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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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diges Gegenstück liefern, indem sie mit 48 Stimmen die Ablehnung der
Bündnißverträge beantragte. Mit dieser doppelten That beladen, stehen jetzt
die "Patrioten" ihrem engern Vaterland und der Zukunft gegenüber, und
alle Umstände vereinigen sich, um ihr Ansehen und ihre Erfolge zu schmälern.
Vor allem lag seit dem Zustandekommen der Verträge das Gefühl einer
schweren, einer entscheidenden Niederlage auf ihnen; der numerische Verlust,
den sie hierbei erlitten, ist immerhin auf etwa 20 Deputirte anzuschlagen;
denn genau lassen sich die beiden ultramontanen Varietäten nicht ausscheiden.
Soviel aber steht fest, daß unter den Ausgeschiedenen sich jedenfalls die be¬
deutendsten , ja man darf sagen die gebildetsten Mitglieder der Partei befan¬
den; die jetzige alte Garde besteht fast nur noch aus Bauern, Geistlichen
und Bureaukraten. Ein paar Adelige scheinen durch den Namen zu ersetzen,
was ihnen im Uebrigen gebricht. Von diesem Verluste an Personal läßt sich
ein Verlust an Vertrauen, an moralischem Einfluß nicht trennen, wie dies
schon zahlreiche Briefe der Wähler nach der Abstimmung darthaten; noch
mehr aber wird ihr Einfluß durch den Umstand geschädigt, daß seit dem
Abfall der "Postzeitung" den Ultramontanen kein einziges anständiges Blatt
zur Verfügung steht.

Dies ist die gegenwärtige Lage der ultramontanen Partei in Baiern. Ihre
politischen Führer sind Jörg und Greil, ihre publicistischen Zander und Sigl.
Allein trotz dieser Herabgekommenheit darf man sie keineswegs für ungefähr¬
lich oder für vernichtet halten. Denn noch gibt es Menschen genug, welche
Verrath und Treue, Gemeinheit und Tapferkeit verwechseln und aus der trau¬
rigen Masse solcher Menschen bildet sich die Heerschaar der "47 Getreuen".

Am interessantesten ist ohne Zweifel das Centrum; wir meinen jene Ul¬
tramontanen, welche sich nicht zu den schwarzen Thaten Greil's, aber auch
nicht zu dem liberalen Programm der Fortschrittspartei entschließen konnten.
stofflich untersucht, stellen sie den Gegensatz nach Außen dar, der innerlich
längst unter der ultramontanen Partei bestand. Denn den gebildeten und ein¬
sichtsvolleren Gliedern derselben war es längst verhaßt geworden, den Terro¬
rismus und die Despotenlaunen der parlamentarischen Barbari zu ertragen.
Obwohl dieselben in der Kriegsfrage bereits mit den Nationalliberalen ge¬
stimmt hatten, so kam es dennoch nicht zum thatsächlichen Bruch; bei dem
zweiten wichtigen Anlaß aber zerriß auch der äußerliche Verband. Unter
Huttler's Leitung sonderten sich einige zwanzig Clerikale und Partieularisten
ab und bildeten nach einer öffentlichen und formellen Trennung von der
Hauptmacht eine gesonderte Fraction, die ursprünglich den Namen ihres
Führers trug und sich dann als Centrum constituirte. Durch den höheren
Persönlichen Bildungsgrad, durch den Besitz zweier vielgelesenen Blätter und
durch die Seitenblicke, welche die Regierung dieser Neubildung zuwandte, er-


Grenzbotm I. 1871. 61

diges Gegenstück liefern, indem sie mit 48 Stimmen die Ablehnung der
Bündnißverträge beantragte. Mit dieser doppelten That beladen, stehen jetzt
die „Patrioten" ihrem engern Vaterland und der Zukunft gegenüber, und
alle Umstände vereinigen sich, um ihr Ansehen und ihre Erfolge zu schmälern.
Vor allem lag seit dem Zustandekommen der Verträge das Gefühl einer
schweren, einer entscheidenden Niederlage auf ihnen; der numerische Verlust,
den sie hierbei erlitten, ist immerhin auf etwa 20 Deputirte anzuschlagen;
denn genau lassen sich die beiden ultramontanen Varietäten nicht ausscheiden.
Soviel aber steht fest, daß unter den Ausgeschiedenen sich jedenfalls die be¬
deutendsten , ja man darf sagen die gebildetsten Mitglieder der Partei befan¬
den; die jetzige alte Garde besteht fast nur noch aus Bauern, Geistlichen
und Bureaukraten. Ein paar Adelige scheinen durch den Namen zu ersetzen,
was ihnen im Uebrigen gebricht. Von diesem Verluste an Personal läßt sich
ein Verlust an Vertrauen, an moralischem Einfluß nicht trennen, wie dies
schon zahlreiche Briefe der Wähler nach der Abstimmung darthaten; noch
mehr aber wird ihr Einfluß durch den Umstand geschädigt, daß seit dem
Abfall der „Postzeitung" den Ultramontanen kein einziges anständiges Blatt
zur Verfügung steht.

Dies ist die gegenwärtige Lage der ultramontanen Partei in Baiern. Ihre
politischen Führer sind Jörg und Greil, ihre publicistischen Zander und Sigl.
Allein trotz dieser Herabgekommenheit darf man sie keineswegs für ungefähr¬
lich oder für vernichtet halten. Denn noch gibt es Menschen genug, welche
Verrath und Treue, Gemeinheit und Tapferkeit verwechseln und aus der trau¬
rigen Masse solcher Menschen bildet sich die Heerschaar der „47 Getreuen".

Am interessantesten ist ohne Zweifel das Centrum; wir meinen jene Ul¬
tramontanen, welche sich nicht zu den schwarzen Thaten Greil's, aber auch
nicht zu dem liberalen Programm der Fortschrittspartei entschließen konnten.
stofflich untersucht, stellen sie den Gegensatz nach Außen dar, der innerlich
längst unter der ultramontanen Partei bestand. Denn den gebildeten und ein¬
sichtsvolleren Gliedern derselben war es längst verhaßt geworden, den Terro¬
rismus und die Despotenlaunen der parlamentarischen Barbari zu ertragen.
Obwohl dieselben in der Kriegsfrage bereits mit den Nationalliberalen ge¬
stimmt hatten, so kam es dennoch nicht zum thatsächlichen Bruch; bei dem
zweiten wichtigen Anlaß aber zerriß auch der äußerliche Verband. Unter
Huttler's Leitung sonderten sich einige zwanzig Clerikale und Partieularisten
ab und bildeten nach einer öffentlichen und formellen Trennung von der
Hauptmacht eine gesonderte Fraction, die ursprünglich den Namen ihres
Führers trug und sich dann als Centrum constituirte. Durch den höheren
Persönlichen Bildungsgrad, durch den Besitz zweier vielgelesenen Blätter und
durch die Seitenblicke, welche die Regierung dieser Neubildung zuwandte, er-


Grenzbotm I. 1871. 61
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/485>, abgerufen am 26.06.2024.