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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Medea und Creusa, eines Beispiels der unglücklichsten Heirath, zum Schmuck
ausgestellt hatte. Kaum ein Vierteljahrhundert später -- und das Haupt
der schönen lebenslustigen Königin fiel unter dem Henkerbeil.

Wohin sollte sich das halbfranzösirte Elsaß, das "elsässische Halbfrank,
reich" mit seiner Neigung wenden?

Deutsch und französisch fluthete in diesem Lande bunt durcheinander;
am wundersamsten nahmen sich die Landfetzen aus, welche, wie die Grafschaft
Hanau-Lichtenberg mit der Hauptstadt Buchsweiler, einem deutschen Fürsten
gehörten unter französischer Hoheit. Solche Zustände mußten so oder so zu
Ende gehen. Die meiste Hoffnung durfte aber wohl Frankreich haben auf
völlige Assimilation des Landes.

Konnte sich doch alles Ueberrheinische seit geraumer Zeit der erdrückenden
Einwirkung der französischen Hauptstadt nicht entziehen; Straßburg ebenso
wenig wie die pfälzische Hauptstadt Zweibrücken: Alles, besonders Kleidung
und Betragen der Einwohner, vorzüglich der Frauen und Mädchen, deutete
auf ein Verhältniß in die Ferne und machte den Bezug auf Paris anschaulich.

Aber die Umwandlung in französische Art war überall noch im Fluß
und Werden. In Straßburg veranschaulichte die Lage der Dinge schon das
Aeußere der Stadt. Die Reste der deutschen Zeit waren im Verschwinden;
der mittelalterliche Zustand der Häuser und Straßen ging allmählich in For¬
men über, die modernem Pariser Geschmack genehm waren; freilich den
Straßburger Münster konnte man nicht modernisiren; dieser starre Riese blieb
ein ewiges Denkmal dessen, was gewesen. Sonst aber arbeitete man syste¬
matisch an der Verjüngung der Stadt: durch einen Pariser Baumeister war
ein Plan entworfen, nach welchem die winkligen engen Gassen, die eingeboge¬
nen Straßenseiten, die alterthümlichen Häuser, Schritt für Schritt beseitigt
und eine nach der Schnur geregelte, ansehnliche schöne Stadt gegründet wer¬
den sollte. Jeder Neubau mußte sich auf den Idealplan einlassen; so sollten
die Straßen allmählich gerade werden, an die Stelle der mittelalterlichen,
windschiefen elegante Häuser nach Pariser Geschmack mit reich ausgestatteten
Läden treten. Da dieser Plan aber erst mit der Zeit der Vollendung ent¬
gegenwachsen sollte, so schwankte die Stadt indessen "zwischen Form und Un-
form"; unentschieden stand das Bauwerk alter deutscher Zeit neben den neuen
Anlagen der Franzosen; die Stadt war unfertig, wie die ganzen Zustände;
es konnte Alles noch hierhin und dorthin sich neigen.

Dieselbe nicht zu Ende gekommene Einwirkung der französischen Haupt¬
stadt ist auch an der Kleidung sichtbar. Im Allgemeinen war die Tracht auf
dem Lande deutsch, in den Städten französisch, ohne daß dieser Unterschied
völlig durchgreifend war. Denn auch die Bürgermädchen aus den mittleren
Klassen trugen sich größtenteils deutsch; und es gab selbst wohlhabende und


Medea und Creusa, eines Beispiels der unglücklichsten Heirath, zum Schmuck
ausgestellt hatte. Kaum ein Vierteljahrhundert später — und das Haupt
der schönen lebenslustigen Königin fiel unter dem Henkerbeil.

Wohin sollte sich das halbfranzösirte Elsaß, das „elsässische Halbfrank,
reich" mit seiner Neigung wenden?

Deutsch und französisch fluthete in diesem Lande bunt durcheinander;
am wundersamsten nahmen sich die Landfetzen aus, welche, wie die Grafschaft
Hanau-Lichtenberg mit der Hauptstadt Buchsweiler, einem deutschen Fürsten
gehörten unter französischer Hoheit. Solche Zustände mußten so oder so zu
Ende gehen. Die meiste Hoffnung durfte aber wohl Frankreich haben auf
völlige Assimilation des Landes.

Konnte sich doch alles Ueberrheinische seit geraumer Zeit der erdrückenden
Einwirkung der französischen Hauptstadt nicht entziehen; Straßburg ebenso
wenig wie die pfälzische Hauptstadt Zweibrücken: Alles, besonders Kleidung
und Betragen der Einwohner, vorzüglich der Frauen und Mädchen, deutete
auf ein Verhältniß in die Ferne und machte den Bezug auf Paris anschaulich.

Aber die Umwandlung in französische Art war überall noch im Fluß
und Werden. In Straßburg veranschaulichte die Lage der Dinge schon das
Aeußere der Stadt. Die Reste der deutschen Zeit waren im Verschwinden;
der mittelalterliche Zustand der Häuser und Straßen ging allmählich in For¬
men über, die modernem Pariser Geschmack genehm waren; freilich den
Straßburger Münster konnte man nicht modernisiren; dieser starre Riese blieb
ein ewiges Denkmal dessen, was gewesen. Sonst aber arbeitete man syste¬
matisch an der Verjüngung der Stadt: durch einen Pariser Baumeister war
ein Plan entworfen, nach welchem die winkligen engen Gassen, die eingeboge¬
nen Straßenseiten, die alterthümlichen Häuser, Schritt für Schritt beseitigt
und eine nach der Schnur geregelte, ansehnliche schöne Stadt gegründet wer¬
den sollte. Jeder Neubau mußte sich auf den Idealplan einlassen; so sollten
die Straßen allmählich gerade werden, an die Stelle der mittelalterlichen,
windschiefen elegante Häuser nach Pariser Geschmack mit reich ausgestatteten
Läden treten. Da dieser Plan aber erst mit der Zeit der Vollendung ent¬
gegenwachsen sollte, so schwankte die Stadt indessen „zwischen Form und Un-
form"; unentschieden stand das Bauwerk alter deutscher Zeit neben den neuen
Anlagen der Franzosen; die Stadt war unfertig, wie die ganzen Zustände;
es konnte Alles noch hierhin und dorthin sich neigen.

Dieselbe nicht zu Ende gekommene Einwirkung der französischen Haupt¬
stadt ist auch an der Kleidung sichtbar. Im Allgemeinen war die Tracht auf
dem Lande deutsch, in den Städten französisch, ohne daß dieser Unterschied
völlig durchgreifend war. Denn auch die Bürgermädchen aus den mittleren
Klassen trugen sich größtenteils deutsch; und es gab selbst wohlhabende und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/54>, abgerufen am 29.06.2024.