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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Auch von der Verehrung französischer Literaturwerke wurde er in Stra߬
burg geheilt. Er ward hier angeweht von dem frischen, anregenden Hauch
des neuen deutschen Geistesfrühlings. Rings schlug das erstorbene Leben
in neue Blätter aus. In ihm selbst drängte mächtig und gährend ^das
neu erwachte Leben; die Säfte stiegen empor; bald mußten die Blüthen
prangen. ^

Gegenüber diesem treibenden Frühlingswehen und strebenden Schöpfungs¬
drang kam ihm, wie Lessing die französische Tragödie, so die ganze franzö¬
sische Literatur so kalt und öde vor. Er suchte Nahrung für sein jugend¬
liches Gefühl; Herz und Gemüth fanden sich unbefriedigt; Alles war vornehm
und glatt, greisenhaft und abgestorben; vor Allem die Schriften Voltaire's und
das sMkms as ig, natur". --

Dagegen in Deutschland überall frisches Streben und Werdelust. Es lag
etwas wie Ahnung einer großen Zukunft in der Luft. Konnte man es dem
Jüngling, der diese Zukunft heraufzuführen vor Allen berufen war, verden¬
ken, wenn er verstimmt und ungläubig der absterbenden Größe der unter¬
gehenden Sonne den Rücken kehrte und das Auge nach Osten wandte, wo
schon glühendroth die neue Morgenröthe den Horizont übergoß.

Der anderthalbjährige Aufenthalt in Straßburg hatte einen unerwarteten
Erfolg, einen andern als er beabsichtigt hatte. Er war an der Grenze von
Frankreich alles französischen Wesens bar und ledig geworden. "Ihre Lebens¬
weise fanden wir zu bestimmt und zu vornehm, ihre Dichtung kalt, ihre
Kritik vernichtend, ihre Philosophie abstrus und doch unzulänglich."

Er kehrte, von Herder angeregt, als der Führer der deutschen Literatur¬
bewegung zurück, aus welcher endlich Iphigenie und Faust und all' die großen
Merke, die der Stolz unser Aller sind, hervorgehen sollten.

Unsre Literatur gab uns von Neuem das Bewußtsein, daß wir ein Volk
feien. Und als der große Despot mit grausamer Gewalt unsere Eigenart
niedertrat, -- da waren wir nicht mehr die Deutschen von 1681. Wir fühlten
uns alle eines Stammes und Bluts und setzten Alles an unsere Ehre.

Und nun ist der Staat, auf den schon der Goethe'sche Kreis in Straß- .
bürg vor 100 Jahren seine politische Hoffnung richtete, mitten in der blu¬
tigen Arbeit, von den "nie genug bewunderten Franzosen" die letzte Schuld
einzutreiben.


E. Lass.


Auch von der Verehrung französischer Literaturwerke wurde er in Stra߬
burg geheilt. Er ward hier angeweht von dem frischen, anregenden Hauch
des neuen deutschen Geistesfrühlings. Rings schlug das erstorbene Leben
in neue Blätter aus. In ihm selbst drängte mächtig und gährend ^das
neu erwachte Leben; die Säfte stiegen empor; bald mußten die Blüthen
prangen. ^

Gegenüber diesem treibenden Frühlingswehen und strebenden Schöpfungs¬
drang kam ihm, wie Lessing die französische Tragödie, so die ganze franzö¬
sische Literatur so kalt und öde vor. Er suchte Nahrung für sein jugend¬
liches Gefühl; Herz und Gemüth fanden sich unbefriedigt; Alles war vornehm
und glatt, greisenhaft und abgestorben; vor Allem die Schriften Voltaire's und
das sMkms as ig, natur«. —

Dagegen in Deutschland überall frisches Streben und Werdelust. Es lag
etwas wie Ahnung einer großen Zukunft in der Luft. Konnte man es dem
Jüngling, der diese Zukunft heraufzuführen vor Allen berufen war, verden¬
ken, wenn er verstimmt und ungläubig der absterbenden Größe der unter¬
gehenden Sonne den Rücken kehrte und das Auge nach Osten wandte, wo
schon glühendroth die neue Morgenröthe den Horizont übergoß.

Der anderthalbjährige Aufenthalt in Straßburg hatte einen unerwarteten
Erfolg, einen andern als er beabsichtigt hatte. Er war an der Grenze von
Frankreich alles französischen Wesens bar und ledig geworden. „Ihre Lebens¬
weise fanden wir zu bestimmt und zu vornehm, ihre Dichtung kalt, ihre
Kritik vernichtend, ihre Philosophie abstrus und doch unzulänglich."

Er kehrte, von Herder angeregt, als der Führer der deutschen Literatur¬
bewegung zurück, aus welcher endlich Iphigenie und Faust und all' die großen
Merke, die der Stolz unser Aller sind, hervorgehen sollten.

Unsre Literatur gab uns von Neuem das Bewußtsein, daß wir ein Volk
feien. Und als der große Despot mit grausamer Gewalt unsere Eigenart
niedertrat, — da waren wir nicht mehr die Deutschen von 1681. Wir fühlten
uns alle eines Stammes und Bluts und setzten Alles an unsere Ehre.

Und nun ist der Staat, auf den schon der Goethe'sche Kreis in Straß- .
bürg vor 100 Jahren seine politische Hoffnung richtete, mitten in der blu¬
tigen Arbeit, von den „nie genug bewunderten Franzosen" die letzte Schuld
einzutreiben.


E. Lass.


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[0058] Auch von der Verehrung französischer Literaturwerke wurde er in Stra߬ burg geheilt. Er ward hier angeweht von dem frischen, anregenden Hauch des neuen deutschen Geistesfrühlings. Rings schlug das erstorbene Leben in neue Blätter aus. In ihm selbst drängte mächtig und gährend ^das neu erwachte Leben; die Säfte stiegen empor; bald mußten die Blüthen prangen. ^ Gegenüber diesem treibenden Frühlingswehen und strebenden Schöpfungs¬ drang kam ihm, wie Lessing die französische Tragödie, so die ganze franzö¬ sische Literatur so kalt und öde vor. Er suchte Nahrung für sein jugend¬ liches Gefühl; Herz und Gemüth fanden sich unbefriedigt; Alles war vornehm und glatt, greisenhaft und abgestorben; vor Allem die Schriften Voltaire's und das sMkms as ig, natur«. — Dagegen in Deutschland überall frisches Streben und Werdelust. Es lag etwas wie Ahnung einer großen Zukunft in der Luft. Konnte man es dem Jüngling, der diese Zukunft heraufzuführen vor Allen berufen war, verden¬ ken, wenn er verstimmt und ungläubig der absterbenden Größe der unter¬ gehenden Sonne den Rücken kehrte und das Auge nach Osten wandte, wo schon glühendroth die neue Morgenröthe den Horizont übergoß. Der anderthalbjährige Aufenthalt in Straßburg hatte einen unerwarteten Erfolg, einen andern als er beabsichtigt hatte. Er war an der Grenze von Frankreich alles französischen Wesens bar und ledig geworden. „Ihre Lebens¬ weise fanden wir zu bestimmt und zu vornehm, ihre Dichtung kalt, ihre Kritik vernichtend, ihre Philosophie abstrus und doch unzulänglich." Er kehrte, von Herder angeregt, als der Führer der deutschen Literatur¬ bewegung zurück, aus welcher endlich Iphigenie und Faust und all' die großen Merke, die der Stolz unser Aller sind, hervorgehen sollten. Unsre Literatur gab uns von Neuem das Bewußtsein, daß wir ein Volk feien. Und als der große Despot mit grausamer Gewalt unsere Eigenart niedertrat, — da waren wir nicht mehr die Deutschen von 1681. Wir fühlten uns alle eines Stammes und Bluts und setzten Alles an unsere Ehre. Und nun ist der Staat, auf den schon der Goethe'sche Kreis in Straß- . bürg vor 100 Jahren seine politische Hoffnung richtete, mitten in der blu¬ tigen Arbeit, von den „nie genug bewunderten Franzosen" die letzte Schuld einzutreiben. E. Lass.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/58>, abgerufen am 28.09.2024.