Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gauges als gewissermaßen Leitmotiv höherer Gattung. Wie es ursprüng¬
lich jenen Thematen eigen ist, wie es selbst schon da ausgesponnen wird, wo und
nachdem es die Nationalmelodieen einführte, so finden wir es wieder: in den
3 Anfangstönen der Ouvertüre, denen von Oberon's Zauberhorn, die wie
im Adagio so auch im Allegro derselben in diesem Sinne zweimal wiederkehren
und später jedesmal, wo Oberon's Beistand durch das Zauberhorn herbeige¬
rufen wird (z. B. in den im Clav.-Auszuge nicht enthaltenen Nummern 9^
und 14); wir finden es als Einleitung des Elfenchors No. 1, nur umge¬
kehrt; es leitet die Baßfigur zu Anfange von Oberon's Arie No. 2 ein;
ebenso, doch wieder umgekehrt, beginnt es Oberon's Gesang bei dessen erstem
Worte " Schrecke nssch w ur" in dieser Nummer, wie es mannigfach ander¬
weitig darin auftritt; es ist das Hauptmotiv des Türkenchors zu Anfang
des 2. Acts; es klingt in dem "Wohlgemuth! Wohlgemut!)!" in dem
"segelt fort" des großen Geisterchores am Schlüsse dieses Actes
wieder; es leitet N. 3, die Vision Rezia's, ein; es spricht lebhaft erregt
aus ihren drei Ausrufen zu Anfang des 1. Finales "Eil', edler Held" und
des 2. ^.lleAi-o vivace darin "Sagt' ich's nicht?"; es spricht tief schwermüthig
in den Blasinstrumenten des Zwischenspiels und Schlusses von deren Cava-
tine "Traure mein Herz", wie im Andante des Duetts N. 17, wenn Fa-
time die Sehnsucht nach ihrer Heimath in dieselben Töne kleidet; ja wir
hören sie den Muschelhörnern, die den Gesang der Meermädchen begleiten,
entsteigen, wie sie in gleicher Weise die flüchtige Geigenfigur des Ritornells
zum ?rssto ÄZitato von Ur. 12 durchzittern. -- Welch eine wunderbare
Consequenz! Ob sie bewußt innegehalten, ob unbewußt, ob beides der Fall --
wer wagt darüber^ zu entscheiden? Wer kann davon erzählen, wo der Genius
empfangen oder gegeben hat? Es bleibt eben sein geheimnißvolles Walten.--
In diesem Sinne Hieher gehörig sei denn auch schließlich eines Momentes
aus W.'s Leben gedacht, von dem mir durch den treuen Freund des W.'schen
Hauses, den K. S. Kammermusiker G. Roth, vor Jahren Mittheilung ge¬
macht worden; betrifft es doch ebenfalls ein sogenanntes "Benutztes", ob¬
wohl direct aus dem großen Reiche der Natur. -- Es war ein heißer Mittag
im hohen Sommer 1824, zur Zeit der ersten innern Beschäftigung W's mit
Oberon. W und Roth befanden sich, vom Dienst in Pi.lnitz kommend, am
Ausgange des Keppgrundes in der Nähe von W.'s Sommerhause zu Hosterwitz.
Ueberall tiefste Stille in dem weiten Landschaftsbilde, das unter der Berglehne,
auf der sie wandelten, vor ihnen ausgebreitet lag; kein Laut, nicht einmal
eines Vogels Zwitschern in der Luft; nur ein feines Singen, ein kaum hör¬
bares surren und Schwirren der sich tummelnden Jnsectenwelt. Plötzlich
ergreift Weber Roth's Arm, legt rasch den Finger auf den Mund, um ihn
darauf wieder lebhaft empor zu heben und auf das belebte Schweigen in der


gauges als gewissermaßen Leitmotiv höherer Gattung. Wie es ursprüng¬
lich jenen Thematen eigen ist, wie es selbst schon da ausgesponnen wird, wo und
nachdem es die Nationalmelodieen einführte, so finden wir es wieder: in den
3 Anfangstönen der Ouvertüre, denen von Oberon's Zauberhorn, die wie
im Adagio so auch im Allegro derselben in diesem Sinne zweimal wiederkehren
und später jedesmal, wo Oberon's Beistand durch das Zauberhorn herbeige¬
rufen wird (z. B. in den im Clav.-Auszuge nicht enthaltenen Nummern 9^
und 14); wir finden es als Einleitung des Elfenchors No. 1, nur umge¬
kehrt; es leitet die Baßfigur zu Anfange von Oberon's Arie No. 2 ein;
ebenso, doch wieder umgekehrt, beginnt es Oberon's Gesang bei dessen erstem
Worte „ Schrecke nssch w ur" in dieser Nummer, wie es mannigfach ander¬
weitig darin auftritt; es ist das Hauptmotiv des Türkenchors zu Anfang
des 2. Acts; es klingt in dem „Wohlgemuth! Wohlgemut!)!" in dem
„segelt fort" des großen Geisterchores am Schlüsse dieses Actes
wieder; es leitet N. 3, die Vision Rezia's, ein; es spricht lebhaft erregt
aus ihren drei Ausrufen zu Anfang des 1. Finales „Eil', edler Held" und
des 2. ^.lleAi-o vivace darin „Sagt' ich's nicht?"; es spricht tief schwermüthig
in den Blasinstrumenten des Zwischenspiels und Schlusses von deren Cava-
tine „Traure mein Herz", wie im Andante des Duetts N. 17, wenn Fa-
time die Sehnsucht nach ihrer Heimath in dieselben Töne kleidet; ja wir
hören sie den Muschelhörnern, die den Gesang der Meermädchen begleiten,
entsteigen, wie sie in gleicher Weise die flüchtige Geigenfigur des Ritornells
zum ?rssto ÄZitato von Ur. 12 durchzittern. — Welch eine wunderbare
Consequenz! Ob sie bewußt innegehalten, ob unbewußt, ob beides der Fall —
wer wagt darüber^ zu entscheiden? Wer kann davon erzählen, wo der Genius
empfangen oder gegeben hat? Es bleibt eben sein geheimnißvolles Walten.—
In diesem Sinne Hieher gehörig sei denn auch schließlich eines Momentes
aus W.'s Leben gedacht, von dem mir durch den treuen Freund des W.'schen
Hauses, den K. S. Kammermusiker G. Roth, vor Jahren Mittheilung ge¬
macht worden; betrifft es doch ebenfalls ein sogenanntes „Benutztes", ob¬
wohl direct aus dem großen Reiche der Natur. — Es war ein heißer Mittag
im hohen Sommer 1824, zur Zeit der ersten innern Beschäftigung W's mit
Oberon. W und Roth befanden sich, vom Dienst in Pi.lnitz kommend, am
Ausgange des Keppgrundes in der Nähe von W.'s Sommerhause zu Hosterwitz.
Ueberall tiefste Stille in dem weiten Landschaftsbilde, das unter der Berglehne,
auf der sie wandelten, vor ihnen ausgebreitet lag; kein Laut, nicht einmal
eines Vogels Zwitschern in der Luft; nur ein feines Singen, ein kaum hör¬
bares surren und Schwirren der sich tummelnden Jnsectenwelt. Plötzlich
ergreift Weber Roth's Arm, legt rasch den Finger auf den Mund, um ihn
darauf wieder lebhaft empor zu heben und auf das belebte Schweigen in der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0479" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125723"/>
            <p xml:id="ID_1593" prev="#ID_1592" next="#ID_1594"> gauges als gewissermaßen Leitmotiv höherer Gattung. Wie es ursprüng¬<lb/>
lich jenen Thematen eigen ist, wie es selbst schon da ausgesponnen wird, wo und<lb/>
nachdem es die Nationalmelodieen einführte, so finden wir es wieder: in den<lb/>
3 Anfangstönen der Ouvertüre, denen von Oberon's Zauberhorn, die wie<lb/>
im Adagio so auch im Allegro derselben in diesem Sinne zweimal wiederkehren<lb/>
und später jedesmal, wo Oberon's Beistand durch das Zauberhorn herbeige¬<lb/>
rufen wird (z. B. in den im Clav.-Auszuge nicht enthaltenen Nummern 9^<lb/>
und 14); wir finden es als Einleitung des Elfenchors No. 1, nur umge¬<lb/>
kehrt; es leitet die Baßfigur zu Anfange von Oberon's Arie No. 2 ein;<lb/>
ebenso, doch wieder umgekehrt, beginnt es Oberon's Gesang bei dessen erstem<lb/>
Worte &#x201E; Schrecke nssch w ur" in dieser Nummer, wie es mannigfach ander¬<lb/>
weitig darin auftritt; es ist das Hauptmotiv des Türkenchors zu Anfang<lb/>
des 2. Acts; es klingt in dem &#x201E;Wohlgemuth! Wohlgemut!)!" in dem<lb/>
&#x201E;segelt fort" des großen Geisterchores am Schlüsse dieses Actes<lb/>
wieder; es leitet N. 3, die Vision Rezia's, ein; es spricht lebhaft erregt<lb/>
aus ihren drei Ausrufen zu Anfang des 1. Finales &#x201E;Eil', edler Held" und<lb/>
des 2. ^.lleAi-o vivace darin &#x201E;Sagt' ich's nicht?"; es spricht tief schwermüthig<lb/>
in den Blasinstrumenten des Zwischenspiels und Schlusses von deren Cava-<lb/>
tine &#x201E;Traure mein Herz", wie im Andante des Duetts N. 17, wenn Fa-<lb/>
time die Sehnsucht nach ihrer Heimath in dieselben Töne kleidet; ja wir<lb/>
hören sie den Muschelhörnern, die den Gesang der Meermädchen begleiten,<lb/>
entsteigen, wie sie in gleicher Weise die flüchtige Geigenfigur des Ritornells<lb/>
zum ?rssto ÄZitato von Ur. 12 durchzittern. &#x2014; Welch eine wunderbare<lb/>
Consequenz! Ob sie bewußt innegehalten, ob unbewußt, ob beides der Fall &#x2014;<lb/>
wer wagt darüber^ zu entscheiden? Wer kann davon erzählen, wo der Genius<lb/>
empfangen oder gegeben hat? Es bleibt eben sein geheimnißvolles Walten.&#x2014;<lb/>
In diesem Sinne Hieher gehörig sei denn auch schließlich eines Momentes<lb/>
aus W.'s Leben gedacht, von dem mir durch den treuen Freund des W.'schen<lb/>
Hauses, den K. S. Kammermusiker G. Roth, vor Jahren Mittheilung ge¬<lb/>
macht worden; betrifft es doch ebenfalls ein sogenanntes &#x201E;Benutztes", ob¬<lb/>
wohl direct aus dem großen Reiche der Natur. &#x2014; Es war ein heißer Mittag<lb/>
im hohen Sommer 1824, zur Zeit der ersten innern Beschäftigung W's mit<lb/>
Oberon. W und Roth befanden sich, vom Dienst in Pi.lnitz kommend, am<lb/>
Ausgange des Keppgrundes in der Nähe von W.'s Sommerhause zu Hosterwitz.<lb/>
Ueberall tiefste Stille in dem weiten Landschaftsbilde, das unter der Berglehne,<lb/>
auf der sie wandelten, vor ihnen ausgebreitet lag; kein Laut, nicht einmal<lb/>
eines Vogels Zwitschern in der Luft; nur ein feines Singen, ein kaum hör¬<lb/>
bares surren und Schwirren der sich tummelnden Jnsectenwelt. Plötzlich<lb/>
ergreift Weber Roth's Arm, legt rasch den Finger auf den Mund, um ihn<lb/>
darauf wieder lebhaft empor zu heben und auf das belebte Schweigen in der</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0479] gauges als gewissermaßen Leitmotiv höherer Gattung. Wie es ursprüng¬ lich jenen Thematen eigen ist, wie es selbst schon da ausgesponnen wird, wo und nachdem es die Nationalmelodieen einführte, so finden wir es wieder: in den 3 Anfangstönen der Ouvertüre, denen von Oberon's Zauberhorn, die wie im Adagio so auch im Allegro derselben in diesem Sinne zweimal wiederkehren und später jedesmal, wo Oberon's Beistand durch das Zauberhorn herbeige¬ rufen wird (z. B. in den im Clav.-Auszuge nicht enthaltenen Nummern 9^ und 14); wir finden es als Einleitung des Elfenchors No. 1, nur umge¬ kehrt; es leitet die Baßfigur zu Anfange von Oberon's Arie No. 2 ein; ebenso, doch wieder umgekehrt, beginnt es Oberon's Gesang bei dessen erstem Worte „ Schrecke nssch w ur" in dieser Nummer, wie es mannigfach ander¬ weitig darin auftritt; es ist das Hauptmotiv des Türkenchors zu Anfang des 2. Acts; es klingt in dem „Wohlgemuth! Wohlgemut!)!" in dem „segelt fort" des großen Geisterchores am Schlüsse dieses Actes wieder; es leitet N. 3, die Vision Rezia's, ein; es spricht lebhaft erregt aus ihren drei Ausrufen zu Anfang des 1. Finales „Eil', edler Held" und des 2. ^.lleAi-o vivace darin „Sagt' ich's nicht?"; es spricht tief schwermüthig in den Blasinstrumenten des Zwischenspiels und Schlusses von deren Cava- tine „Traure mein Herz", wie im Andante des Duetts N. 17, wenn Fa- time die Sehnsucht nach ihrer Heimath in dieselben Töne kleidet; ja wir hören sie den Muschelhörnern, die den Gesang der Meermädchen begleiten, entsteigen, wie sie in gleicher Weise die flüchtige Geigenfigur des Ritornells zum ?rssto ÄZitato von Ur. 12 durchzittern. — Welch eine wunderbare Consequenz! Ob sie bewußt innegehalten, ob unbewußt, ob beides der Fall — wer wagt darüber^ zu entscheiden? Wer kann davon erzählen, wo der Genius empfangen oder gegeben hat? Es bleibt eben sein geheimnißvolles Walten.— In diesem Sinne Hieher gehörig sei denn auch schließlich eines Momentes aus W.'s Leben gedacht, von dem mir durch den treuen Freund des W.'schen Hauses, den K. S. Kammermusiker G. Roth, vor Jahren Mittheilung ge¬ macht worden; betrifft es doch ebenfalls ein sogenanntes „Benutztes", ob¬ wohl direct aus dem großen Reiche der Natur. — Es war ein heißer Mittag im hohen Sommer 1824, zur Zeit der ersten innern Beschäftigung W's mit Oberon. W und Roth befanden sich, vom Dienst in Pi.lnitz kommend, am Ausgange des Keppgrundes in der Nähe von W.'s Sommerhause zu Hosterwitz. Ueberall tiefste Stille in dem weiten Landschaftsbilde, das unter der Berglehne, auf der sie wandelten, vor ihnen ausgebreitet lag; kein Laut, nicht einmal eines Vogels Zwitschern in der Luft; nur ein feines Singen, ein kaum hör¬ bares surren und Schwirren der sich tummelnden Jnsectenwelt. Plötzlich ergreift Weber Roth's Arm, legt rasch den Finger auf den Mund, um ihn darauf wieder lebhaft empor zu heben und auf das belebte Schweigen in der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/479
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/479>, abgerufen am 26.06.2024.