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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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"Hoffnung^der Wiederkehr einer glücklichen Epoche nährten", richteten, gleich¬
sam ahnend, ihre Blicke nach Norden, von wo Friedrich, "der Polarstern
herleuchtete, um den sich Deutschland, Europa, ja die Welt zu drehen schien."
Schon hatte er den Franzosen Roßbach bereitet; und seitdem begann tief
unter^der Asche jahrhundertlanger Erniedrigung das noch nicht ganz erstickte
Fünkchen deutschen Nationalgefühls zu glühen.

Es schlug zunächst in der Literatur in helle Flammen auf.

Der große König, auf den die politische Hoffnung der Nation gerichtet
war, hing freilich noch stark an der von den Franzosen genährten abergläu¬
bischen Vorstellung, als seien nur die Franzosen fähig, Gedanken und Ge¬
fühle geschmackvoll, fein und treffend auszudrücken; als sei der Deutsche nun
einmal ein Halbwilder, ein täppischer Riese, mehr geeignet Bären zu ziehen,
als Künste und Wissenschaften zu pflegen. -- Und ein großer Theil der
Nation sah in der Nachahmung der Literatur des siöels cle liouis XIV. noch
das einzige Heil. Alles, was von jenseits des Rheins kommt, fand man
schön, reizend, allerliebst, göttlich; nicht im geringsten zweifelten diese Leute
an der Superiorität, welche dieses liebenswürdige Volk in allem, was gut und
schön und erhaben und anständig ist, von dem Schicksal zu seinem Antheil er¬
halten hat.

Aber Lessing hatte Friedrichs des Großen politische That durch ein lite¬
rarisches Roßbach ergänzt; französische Windbeutelei war in Riccant wirksam
an den Pranger gestellt; zugleich hatte der Dichter und Kritiker ge¬
zeigt, wie gewandt und glatt sich die "plump, deutsch Sprach" gebrauchen
lasse. In der Hamburger Dramaturgie waren Corneille und Voltaire als
falsche Aristoteliker, als kalte, steife, blos rhetorische Dichter, die von dem
höchsten Zwecke der Tragödie keinen Begriff hätten, hingestellt worden. Herder
hatte in seinem ersten Fragmente gezeigt, wie ungeeignet die französische Sprache
überhaupt für Poesie sei. Man stand mitten in der Auflehnung gegen den
Druck französischer Literatur und Sprache. Das aufstrebende junge Geschlecht
ward von dem nationalen Schwunge mächtig fortgerissen.

Es mußte sich die Folge davon auch in Straßburg äußern; sie mußte
sichtbar werden, vor Allem in der Renitenz, deutsche Sprache gegen die Zu-
muthung, der französischen zu Liebe zu weichen.

Nichts charakterisirt eine Nation in ihrer Eigenart mehr, als ihre Sprache;
an keiner Sache haftet eine unterworfene Nation länger. Kleidung und äußere
Lebensformen hatten die Franzosen in den elsässischen Städten nach Pariser
Vorbild ummodeln können; an der Sprache scheiterte bis jetzt alles Be¬
mühen.

Auch Goethe, der doch dem Französischen so zugethan war, daß er sich
sogar für die Bollendung seiner Studien eine französische Akademie ausge-


„Hoffnung^der Wiederkehr einer glücklichen Epoche nährten", richteten, gleich¬
sam ahnend, ihre Blicke nach Norden, von wo Friedrich, „der Polarstern
herleuchtete, um den sich Deutschland, Europa, ja die Welt zu drehen schien."
Schon hatte er den Franzosen Roßbach bereitet; und seitdem begann tief
unter^der Asche jahrhundertlanger Erniedrigung das noch nicht ganz erstickte
Fünkchen deutschen Nationalgefühls zu glühen.

Es schlug zunächst in der Literatur in helle Flammen auf.

Der große König, auf den die politische Hoffnung der Nation gerichtet
war, hing freilich noch stark an der von den Franzosen genährten abergläu¬
bischen Vorstellung, als seien nur die Franzosen fähig, Gedanken und Ge¬
fühle geschmackvoll, fein und treffend auszudrücken; als sei der Deutsche nun
einmal ein Halbwilder, ein täppischer Riese, mehr geeignet Bären zu ziehen,
als Künste und Wissenschaften zu pflegen. — Und ein großer Theil der
Nation sah in der Nachahmung der Literatur des siöels cle liouis XIV. noch
das einzige Heil. Alles, was von jenseits des Rheins kommt, fand man
schön, reizend, allerliebst, göttlich; nicht im geringsten zweifelten diese Leute
an der Superiorität, welche dieses liebenswürdige Volk in allem, was gut und
schön und erhaben und anständig ist, von dem Schicksal zu seinem Antheil er¬
halten hat.

Aber Lessing hatte Friedrichs des Großen politische That durch ein lite¬
rarisches Roßbach ergänzt; französische Windbeutelei war in Riccant wirksam
an den Pranger gestellt; zugleich hatte der Dichter und Kritiker ge¬
zeigt, wie gewandt und glatt sich die „plump, deutsch Sprach" gebrauchen
lasse. In der Hamburger Dramaturgie waren Corneille und Voltaire als
falsche Aristoteliker, als kalte, steife, blos rhetorische Dichter, die von dem
höchsten Zwecke der Tragödie keinen Begriff hätten, hingestellt worden. Herder
hatte in seinem ersten Fragmente gezeigt, wie ungeeignet die französische Sprache
überhaupt für Poesie sei. Man stand mitten in der Auflehnung gegen den
Druck französischer Literatur und Sprache. Das aufstrebende junge Geschlecht
ward von dem nationalen Schwunge mächtig fortgerissen.

Es mußte sich die Folge davon auch in Straßburg äußern; sie mußte
sichtbar werden, vor Allem in der Renitenz, deutsche Sprache gegen die Zu-
muthung, der französischen zu Liebe zu weichen.

Nichts charakterisirt eine Nation in ihrer Eigenart mehr, als ihre Sprache;
an keiner Sache haftet eine unterworfene Nation länger. Kleidung und äußere
Lebensformen hatten die Franzosen in den elsässischen Städten nach Pariser
Vorbild ummodeln können; an der Sprache scheiterte bis jetzt alles Be¬
mühen.

Auch Goethe, der doch dem Französischen so zugethan war, daß er sich
sogar für die Bollendung seiner Studien eine französische Akademie ausge-


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[0056] „Hoffnung^der Wiederkehr einer glücklichen Epoche nährten", richteten, gleich¬ sam ahnend, ihre Blicke nach Norden, von wo Friedrich, „der Polarstern herleuchtete, um den sich Deutschland, Europa, ja die Welt zu drehen schien." Schon hatte er den Franzosen Roßbach bereitet; und seitdem begann tief unter^der Asche jahrhundertlanger Erniedrigung das noch nicht ganz erstickte Fünkchen deutschen Nationalgefühls zu glühen. Es schlug zunächst in der Literatur in helle Flammen auf. Der große König, auf den die politische Hoffnung der Nation gerichtet war, hing freilich noch stark an der von den Franzosen genährten abergläu¬ bischen Vorstellung, als seien nur die Franzosen fähig, Gedanken und Ge¬ fühle geschmackvoll, fein und treffend auszudrücken; als sei der Deutsche nun einmal ein Halbwilder, ein täppischer Riese, mehr geeignet Bären zu ziehen, als Künste und Wissenschaften zu pflegen. — Und ein großer Theil der Nation sah in der Nachahmung der Literatur des siöels cle liouis XIV. noch das einzige Heil. Alles, was von jenseits des Rheins kommt, fand man schön, reizend, allerliebst, göttlich; nicht im geringsten zweifelten diese Leute an der Superiorität, welche dieses liebenswürdige Volk in allem, was gut und schön und erhaben und anständig ist, von dem Schicksal zu seinem Antheil er¬ halten hat. Aber Lessing hatte Friedrichs des Großen politische That durch ein lite¬ rarisches Roßbach ergänzt; französische Windbeutelei war in Riccant wirksam an den Pranger gestellt; zugleich hatte der Dichter und Kritiker ge¬ zeigt, wie gewandt und glatt sich die „plump, deutsch Sprach" gebrauchen lasse. In der Hamburger Dramaturgie waren Corneille und Voltaire als falsche Aristoteliker, als kalte, steife, blos rhetorische Dichter, die von dem höchsten Zwecke der Tragödie keinen Begriff hätten, hingestellt worden. Herder hatte in seinem ersten Fragmente gezeigt, wie ungeeignet die französische Sprache überhaupt für Poesie sei. Man stand mitten in der Auflehnung gegen den Druck französischer Literatur und Sprache. Das aufstrebende junge Geschlecht ward von dem nationalen Schwunge mächtig fortgerissen. Es mußte sich die Folge davon auch in Straßburg äußern; sie mußte sichtbar werden, vor Allem in der Renitenz, deutsche Sprache gegen die Zu- muthung, der französischen zu Liebe zu weichen. Nichts charakterisirt eine Nation in ihrer Eigenart mehr, als ihre Sprache; an keiner Sache haftet eine unterworfene Nation länger. Kleidung und äußere Lebensformen hatten die Franzosen in den elsässischen Städten nach Pariser Vorbild ummodeln können; an der Sprache scheiterte bis jetzt alles Be¬ mühen. Auch Goethe, der doch dem Französischen so zugethan war, daß er sich sogar für die Bollendung seiner Studien eine französische Akademie ausge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/56>, abgerufen am 29.06.2024.