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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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dung der Gegensätze die hier unter einer Maske versteckt wurden, vollzog sich
jetzt um so rücksichtsloser.

Daß hierdurch nicht nur neue Ziffern, sondern auch neue Factoren auf
den politischen Schauplatz traten, ist klar. Es obliegt uns deßhalb vor allem,
die Verhältnisse dieser drei Parteien unter einander abzugleichen, dann erst
wollen wir die Frage erörtern, wie diese Verhältnisse bei den Reichstags¬
wahlen zur Geltung kamen. Zum Schlüsse mögen die Folgerungen, die wir
aus dieser Probe ziehen können, in Betracht kommen.

Die angesehenste und mächtigste der drei Parteien ist ohne Zweifel die
nationalliberale. Wenn sie schon vorher dadurch ein Uebergewicht besaß, daß
die begabtesten Mitglieder der Kammer ihren Reihen angehörten, daß sie fast
ausschließlich im Besitze der politischen Fähigkeit war, so hat sich dies Ueber¬
gewicht noch unberechenbar vermehrt, seitdem sie auch numerisch die stärkste
ist. Der moralische Zuwachs, der Zuwachs an Vertrauen und Autorität,
der mit dem Sieg der Sache auch den Vertretern derselben zu Gute kam,
entzieht sich jeder Schätzung. Sie ist die eigentliche Stütze des jüngst ge¬
schehenen Umschwungs, sie trägt und repräsentirt die Politik, in die wir
durch die Hand der Geschichte gewiesen worden sind, und jede Regierung,
die anstatt ein erhabenes Selstgefühl zu pflegen, auf die frische lebensfähige
Volkskraft zurückgreift, wird schließlich in dieser Partei ihren Stützpunkt
suchen müssen.

Würdeloser, als sie jemals war, steht derselben die eigentliche reactionäre
Fraction, die Clique der Vollblutultramontanen gegenüber. Sie selber nennt
sich noch heute, wie früher, "die patriotische", allein es wäre Zeit, daß dieser
Ehrenname, durch den "Gerichtsgebrauch" der Presse endlich abgeschafft werde.
Patrioten nannte man einst diejenigen, welche Leib und Leben, welche Gut
und Blut für Deutschland ließen; warum soll man nun das Andenken der¬
selben damit entehren, daß man die Leugner und Verächter des Vaterlandes
mit dem gleichen Namen bezeichnet? Man sagt freilich, der Name thut nichts
zur Sache, aber nicht in allen Fällen ist dieß wahr. Der gläubigen, un¬
mündigen Menge gegenüber bedeutet der Name Alles und die Stimmen,
welche die Klerikalen in Baiern damit erschlichen haben, daß sie das Gaukler¬
stück gewagt, sich "Patrioten" zu heißen, zählen nach Tausenden, Der Ultra¬
montanismus ist ein Wechselbalg im deutschen Hause und darum soll er kein
Anrecht auf den legitimen Namen haben, den die Kinder dieses Hauses in
Ehren tragen.

Um die ultramontane Partei in Baiern zu kennzeichnen, bedarf es in¬
dessen nicht vieler Worte, ihre eigenen Thaten (und Unthaten) sprechen
deutlich genug. Zu dem Beschlusse vom 19. Juli vorigen Jahres, wo 47
ihrer Mitglieder gegen die Verträge stimmten, konnte nur sie selber ein our-


dung der Gegensätze die hier unter einer Maske versteckt wurden, vollzog sich
jetzt um so rücksichtsloser.

Daß hierdurch nicht nur neue Ziffern, sondern auch neue Factoren auf
den politischen Schauplatz traten, ist klar. Es obliegt uns deßhalb vor allem,
die Verhältnisse dieser drei Parteien unter einander abzugleichen, dann erst
wollen wir die Frage erörtern, wie diese Verhältnisse bei den Reichstags¬
wahlen zur Geltung kamen. Zum Schlüsse mögen die Folgerungen, die wir
aus dieser Probe ziehen können, in Betracht kommen.

Die angesehenste und mächtigste der drei Parteien ist ohne Zweifel die
nationalliberale. Wenn sie schon vorher dadurch ein Uebergewicht besaß, daß
die begabtesten Mitglieder der Kammer ihren Reihen angehörten, daß sie fast
ausschließlich im Besitze der politischen Fähigkeit war, so hat sich dies Ueber¬
gewicht noch unberechenbar vermehrt, seitdem sie auch numerisch die stärkste
ist. Der moralische Zuwachs, der Zuwachs an Vertrauen und Autorität,
der mit dem Sieg der Sache auch den Vertretern derselben zu Gute kam,
entzieht sich jeder Schätzung. Sie ist die eigentliche Stütze des jüngst ge¬
schehenen Umschwungs, sie trägt und repräsentirt die Politik, in die wir
durch die Hand der Geschichte gewiesen worden sind, und jede Regierung,
die anstatt ein erhabenes Selstgefühl zu pflegen, auf die frische lebensfähige
Volkskraft zurückgreift, wird schließlich in dieser Partei ihren Stützpunkt
suchen müssen.

Würdeloser, als sie jemals war, steht derselben die eigentliche reactionäre
Fraction, die Clique der Vollblutultramontanen gegenüber. Sie selber nennt
sich noch heute, wie früher, „die patriotische", allein es wäre Zeit, daß dieser
Ehrenname, durch den „Gerichtsgebrauch" der Presse endlich abgeschafft werde.
Patrioten nannte man einst diejenigen, welche Leib und Leben, welche Gut
und Blut für Deutschland ließen; warum soll man nun das Andenken der¬
selben damit entehren, daß man die Leugner und Verächter des Vaterlandes
mit dem gleichen Namen bezeichnet? Man sagt freilich, der Name thut nichts
zur Sache, aber nicht in allen Fällen ist dieß wahr. Der gläubigen, un¬
mündigen Menge gegenüber bedeutet der Name Alles und die Stimmen,
welche die Klerikalen in Baiern damit erschlichen haben, daß sie das Gaukler¬
stück gewagt, sich „Patrioten" zu heißen, zählen nach Tausenden, Der Ultra¬
montanismus ist ein Wechselbalg im deutschen Hause und darum soll er kein
Anrecht auf den legitimen Namen haben, den die Kinder dieses Hauses in
Ehren tragen.

Um die ultramontane Partei in Baiern zu kennzeichnen, bedarf es in¬
dessen nicht vieler Worte, ihre eigenen Thaten (und Unthaten) sprechen
deutlich genug. Zu dem Beschlusse vom 19. Juli vorigen Jahres, wo 47
ihrer Mitglieder gegen die Verträge stimmten, konnte nur sie selber ein our-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/484>, abgerufen am 26.06.2024.