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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Einst hatte dieses schöne Rheinthal den Römern gehört, die ihre Castelle
von Bregenz bis nach Xanten abwärts gebaut hatten; Straßburg selbst war
in jener Zeit eine römische Festung. Manches Erinnerungszeichen an jene
längstentschwundene Herrlichkeit wurde im Museum zu Straßburg aufbewahrt. --
Ueberreste römischer Bauten stiegen dem Dichter vielfach auf. Wenn er von
Bieses her durchs wilde Barenthal gewandert war und nach Niederbronn
kam, so umspülte ihn in diesem von den Römern angelegten Badeort der
Geist des Alterthums, dessen ehrwürdige Trümmer in Resten von Basreliefs
und Inschriften, Säulenknäufen und Schäften ihm aus Bauernhöfen, zwischen
wirthschaftlichem Wust und Geräthe, gar wundersam entgegenleuchteten. In
der Nähe sah er ein verfallenes mittelalterliches Schloß, die Wasenburg, aus
römische Reste gebaut. An der großen Felsmasse ^ die den Grund der einen
Seite ausmacht, bemerkte er eine gut erhaltene Inschrift, die dem Mereur ein
dankbares Gelübde abstattet. Auch im Oberelsaß traf er auf dem Ottilien¬
berge das Grundgemäuer eines römischen Castells, aber die ehrwürdige Ruine
umschwebt geheimnißvoll die christliche Legende.

An die Stelle der Römer führte die große Volkervewegung im Anfang
des Mittelalters die Allemannen; Verwandte der Elsässer wohnten über dem
Rhein nach Süden und Osten fort, von Aar und Lech eingegrenzt. Sie alle
gehörten dem deutschen Reiche an.

Das großartigste Denkmal dieser herrlichen Zeit wär natürlich zu Goethe's
Tagen, wie jetzt, der imposante und doch harmonisch gegliederte Bau Erwin's
von Steinbach, aufgerichtet an alter deutscher Stätte, in echt deutscher Zeit
und von einem Meister, dessen Namen deutschen Klang und Ursprung hatte,
eine ewige Mahnung, in die Wolken hineinragend, überall sichtbar.

Jetzt war das deutsche Land zum großen Theil französisch, französisch ge¬
worden durch Tücke und Verrath, eine unerfreuliche Gegenwart, über die man
sich gern durch Erinnerung an die bessere Vergangenheit tröstete.

Zu beiden Seiten des Rheins Nichts, was hätte befriedigen können. In
Deutschland jene wundersam verzwickte Reichsverfassung, von der Goethe's
Tischgesellschaft nichts Löbliches zu sagen wußte, ein barockes System von
lauter gesetzlichen Mißbräuchen. Und doch stand sie immer noch höher als
die damalige französische Verfassung, von der der Dichter bemerkt, daß sie sich
in lauter gesetzlosen Mißbräuchen verwirrte, deren Regierung ihre Energie
nur am falschen Orte sehen ließ und gestatten mußte, daß schon ganz offen
eine gänzliche Veränderung der Dinge prophezeit wurde. So unbefangen es
geschehen war, es kam Goethe wie eine schaurige Andeutung der Zukunft
vor, daß man in dem Salon auf der Rheininsel, in welchem die junge Kö¬
nigin Marie Antoinette von ihren deutschen Begleitern den französischen Ab¬
gesandten entgegengeführt ward, Bilder von der Geschichte des Jason. der


Einst hatte dieses schöne Rheinthal den Römern gehört, die ihre Castelle
von Bregenz bis nach Xanten abwärts gebaut hatten; Straßburg selbst war
in jener Zeit eine römische Festung. Manches Erinnerungszeichen an jene
längstentschwundene Herrlichkeit wurde im Museum zu Straßburg aufbewahrt. —
Ueberreste römischer Bauten stiegen dem Dichter vielfach auf. Wenn er von
Bieses her durchs wilde Barenthal gewandert war und nach Niederbronn
kam, so umspülte ihn in diesem von den Römern angelegten Badeort der
Geist des Alterthums, dessen ehrwürdige Trümmer in Resten von Basreliefs
und Inschriften, Säulenknäufen und Schäften ihm aus Bauernhöfen, zwischen
wirthschaftlichem Wust und Geräthe, gar wundersam entgegenleuchteten. In
der Nähe sah er ein verfallenes mittelalterliches Schloß, die Wasenburg, aus
römische Reste gebaut. An der großen Felsmasse ^ die den Grund der einen
Seite ausmacht, bemerkte er eine gut erhaltene Inschrift, die dem Mereur ein
dankbares Gelübde abstattet. Auch im Oberelsaß traf er auf dem Ottilien¬
berge das Grundgemäuer eines römischen Castells, aber die ehrwürdige Ruine
umschwebt geheimnißvoll die christliche Legende.

An die Stelle der Römer führte die große Volkervewegung im Anfang
des Mittelalters die Allemannen; Verwandte der Elsässer wohnten über dem
Rhein nach Süden und Osten fort, von Aar und Lech eingegrenzt. Sie alle
gehörten dem deutschen Reiche an.

Das großartigste Denkmal dieser herrlichen Zeit wär natürlich zu Goethe's
Tagen, wie jetzt, der imposante und doch harmonisch gegliederte Bau Erwin's
von Steinbach, aufgerichtet an alter deutscher Stätte, in echt deutscher Zeit
und von einem Meister, dessen Namen deutschen Klang und Ursprung hatte,
eine ewige Mahnung, in die Wolken hineinragend, überall sichtbar.

Jetzt war das deutsche Land zum großen Theil französisch, französisch ge¬
worden durch Tücke und Verrath, eine unerfreuliche Gegenwart, über die man
sich gern durch Erinnerung an die bessere Vergangenheit tröstete.

Zu beiden Seiten des Rheins Nichts, was hätte befriedigen können. In
Deutschland jene wundersam verzwickte Reichsverfassung, von der Goethe's
Tischgesellschaft nichts Löbliches zu sagen wußte, ein barockes System von
lauter gesetzlichen Mißbräuchen. Und doch stand sie immer noch höher als
die damalige französische Verfassung, von der der Dichter bemerkt, daß sie sich
in lauter gesetzlosen Mißbräuchen verwirrte, deren Regierung ihre Energie
nur am falschen Orte sehen ließ und gestatten mußte, daß schon ganz offen
eine gänzliche Veränderung der Dinge prophezeit wurde. So unbefangen es
geschehen war, es kam Goethe wie eine schaurige Andeutung der Zukunft
vor, daß man in dem Salon auf der Rheininsel, in welchem die junge Kö¬
nigin Marie Antoinette von ihren deutschen Begleitern den französischen Ab¬
gesandten entgegengeführt ward, Bilder von der Geschichte des Jason. der


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[0053] Einst hatte dieses schöne Rheinthal den Römern gehört, die ihre Castelle von Bregenz bis nach Xanten abwärts gebaut hatten; Straßburg selbst war in jener Zeit eine römische Festung. Manches Erinnerungszeichen an jene längstentschwundene Herrlichkeit wurde im Museum zu Straßburg aufbewahrt. — Ueberreste römischer Bauten stiegen dem Dichter vielfach auf. Wenn er von Bieses her durchs wilde Barenthal gewandert war und nach Niederbronn kam, so umspülte ihn in diesem von den Römern angelegten Badeort der Geist des Alterthums, dessen ehrwürdige Trümmer in Resten von Basreliefs und Inschriften, Säulenknäufen und Schäften ihm aus Bauernhöfen, zwischen wirthschaftlichem Wust und Geräthe, gar wundersam entgegenleuchteten. In der Nähe sah er ein verfallenes mittelalterliches Schloß, die Wasenburg, aus römische Reste gebaut. An der großen Felsmasse ^ die den Grund der einen Seite ausmacht, bemerkte er eine gut erhaltene Inschrift, die dem Mereur ein dankbares Gelübde abstattet. Auch im Oberelsaß traf er auf dem Ottilien¬ berge das Grundgemäuer eines römischen Castells, aber die ehrwürdige Ruine umschwebt geheimnißvoll die christliche Legende. An die Stelle der Römer führte die große Volkervewegung im Anfang des Mittelalters die Allemannen; Verwandte der Elsässer wohnten über dem Rhein nach Süden und Osten fort, von Aar und Lech eingegrenzt. Sie alle gehörten dem deutschen Reiche an. Das großartigste Denkmal dieser herrlichen Zeit wär natürlich zu Goethe's Tagen, wie jetzt, der imposante und doch harmonisch gegliederte Bau Erwin's von Steinbach, aufgerichtet an alter deutscher Stätte, in echt deutscher Zeit und von einem Meister, dessen Namen deutschen Klang und Ursprung hatte, eine ewige Mahnung, in die Wolken hineinragend, überall sichtbar. Jetzt war das deutsche Land zum großen Theil französisch, französisch ge¬ worden durch Tücke und Verrath, eine unerfreuliche Gegenwart, über die man sich gern durch Erinnerung an die bessere Vergangenheit tröstete. Zu beiden Seiten des Rheins Nichts, was hätte befriedigen können. In Deutschland jene wundersam verzwickte Reichsverfassung, von der Goethe's Tischgesellschaft nichts Löbliches zu sagen wußte, ein barockes System von lauter gesetzlichen Mißbräuchen. Und doch stand sie immer noch höher als die damalige französische Verfassung, von der der Dichter bemerkt, daß sie sich in lauter gesetzlosen Mißbräuchen verwirrte, deren Regierung ihre Energie nur am falschen Orte sehen ließ und gestatten mußte, daß schon ganz offen eine gänzliche Veränderung der Dinge prophezeit wurde. So unbefangen es geschehen war, es kam Goethe wie eine schaurige Andeutung der Zukunft vor, daß man in dem Salon auf der Rheininsel, in welchem die junge Kö¬ nigin Marie Antoinette von ihren deutschen Begleitern den französischen Ab¬ gesandten entgegengeführt ward, Bilder von der Geschichte des Jason. der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/53>, abgerufen am 29.06.2024.