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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Am 1. Januar überschritt er den Rhein; am 1. Februar schlug er
Napoleon bei La Rothiere. Es war zum ersten Mal, daß Bonaparte
auf französischem Boden besiegt ward; es war überhaupt seit den Tagen
der sächsischen Kaiser, seit mehr als sieben Jahrhunderten,
das erste Mal, daß Frankreich auf altfranzösischen Boden
gegen deutsche Krieger eine offene Feldschlacht verlor! Welch'
ein Zeichen der Zeit! -- Und dennoch Kleinmuth und Befangenheit im öst¬
reichischen Hauptquartier. Der Sieg bleibt unbenutzt, weil die Diplomatie
dem Feinde Zeit zum Unterhandeln gönnen will. Mit weit vorgestreckter
Hand bietet man auf dem Congreß von Chatillon die Grenzen von 1792 an
und gewährt dadurch Napoleon Zeit und Mittel, geniale Fechterschläge aus¬
zutheilen, die ihm auf einen Augenblick Freiheit des Handelns, mit ihr aber
auch den. vollen Cäsarenhochmuth wiedergeben. Da endlich schließen sich die
Verbündeten zu Chaumont fester aneinander und mit stolzer Entschiedenheit
beginnt Blücher den Vormarsch auf Paris. Vergebens versucht Napoleon,
bei Areis-sur-Aube von Schwarzenberg geschlagen, mit seiner ganzen
Macht auf die Rückzugslinie der Alliirten zu drücken; diese Bewegung hat
ebenso wenig Erfolg wie ihre Copie durch Gambetta-Bourbaki vom vorigen
Monat; die Schlacht vom Montmartre entscheidet den Feldzug und der erste
Friede von Paris wird geschlossen. -- Wie wenig entsprach er den Hoffnun¬
gen, die seit der Schlacht bei Leipzig das Herz der deutschen Patrioten füll¬
ten ! Schon der Waffenstillstand vom April sicherte den Bourbons die Grenzen
von 1792. Mehr als eine Milliarde hatte Napoleon nach 1806 aus Nord¬
deutschland herausgepreßt, und selbst eine theilweise Wiedererstattung dieser
Summe wurde jetzt verwehrt. Bestürzt und erbittert vernahm Deutschland
diese Bedingungen, die ihm der Wille Rußlands und Oestreichs dictirte. --
Aber noch einmal wurde eine kostbare Gelegenheit geboten, um solche schweren
Versäumnisse wieder einzubringen. Durch den wahnsinnigen Rausch der
"Hundert Tage" verwirkten die Franzosen alle Zugeständnisse. Noch auf
dem Marsche von Waterloo nach Paris schrieb Blücher an den König: "Ich
bitte nur allerunterthänigst, die Diplomatiker dahin anzuweisen, daß sie nicht
wieder das verlieren, was der Soldat mit seinem Blute errungen hat.
Dieser Augenblick ist der einzige und letzte, um Deutschland gegen Frankreich
zu sichern. Ew. Majestät werden als Gründer von Deutschlands Sicherheit
verehrt werden und wir werden nicht mehr nöthig haben, mit immer gezücktem
Schwerte dazustehn." -- Und wie der Feldherr, so der Kanzler. -- Harden-
berg legte eine Karte vor, auf welcher für Deutschland das ganze Elsaß und
von Lothringen das Land von Metz und Diedenhofen zurückgefordert wurden,
und begleitete diese Karte mit einer Abhandlung, in der es hieß: "Sichtbar
hat die Hand der Vorsehung diese Gelegenheit herbeigeführt. Läßt man sie


Am 1. Januar überschritt er den Rhein; am 1. Februar schlug er
Napoleon bei La Rothiere. Es war zum ersten Mal, daß Bonaparte
auf französischem Boden besiegt ward; es war überhaupt seit den Tagen
der sächsischen Kaiser, seit mehr als sieben Jahrhunderten,
das erste Mal, daß Frankreich auf altfranzösischen Boden
gegen deutsche Krieger eine offene Feldschlacht verlor! Welch'
ein Zeichen der Zeit! — Und dennoch Kleinmuth und Befangenheit im öst¬
reichischen Hauptquartier. Der Sieg bleibt unbenutzt, weil die Diplomatie
dem Feinde Zeit zum Unterhandeln gönnen will. Mit weit vorgestreckter
Hand bietet man auf dem Congreß von Chatillon die Grenzen von 1792 an
und gewährt dadurch Napoleon Zeit und Mittel, geniale Fechterschläge aus¬
zutheilen, die ihm auf einen Augenblick Freiheit des Handelns, mit ihr aber
auch den. vollen Cäsarenhochmuth wiedergeben. Da endlich schließen sich die
Verbündeten zu Chaumont fester aneinander und mit stolzer Entschiedenheit
beginnt Blücher den Vormarsch auf Paris. Vergebens versucht Napoleon,
bei Areis-sur-Aube von Schwarzenberg geschlagen, mit seiner ganzen
Macht auf die Rückzugslinie der Alliirten zu drücken; diese Bewegung hat
ebenso wenig Erfolg wie ihre Copie durch Gambetta-Bourbaki vom vorigen
Monat; die Schlacht vom Montmartre entscheidet den Feldzug und der erste
Friede von Paris wird geschlossen. — Wie wenig entsprach er den Hoffnun¬
gen, die seit der Schlacht bei Leipzig das Herz der deutschen Patrioten füll¬
ten ! Schon der Waffenstillstand vom April sicherte den Bourbons die Grenzen
von 1792. Mehr als eine Milliarde hatte Napoleon nach 1806 aus Nord¬
deutschland herausgepreßt, und selbst eine theilweise Wiedererstattung dieser
Summe wurde jetzt verwehrt. Bestürzt und erbittert vernahm Deutschland
diese Bedingungen, die ihm der Wille Rußlands und Oestreichs dictirte. —
Aber noch einmal wurde eine kostbare Gelegenheit geboten, um solche schweren
Versäumnisse wieder einzubringen. Durch den wahnsinnigen Rausch der
„Hundert Tage" verwirkten die Franzosen alle Zugeständnisse. Noch auf
dem Marsche von Waterloo nach Paris schrieb Blücher an den König: „Ich
bitte nur allerunterthänigst, die Diplomatiker dahin anzuweisen, daß sie nicht
wieder das verlieren, was der Soldat mit seinem Blute errungen hat.
Dieser Augenblick ist der einzige und letzte, um Deutschland gegen Frankreich
zu sichern. Ew. Majestät werden als Gründer von Deutschlands Sicherheit
verehrt werden und wir werden nicht mehr nöthig haben, mit immer gezücktem
Schwerte dazustehn." — Und wie der Feldherr, so der Kanzler. — Harden-
berg legte eine Karte vor, auf welcher für Deutschland das ganze Elsaß und
von Lothringen das Land von Metz und Diedenhofen zurückgefordert wurden,
und begleitete diese Karte mit einer Abhandlung, in der es hieß: „Sichtbar
hat die Hand der Vorsehung diese Gelegenheit herbeigeführt. Läßt man sie


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[0503] Am 1. Januar überschritt er den Rhein; am 1. Februar schlug er Napoleon bei La Rothiere. Es war zum ersten Mal, daß Bonaparte auf französischem Boden besiegt ward; es war überhaupt seit den Tagen der sächsischen Kaiser, seit mehr als sieben Jahrhunderten, das erste Mal, daß Frankreich auf altfranzösischen Boden gegen deutsche Krieger eine offene Feldschlacht verlor! Welch' ein Zeichen der Zeit! — Und dennoch Kleinmuth und Befangenheit im öst¬ reichischen Hauptquartier. Der Sieg bleibt unbenutzt, weil die Diplomatie dem Feinde Zeit zum Unterhandeln gönnen will. Mit weit vorgestreckter Hand bietet man auf dem Congreß von Chatillon die Grenzen von 1792 an und gewährt dadurch Napoleon Zeit und Mittel, geniale Fechterschläge aus¬ zutheilen, die ihm auf einen Augenblick Freiheit des Handelns, mit ihr aber auch den. vollen Cäsarenhochmuth wiedergeben. Da endlich schließen sich die Verbündeten zu Chaumont fester aneinander und mit stolzer Entschiedenheit beginnt Blücher den Vormarsch auf Paris. Vergebens versucht Napoleon, bei Areis-sur-Aube von Schwarzenberg geschlagen, mit seiner ganzen Macht auf die Rückzugslinie der Alliirten zu drücken; diese Bewegung hat ebenso wenig Erfolg wie ihre Copie durch Gambetta-Bourbaki vom vorigen Monat; die Schlacht vom Montmartre entscheidet den Feldzug und der erste Friede von Paris wird geschlossen. — Wie wenig entsprach er den Hoffnun¬ gen, die seit der Schlacht bei Leipzig das Herz der deutschen Patrioten füll¬ ten ! Schon der Waffenstillstand vom April sicherte den Bourbons die Grenzen von 1792. Mehr als eine Milliarde hatte Napoleon nach 1806 aus Nord¬ deutschland herausgepreßt, und selbst eine theilweise Wiedererstattung dieser Summe wurde jetzt verwehrt. Bestürzt und erbittert vernahm Deutschland diese Bedingungen, die ihm der Wille Rußlands und Oestreichs dictirte. — Aber noch einmal wurde eine kostbare Gelegenheit geboten, um solche schweren Versäumnisse wieder einzubringen. Durch den wahnsinnigen Rausch der „Hundert Tage" verwirkten die Franzosen alle Zugeständnisse. Noch auf dem Marsche von Waterloo nach Paris schrieb Blücher an den König: „Ich bitte nur allerunterthänigst, die Diplomatiker dahin anzuweisen, daß sie nicht wieder das verlieren, was der Soldat mit seinem Blute errungen hat. Dieser Augenblick ist der einzige und letzte, um Deutschland gegen Frankreich zu sichern. Ew. Majestät werden als Gründer von Deutschlands Sicherheit verehrt werden und wir werden nicht mehr nöthig haben, mit immer gezücktem Schwerte dazustehn." — Und wie der Feldherr, so der Kanzler. — Harden- berg legte eine Karte vor, auf welcher für Deutschland das ganze Elsaß und von Lothringen das Land von Metz und Diedenhofen zurückgefordert wurden, und begleitete diese Karte mit einer Abhandlung, in der es hieß: „Sichtbar hat die Hand der Vorsehung diese Gelegenheit herbeigeführt. Läßt man sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/503>, abgerufen am 26.06.2024.