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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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gossenen Thränen des Kaisers hervorbrachten, ein Franzose in gutem Glauben
schreiben: "Sie fanden überall nur eine eisig kalte Aufnahme." So schrieb
ein ehrlicher Correspondent von den Thränen des Is. Juli an seine Pariser
Zeitung; der "esxrit "Äulois" versteht es eben nicht besser.

Auch an den Abschied vom 31. Juli erinnerte die gestrige Ankunft des
Königs; freilich fand er als Kaiser nichts verändert, nur Ein Haus weniger;
die Gerichtslaube war, nachdem seine Einwilligung ertheilt war, in den letzten
Tagen vor dem siebzehnten März abgebrochen worden. Und befriedigt blickte
das Auge des Kaisers, als er die Königsstraße entlang fuhr, über die
Stelle hinweg, an welcher unser "moderner Geßlerhut" -- so sagte einst die
"Zukunft" -- gestanden hatte, hinauf nach dem in glänzendsten Schmuck
und rothem Brillantfeuer strahlenden Rathhaus. Freilich, an was Alles mag
der Kaiser bei seinem während der Umfahrt durch die jubelnde Stadt unver¬
änderten Lächeln gedacht haben! An jenem 17. März 1863, als er unter
gänzlicher Theilnahmlosigkeit der Bevölkerung, den Grundstein zu jenem
Denkmal Friedrich Wilhelm III. legte, dessen Enthüllung am 3-Mugust 1870
der Krieg verhindert hat. Vielleicht auch an jenen 18. März 1848, an welchem
er sich der blinden Wuth der Berliner Straßendemokraten, die ihn so tödtlich
haßten, durch Abreise nach London entziehen mußte, um dort "in geheimer
Mission" bis zum Mai des Jahres zu verharren, Er, den die Times heute
mit Recht als den mächtigsten Fürsten Europas bezeichnet.

Der heutige März ist keine Zeit des wüsten Sturmes, wie der gleiche
Monat vor dreiundzwanzig Jahren; er ist die Epoche, in welcher das mit
Glanz in Erfüllung gegangen ist, was Friedrich Wilhelms IV. Proclamation
des 18. März 1848 für Deutschland verheißen hat. Und daß die Erfüllung
eine dauernde sein wird, dafür bürgt uns der als Bewahrheitung der könig¬
lichen Proclamation vom 21. März 1848 an diesem 21. März hier zusammen¬
tretende erste deutsche Reichstag, dem noch viele gleiche Versammlungen folgen
werden; dafür bürgt uns die Lichtgestalt des deutschen Kronprinzen, der von
den vor seinem Schlosse auf und ab wogenden Volksmassen so lange mit
Hurrahs begrüßt wurde, bis er, umgeben von all seinen blühenden Sprö߬
lingen, die Gattin an der Seite, das jüngste nur erst Monate alte Kind auf
dem Arm, sich als ein lebendes Bild von unvergleichlichen Eindruck den zahl¬
losen Zuschauern darstellte. Wahrlich, eine herrliche Hoffnung Deutschlands,
diese Personification des Ideals einer deutschen Familie!


est.


gossenen Thränen des Kaisers hervorbrachten, ein Franzose in gutem Glauben
schreiben: „Sie fanden überall nur eine eisig kalte Aufnahme." So schrieb
ein ehrlicher Correspondent von den Thränen des Is. Juli an seine Pariser
Zeitung; der „esxrit »Äulois" versteht es eben nicht besser.

Auch an den Abschied vom 31. Juli erinnerte die gestrige Ankunft des
Königs; freilich fand er als Kaiser nichts verändert, nur Ein Haus weniger;
die Gerichtslaube war, nachdem seine Einwilligung ertheilt war, in den letzten
Tagen vor dem siebzehnten März abgebrochen worden. Und befriedigt blickte
das Auge des Kaisers, als er die Königsstraße entlang fuhr, über die
Stelle hinweg, an welcher unser „moderner Geßlerhut" — so sagte einst die
„Zukunft" — gestanden hatte, hinauf nach dem in glänzendsten Schmuck
und rothem Brillantfeuer strahlenden Rathhaus. Freilich, an was Alles mag
der Kaiser bei seinem während der Umfahrt durch die jubelnde Stadt unver¬
änderten Lächeln gedacht haben! An jenem 17. März 1863, als er unter
gänzlicher Theilnahmlosigkeit der Bevölkerung, den Grundstein zu jenem
Denkmal Friedrich Wilhelm III. legte, dessen Enthüllung am 3-Mugust 1870
der Krieg verhindert hat. Vielleicht auch an jenen 18. März 1848, an welchem
er sich der blinden Wuth der Berliner Straßendemokraten, die ihn so tödtlich
haßten, durch Abreise nach London entziehen mußte, um dort „in geheimer
Mission" bis zum Mai des Jahres zu verharren, Er, den die Times heute
mit Recht als den mächtigsten Fürsten Europas bezeichnet.

Der heutige März ist keine Zeit des wüsten Sturmes, wie der gleiche
Monat vor dreiundzwanzig Jahren; er ist die Epoche, in welcher das mit
Glanz in Erfüllung gegangen ist, was Friedrich Wilhelms IV. Proclamation
des 18. März 1848 für Deutschland verheißen hat. Und daß die Erfüllung
eine dauernde sein wird, dafür bürgt uns der als Bewahrheitung der könig¬
lichen Proclamation vom 21. März 1848 an diesem 21. März hier zusammen¬
tretende erste deutsche Reichstag, dem noch viele gleiche Versammlungen folgen
werden; dafür bürgt uns die Lichtgestalt des deutschen Kronprinzen, der von
den vor seinem Schlosse auf und ab wogenden Volksmassen so lange mit
Hurrahs begrüßt wurde, bis er, umgeben von all seinen blühenden Sprö߬
lingen, die Gattin an der Seite, das jüngste nur erst Monate alte Kind auf
dem Arm, sich als ein lebendes Bild von unvergleichlichen Eindruck den zahl¬
losen Zuschauern darstellte. Wahrlich, eine herrliche Hoffnung Deutschlands,
diese Personification des Ideals einer deutschen Familie!


est.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/526>, abgerufen am 26.06.2024.