßen
sei. Auch Lessing hatte in der Hamburger Dramaturgie über dieselben fran¬
zösischen Unarten seine urdeutsche Abneigung ausgesprochen.

Goethe sah, daß man wohl geduldet, aber nie in den Schoß der allein
sprachseligen Kirche aufgenommen werde; er gab es auf, den Franzosen durch
die Sache genug zu thun, da sie allzu eng an die äußeren Formen und Be¬
dingungen sich klammern unter welchen Alles erscheinen soll. Als er einmal
ein selbstverfertigtes kleines französisches Gedicht einem Franzosen vorlas,
kritisirte dieser Sprache und Versmaß so unbarmherzig, daß ihm zu einem
zweiten Versuch alle Lust verging. Es verging ihm auch die Lust zu münd¬
lichem Gebrauch der französischen Sprache. Er ergab sich von nun ab mit
allem Ernste und aller Liebe der vaterländischen Rede.


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sucht hatte, erfuhr in Straßburg einen eigenthümlich abstoßenden Eindruck
von der fremden Sprache und Literatur. Er wollte sich im Französischen
vervollkommnen; die Versuche, die er machte, hatten zur Wirkung, daß er
sich auf sein deutsches Wesen um so gründlicher besann, daß er deutsche Sprache
und Art um so inniger schätzen lernte. Ein ähnliche Erfahrung machte in
derselben Zeit Herder in Paris.

Die Franzosen, so bemerkte Goethe bald, sind gegen Fremde, die ihre
Sprache sich aneignen wollen, auf eine eigenthümliche, dem Deutschen unver¬
ständliche und auf die Dauer lästige Art nachsichtig und höflich. Nie werden
sie Jemand wegen eines Fehlers tadeln oder gar auslachen: bei Leibe nicht,
ein Franzose kennt Lebensart. Aber ganz von der vollkommenen Eleganz
ihrer Sprache eingenommen, beleidigt jeder Mißgriff des Fremden empfindlich
ihr Ohr. Um ihn nun allmählich auf das Richtige zu lenken, antworten sie
sachlich nicht auf das eben Gesagte, sondern bekräftigen es gleichsam höflich,
umschreiben es noch einmal und bedienen sich dabei des Ausdrucks, den man
unkundig oder ungeschickt verfehlt hat. Man macht bei dieser Methode frei¬
lich allmählich Fortschritte in der Wahl der richtigen Worte und Wendungen,
in der feinen Pariser Aussprache; aber das ewige Corrigiren der Form und
die Nichtberücksichtigung des Inhalts wird auf die Dauer Demjenigen lästig,
der in deutscher Weise auf den Gedanken selbst das Meiste giebt; zumal wenn
man erfährt, daß ausländische Rauhheit und Unbeholfenheit ganz zu überwinden,
eigentlich unmöglich sei; der vollkommene Pariser Schliff sei nun einmal für
einen Fremden ein unerreichbares Ideal. Ueberhaupt sprachen sie allen Aus¬
ländern, aber besonders den Deutschen, kurzweg allen Geschmack ab; eine
Phrase, die den Refrain eines jeden Urtheils bildete.

Goethe erzählt, wie er durch die französische Ueberschätzung der Form
an der Sprache und durch den ganz eigenen feinen Hochmuth hinter der Maske
der Höflichkeit und Dienstwilligkeit mit der Zeit immer mehr zurückgestoßen
sei. Auch Lessing hatte in der Hamburger Dramaturgie über dieselben fran¬
zösischen Unarten seine urdeutsche Abneigung ausgesprochen.

Goethe sah, daß man wohl geduldet, aber nie in den Schoß der allein
sprachseligen Kirche aufgenommen werde; er gab es auf, den Franzosen durch
die Sache genug zu thun, da sie allzu eng an die äußeren Formen und Be¬
dingungen sich klammern unter welchen Alles erscheinen soll. Als er einmal
ein selbstverfertigtes kleines französisches Gedicht einem Franzosen vorlas,
kritisirte dieser Sprache und Versmaß so unbarmherzig, daß ihm zu einem
zweiten Versuch alle Lust verging. Es verging ihm auch die Lust zu münd¬
lichem Gebrauch der französischen Sprache. Er ergab sich von nun ab mit
allem Ernste und aller Liebe der vaterländischen Rede.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/57>, abgerufen am 29.06.2024.