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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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gegenüber insofern als Sieger daraus hervor, als das Haus Bourbon wirklich
den spanischen Thron bestieg. Größer jedoch waren noch die Erfolge gegen
Deutschland. Die eigensüchtige Politik Oesterreichs hat alle Hoffnungen und
Pläne der deutschen Patrioten: dem geschlagenen Frankreich das Elsaß wieder
abzunehmen, kaltsinnig vereitelt"'). Im Gegentheil: auch noch Landau ging
verloren. So ward selbst dieser glücklich geführte Erbfolgekrieg ein neuer
Anlaß zur Demüthigung des Reichs; und vielleicht geschah es in Erinnerung
an diesen Erfolg, wenn Napoleon III. uns im vorigen Jahre abermals in
einen Krieg um die spanische Krone verwickeln wollte. Freilich 1870 war
das nur ein Vorwand, um mit räuberischer Faust nach der Rheingrenze zu
greifen, ein Vorwand ganz desselben Schlages, wie ihn bald nach Ludwigs XIV.
Tode der Cardinal Fleury ergriff, um Lothringen zu erwerben. Denn im
Jahre 1733 überzog Frankreich das deutsche Reich mit Krieg, angeblich um
zu verhindern, daß der Kurfürst von Sachsen König von Polen werde; es
kämpfte indessen lässig genug und schloß Frieden, sobald der Kaiser sich dazu
verstand, dem französischen Kandidaten für Polen, Stanislaus Lesczynski,
dys Herzogthum Lothringen abzutreten, unter dem Vorbehalte, daß es nach
dem Tode des polnischen Herrn definitiv an Frankreich falle. Oestreich em¬
pfing dafür Toscana, das Erbe der Medicäer. Die Dynastie Lothringen-
Habsburg verhandelte also ihr Stammland; sie erhielt indessen doch baare
Zahlung. Was aber empfing das deutsche Reich, dessen Glied Lothringen
war, dessen Schutz und Vormauer es bildete? Was empfing das Reich, als
nun endlich diese Grenzmark, um welche es jahrhundertelang so blutig ge¬
rungen, dem Erbfeind überlassen ward? -- Nichts, gar nichts!! --

Der Jndifferentismus Oestreichs hatte die tausendjährigen Bestrebungen
Frankreichs gekrönt. Darin lag ein Bindemittel. Der hergebrachte Gegensatz
der Häuser Bourbon und Habsburg war indessen doch noch stark genug, um
Frankreich sogar auf die Seite des deutschen Kaisers zu führen,, als dieser
einmal ausnahmsweise nicht dem Hause Habsburg angehörte. So geschah
es, daß Ludwig XV. während das östreichischen Erbfolgekrieges mit dem
bayerischen Karl VII. und Friedrich d. Gr. gegen Maria Theresia verbunden
war. Bald aber erkannte Frankreich, daß nicht mehr Oestreich, sondern Preußen
Träger des deutschen Staatsgedankens sei und von dem Augenblicke an alliirten
sich Bourbon und Habsburg. Die Franzosen fochten im siebenjährigen Kriege



"> Oestreich weigerte sich mimlich dem Frieden von Utrecht beizutreten. Bei diesem
sollte Deutschland, Bö'lingbrokes Forderungen zufolge, Straßburg und Landau zurückempfangen;
dringend riethen die deutschen Minister, sowie der Prinz Eugen zum Beitritt. Aber die spa¬
nische Partei widerstrebte. Der Kaiser setzte den Krieg sort mit ganz unzureichenden Mitteln.
Hatte doch Holland bis dahin auf den Kampf 40 Millionen, das deutsche Reich nicht mehr
als 4 Millionen verwendet; und während England jährlich l>0 bis 70 Millionen zahlte, konnte
der Kaiser besten Falles K bis 8 Millionen erschwingen. -- Daher seine Mißerfolge beim
Einzelkampfe, den er ohne Ueberlegung weiterführte.

gegenüber insofern als Sieger daraus hervor, als das Haus Bourbon wirklich
den spanischen Thron bestieg. Größer jedoch waren noch die Erfolge gegen
Deutschland. Die eigensüchtige Politik Oesterreichs hat alle Hoffnungen und
Pläne der deutschen Patrioten: dem geschlagenen Frankreich das Elsaß wieder
abzunehmen, kaltsinnig vereitelt"'). Im Gegentheil: auch noch Landau ging
verloren. So ward selbst dieser glücklich geführte Erbfolgekrieg ein neuer
Anlaß zur Demüthigung des Reichs; und vielleicht geschah es in Erinnerung
an diesen Erfolg, wenn Napoleon III. uns im vorigen Jahre abermals in
einen Krieg um die spanische Krone verwickeln wollte. Freilich 1870 war
das nur ein Vorwand, um mit räuberischer Faust nach der Rheingrenze zu
greifen, ein Vorwand ganz desselben Schlages, wie ihn bald nach Ludwigs XIV.
Tode der Cardinal Fleury ergriff, um Lothringen zu erwerben. Denn im
Jahre 1733 überzog Frankreich das deutsche Reich mit Krieg, angeblich um
zu verhindern, daß der Kurfürst von Sachsen König von Polen werde; es
kämpfte indessen lässig genug und schloß Frieden, sobald der Kaiser sich dazu
verstand, dem französischen Kandidaten für Polen, Stanislaus Lesczynski,
dys Herzogthum Lothringen abzutreten, unter dem Vorbehalte, daß es nach
dem Tode des polnischen Herrn definitiv an Frankreich falle. Oestreich em¬
pfing dafür Toscana, das Erbe der Medicäer. Die Dynastie Lothringen-
Habsburg verhandelte also ihr Stammland; sie erhielt indessen doch baare
Zahlung. Was aber empfing das deutsche Reich, dessen Glied Lothringen
war, dessen Schutz und Vormauer es bildete? Was empfing das Reich, als
nun endlich diese Grenzmark, um welche es jahrhundertelang so blutig ge¬
rungen, dem Erbfeind überlassen ward? — Nichts, gar nichts!! —

Der Jndifferentismus Oestreichs hatte die tausendjährigen Bestrebungen
Frankreichs gekrönt. Darin lag ein Bindemittel. Der hergebrachte Gegensatz
der Häuser Bourbon und Habsburg war indessen doch noch stark genug, um
Frankreich sogar auf die Seite des deutschen Kaisers zu führen,, als dieser
einmal ausnahmsweise nicht dem Hause Habsburg angehörte. So geschah
es, daß Ludwig XV. während das östreichischen Erbfolgekrieges mit dem
bayerischen Karl VII. und Friedrich d. Gr. gegen Maria Theresia verbunden
war. Bald aber erkannte Frankreich, daß nicht mehr Oestreich, sondern Preußen
Träger des deutschen Staatsgedankens sei und von dem Augenblicke an alliirten
sich Bourbon und Habsburg. Die Franzosen fochten im siebenjährigen Kriege



"> Oestreich weigerte sich mimlich dem Frieden von Utrecht beizutreten. Bei diesem
sollte Deutschland, Bö'lingbrokes Forderungen zufolge, Straßburg und Landau zurückempfangen;
dringend riethen die deutschen Minister, sowie der Prinz Eugen zum Beitritt. Aber die spa¬
nische Partei widerstrebte. Der Kaiser setzte den Krieg sort mit ganz unzureichenden Mitteln.
Hatte doch Holland bis dahin auf den Kampf 40 Millionen, das deutsche Reich nicht mehr
als 4 Millionen verwendet; und während England jährlich l>0 bis 70 Millionen zahlte, konnte
der Kaiser besten Falles K bis 8 Millionen erschwingen. — Daher seine Mißerfolge beim
Einzelkampfe, den er ohne Ueberlegung weiterführte.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/496>, abgerufen am 26.06.2024.