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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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vornehme Häuser, deren Töchter nicht von deutscher Art lassen mochten'; sie
trugen ihr ungepudertes Haar in Zöpfe geflochten und mit einer großen
Nadel festgesteckt; die Kleider knapp, eng anliegend; das runde Röckchen war
mit einer Falbel versehen und reichte nur bis an die Knöchel; jede Schleppe
daran wäre ein Mißstand gewesen. So tragen sich auch die Sesenheimer
Pfarrerstochter. Friederiken steht diese Tracht reizend; sie hat sich niemals
anders gedacht und glaubt üllerall so recht zu sein; ihre Schwester Olivia
aber kann die ländliche Tracht unter ihren städtischen Verwandten kaum er¬
tragen ; sie kam sich in derselben geradezu mägdehaft vor.

Dies Gefühl, als ob die deutsche Kleidung nur für die niedrigen Stände
sei, hatten leider auch Viele in Straßburg. So kam, daß die französische
Partei von Jahr zu Jahr immer mehr Proselyten machte.

Auch die Männer unterwarfen sich theilweise der von Paris aus be¬
stimmten Mode. Selbst Goethe folgt dem französischen Friseur und trägt, da
sein natürlicher Haarwuchs vorläufig unmodern war, zeitweilig eine Tour.
Auf der Straße fand man schicklich, in Schuhen und Strümpfen, den Hut
unter dem Arme, einherzugehn.

Aber Elsaß war immer noch nicht lange genug mit Frankreich verbun¬
den, als daß nicht noch in den Herzen Vieler die Anhänglichkeit an das alte
Vaterland, an deutsche Sitte und Gewohnheit lebendig geblieben wäre. Denn
"wenn der Ueberwundene die Hälfte seines Daseins nothgedrungen verliert,
so rechnet er sichs zur Schmach, die andere Hälfte freiwillig aufzugeben. Er
hält daher an Allem fest, was ihm die vergangene Zeit zurückrufen und die
Hoffnung der Wiederkehr einer glücklichen Epoche wach erhalten kann." Diese
Stimmung wurde in Straßburg genährt durch die vielen Deutschen, die
fortdauernd aus echtdeutschem Lande in die Stadt kamen, sei es der Univer¬
sität oder des Besuchs von Anverwandten oder der Geschäfte wegen. Nament¬
lich die Landleute trugen mit Stolz ihre deutsche Gesinnung zur Schau.
Aus diesen Elementen recrutirten sich fortwährend die franzosenfeindlichen
Kreise der Stadt, die sich, untereinander eng verbunden, in gewisser Abson¬
derung hielten.

Auch die Goethe'sche Tischgesellschaft war durchaus deutsch. Der Prä¬
sident derselben, Actuarius Dr. Salzmann, drückte sich zwar im Französischen
mit vieler Leichtigkeit und Eleganz aus, war aber dem Streben und der That
nach ein vollkommener Deutscher. Goethe's Freund Lersa, dem im Götz von
Berlichingen ein so ehrenvolles Denkmal gesetzt ist, war eigentlich das Muster
eines deutschen Jünglings. Deutscher Geist ist noch überall lebendig. Aber
wer weiß, wie lange er noch dem französischen Einfluß wird Widerstand leisten
können, wenn nicht ein neuer frischer Impuls die erlahmende Kraft belebt.

Alle die, welche an deutscher Weise mit Zähigkeit festhielten, und die


vornehme Häuser, deren Töchter nicht von deutscher Art lassen mochten'; sie
trugen ihr ungepudertes Haar in Zöpfe geflochten und mit einer großen
Nadel festgesteckt; die Kleider knapp, eng anliegend; das runde Röckchen war
mit einer Falbel versehen und reichte nur bis an die Knöchel; jede Schleppe
daran wäre ein Mißstand gewesen. So tragen sich auch die Sesenheimer
Pfarrerstochter. Friederiken steht diese Tracht reizend; sie hat sich niemals
anders gedacht und glaubt üllerall so recht zu sein; ihre Schwester Olivia
aber kann die ländliche Tracht unter ihren städtischen Verwandten kaum er¬
tragen ; sie kam sich in derselben geradezu mägdehaft vor.

Dies Gefühl, als ob die deutsche Kleidung nur für die niedrigen Stände
sei, hatten leider auch Viele in Straßburg. So kam, daß die französische
Partei von Jahr zu Jahr immer mehr Proselyten machte.

Auch die Männer unterwarfen sich theilweise der von Paris aus be¬
stimmten Mode. Selbst Goethe folgt dem französischen Friseur und trägt, da
sein natürlicher Haarwuchs vorläufig unmodern war, zeitweilig eine Tour.
Auf der Straße fand man schicklich, in Schuhen und Strümpfen, den Hut
unter dem Arme, einherzugehn.

Aber Elsaß war immer noch nicht lange genug mit Frankreich verbun¬
den, als daß nicht noch in den Herzen Vieler die Anhänglichkeit an das alte
Vaterland, an deutsche Sitte und Gewohnheit lebendig geblieben wäre. Denn
„wenn der Ueberwundene die Hälfte seines Daseins nothgedrungen verliert,
so rechnet er sichs zur Schmach, die andere Hälfte freiwillig aufzugeben. Er
hält daher an Allem fest, was ihm die vergangene Zeit zurückrufen und die
Hoffnung der Wiederkehr einer glücklichen Epoche wach erhalten kann." Diese
Stimmung wurde in Straßburg genährt durch die vielen Deutschen, die
fortdauernd aus echtdeutschem Lande in die Stadt kamen, sei es der Univer¬
sität oder des Besuchs von Anverwandten oder der Geschäfte wegen. Nament¬
lich die Landleute trugen mit Stolz ihre deutsche Gesinnung zur Schau.
Aus diesen Elementen recrutirten sich fortwährend die franzosenfeindlichen
Kreise der Stadt, die sich, untereinander eng verbunden, in gewisser Abson¬
derung hielten.

Auch die Goethe'sche Tischgesellschaft war durchaus deutsch. Der Prä¬
sident derselben, Actuarius Dr. Salzmann, drückte sich zwar im Französischen
mit vieler Leichtigkeit und Eleganz aus, war aber dem Streben und der That
nach ein vollkommener Deutscher. Goethe's Freund Lersa, dem im Götz von
Berlichingen ein so ehrenvolles Denkmal gesetzt ist, war eigentlich das Muster
eines deutschen Jünglings. Deutscher Geist ist noch überall lebendig. Aber
wer weiß, wie lange er noch dem französischen Einfluß wird Widerstand leisten
können, wenn nicht ein neuer frischer Impuls die erlahmende Kraft belebt.

Alle die, welche an deutscher Weise mit Zähigkeit festhielten, und die


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[0055] vornehme Häuser, deren Töchter nicht von deutscher Art lassen mochten'; sie trugen ihr ungepudertes Haar in Zöpfe geflochten und mit einer großen Nadel festgesteckt; die Kleider knapp, eng anliegend; das runde Röckchen war mit einer Falbel versehen und reichte nur bis an die Knöchel; jede Schleppe daran wäre ein Mißstand gewesen. So tragen sich auch die Sesenheimer Pfarrerstochter. Friederiken steht diese Tracht reizend; sie hat sich niemals anders gedacht und glaubt üllerall so recht zu sein; ihre Schwester Olivia aber kann die ländliche Tracht unter ihren städtischen Verwandten kaum er¬ tragen ; sie kam sich in derselben geradezu mägdehaft vor. Dies Gefühl, als ob die deutsche Kleidung nur für die niedrigen Stände sei, hatten leider auch Viele in Straßburg. So kam, daß die französische Partei von Jahr zu Jahr immer mehr Proselyten machte. Auch die Männer unterwarfen sich theilweise der von Paris aus be¬ stimmten Mode. Selbst Goethe folgt dem französischen Friseur und trägt, da sein natürlicher Haarwuchs vorläufig unmodern war, zeitweilig eine Tour. Auf der Straße fand man schicklich, in Schuhen und Strümpfen, den Hut unter dem Arme, einherzugehn. Aber Elsaß war immer noch nicht lange genug mit Frankreich verbun¬ den, als daß nicht noch in den Herzen Vieler die Anhänglichkeit an das alte Vaterland, an deutsche Sitte und Gewohnheit lebendig geblieben wäre. Denn „wenn der Ueberwundene die Hälfte seines Daseins nothgedrungen verliert, so rechnet er sichs zur Schmach, die andere Hälfte freiwillig aufzugeben. Er hält daher an Allem fest, was ihm die vergangene Zeit zurückrufen und die Hoffnung der Wiederkehr einer glücklichen Epoche wach erhalten kann." Diese Stimmung wurde in Straßburg genährt durch die vielen Deutschen, die fortdauernd aus echtdeutschem Lande in die Stadt kamen, sei es der Univer¬ sität oder des Besuchs von Anverwandten oder der Geschäfte wegen. Nament¬ lich die Landleute trugen mit Stolz ihre deutsche Gesinnung zur Schau. Aus diesen Elementen recrutirten sich fortwährend die franzosenfeindlichen Kreise der Stadt, die sich, untereinander eng verbunden, in gewisser Abson¬ derung hielten. Auch die Goethe'sche Tischgesellschaft war durchaus deutsch. Der Prä¬ sident derselben, Actuarius Dr. Salzmann, drückte sich zwar im Französischen mit vieler Leichtigkeit und Eleganz aus, war aber dem Streben und der That nach ein vollkommener Deutscher. Goethe's Freund Lersa, dem im Götz von Berlichingen ein so ehrenvolles Denkmal gesetzt ist, war eigentlich das Muster eines deutschen Jünglings. Deutscher Geist ist noch überall lebendig. Aber wer weiß, wie lange er noch dem französischen Einfluß wird Widerstand leisten können, wenn nicht ein neuer frischer Impuls die erlahmende Kraft belebt. Alle die, welche an deutscher Weise mit Zähigkeit festhielten, und die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/55>, abgerufen am 28.09.2024.