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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Aus Bergleichung obiger Notenzeilen b, der betreffenden Stelle im Oberen,
mit den Zeilen a, dem ursprünglichen Originale, ersieht man W.'s für Oberon
mit dem Originale vorgenommene Aenderungen. Sie sind zweierlei Gattung:
erstens, eine Weglassung, die des Tantes 5 des Originals; zweitens, eine
Umbildung, die des zweitheiligen Tantes des Originals, von Tact 6 an,
in den dreitheiligen Tact dieses Finale-Theiles der Oper. Letztere Art der
Umbildung hat W. öfter angewendet; Beispiele sind: das "cum sancto
spil'nu" im Gloria seiner aur-Messe in Rücksicht auf Ur. 1 seiner 6 Fug-
hetten; ferner Theil II des Andante im ?as as eiinz zu Ur. 21 der Euryanthe
in Rücksicht auf das Andante II der Ur. 4 der Cantate "I^eeog'Iienög,".

Abgesehen davon gibt aber die Benutzung dieser beiden orientalischen The¬
mata -- (die sie enthaltenden Werke liefert W. laut Tagebuch am 18. Oct. 1823
an die k. Bibliothek zu Dresden zurück) -- einen deutlichen Beleg für die geistreiche
Ausbeutung solcher Quellen seinerseits. Wie schlagend ist die Wirkung jenes
ersten Themas, hier zur Musik der apathischen Haremswache verwendet, wie er¬
staunlich die des zweiten zur Darstellung des von toller Tanzwuth Ergriffen¬
werdens; kaum hätten glücklichere Motive erfunden werden können, als sie hier
gefunden wurden, um dann freilich in höchst genialer Weise benutzt zu werden.
Auch ein Thema der Romanze der Fatime, Ur. 16 des Oberon (wahrschein¬
lich das im soll arabischen Ursprungs sein; denn der Referent der Ber¬
linischen Vossischen Zeitung spricht dies -- was jedoch noch zu beweisen wäre --
in einer Kritik des Oberon in Ur. 161 von 1828 mit den Worten aus:
"Die Melodie dieses Araberliedes wurde uns, freilich etwas einfacher" (?) "nebst
vielen ähnlichen vor einigen Jahren vom Dänischen Residenten in Algier mit¬
getheilt."

An dieser Benutzung der beiden besprochenen orientalischen The¬
mata ergibt sich für den aufmerksamen Beobachter noch folgende Bemerkung:
Beide beginnen mit Grundton, Secunde und Terz einer Scala. Dieser
Terzgang ist nun überraschenderweise das Grundmotiv von vielen
Stellen der Musik dieser Oper, wo es gilt, den Orient zu charakterisiren
und das Feenreich, das in ihm zunächst seine Heimath hat. Hier haben
wir zwar das einzige Leitmotiv im Oberon, aber eines von ganz
besonderer Art und tiefgehender Bedeutsamkeit; denn es ist (wie es
in keiner andern Oper W.'s vorkommt) ein Leitmotiv nicht nur für eine ein¬
zelne Person oder Situation, sondern für eine Reihe von Personen, für
eine Reihe von Situationen und Scenen bestimmten Charakters. In
geistreicher Weise ist ihm solchergestalt zugleich alles Ermüdende der bloßen
Wiederholung genommen, indem es bald selbstständig und klar auftritt, bald
mehr oder weniger sich verhüllend da, wo es sich mit andern Elementen in
immer neuer Weise verschmilzt. So ergibt sich dies Grundmotiv jenes Terz-


Aus Bergleichung obiger Notenzeilen b, der betreffenden Stelle im Oberen,
mit den Zeilen a, dem ursprünglichen Originale, ersieht man W.'s für Oberon
mit dem Originale vorgenommene Aenderungen. Sie sind zweierlei Gattung:
erstens, eine Weglassung, die des Tantes 5 des Originals; zweitens, eine
Umbildung, die des zweitheiligen Tantes des Originals, von Tact 6 an,
in den dreitheiligen Tact dieses Finale-Theiles der Oper. Letztere Art der
Umbildung hat W. öfter angewendet; Beispiele sind: das „cum sancto
spil'nu" im Gloria seiner aur-Messe in Rücksicht auf Ur. 1 seiner 6 Fug-
hetten; ferner Theil II des Andante im ?as as eiinz zu Ur. 21 der Euryanthe
in Rücksicht auf das Andante II der Ur. 4 der Cantate „I^eeog'Iienög,".

Abgesehen davon gibt aber die Benutzung dieser beiden orientalischen The¬
mata — (die sie enthaltenden Werke liefert W. laut Tagebuch am 18. Oct. 1823
an die k. Bibliothek zu Dresden zurück) — einen deutlichen Beleg für die geistreiche
Ausbeutung solcher Quellen seinerseits. Wie schlagend ist die Wirkung jenes
ersten Themas, hier zur Musik der apathischen Haremswache verwendet, wie er¬
staunlich die des zweiten zur Darstellung des von toller Tanzwuth Ergriffen¬
werdens; kaum hätten glücklichere Motive erfunden werden können, als sie hier
gefunden wurden, um dann freilich in höchst genialer Weise benutzt zu werden.
Auch ein Thema der Romanze der Fatime, Ur. 16 des Oberon (wahrschein¬
lich das im soll arabischen Ursprungs sein; denn der Referent der Ber¬
linischen Vossischen Zeitung spricht dies — was jedoch noch zu beweisen wäre —
in einer Kritik des Oberon in Ur. 161 von 1828 mit den Worten aus:
„Die Melodie dieses Araberliedes wurde uns, freilich etwas einfacher" (?) „nebst
vielen ähnlichen vor einigen Jahren vom Dänischen Residenten in Algier mit¬
getheilt."

An dieser Benutzung der beiden besprochenen orientalischen The¬
mata ergibt sich für den aufmerksamen Beobachter noch folgende Bemerkung:
Beide beginnen mit Grundton, Secunde und Terz einer Scala. Dieser
Terzgang ist nun überraschenderweise das Grundmotiv von vielen
Stellen der Musik dieser Oper, wo es gilt, den Orient zu charakterisiren
und das Feenreich, das in ihm zunächst seine Heimath hat. Hier haben
wir zwar das einzige Leitmotiv im Oberon, aber eines von ganz
besonderer Art und tiefgehender Bedeutsamkeit; denn es ist (wie es
in keiner andern Oper W.'s vorkommt) ein Leitmotiv nicht nur für eine ein¬
zelne Person oder Situation, sondern für eine Reihe von Personen, für
eine Reihe von Situationen und Scenen bestimmten Charakters. In
geistreicher Weise ist ihm solchergestalt zugleich alles Ermüdende der bloßen
Wiederholung genommen, indem es bald selbstständig und klar auftritt, bald
mehr oder weniger sich verhüllend da, wo es sich mit andern Elementen in
immer neuer Weise verschmilzt. So ergibt sich dies Grundmotiv jenes Terz-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/478>, abgerufen am 26.06.2024.