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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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bis zur Saison von 1826 hinausgeschoben werden müsse. Nachdem Kemble
sich damit einverstanden erklärt, gab sich nun W. mit allem Ernste des wahren
Künstlers an die Lösung der Aufgabe. Als solcher mußte er einsehen, daß
eine Oper für England auch nur in englischer Sprache componirt werden
dürfe. Dem Genius des Volkes konnte er nur gerecht werden, wenn er den
Genius der Sprache in sich aufgenommen. Aber diese war ihm fremd. So
legte er denn mit bewunderungswürdiger Treue gegen seine Aufgabe den
ersten Grundstein zur Lösung dadurch, daß Er, der auf dem Gipfel künst¬
lerischen Welt-Ruhmes Stehende, Er, der Kranke, mit Arbeit Ueberladene,
sich den ernstesten Sprachstudien unterwarf. Nicht wie ein selbstbewußter
Meister lernte er, obenhin etwa, in der Ueberzeugung, mit einer halben
Kenntniß sei für ihn und die Verhältnisse schon genug gethan; er lernte
buchstäblich wie ein streng beflissener Schüler. Seine schriftlichen Exercitien,
eine namhafte Anzahl Foliobogen, beginnen mit Niederschrift des englischen
Alphabets und dessen Aussprache, und schließen mit Behandlung schon recht
schwieriger Aufgaben. Es waren 183 Lectionen, die er bei dem Engländer
Carey in den frühen Morgenstunden nahm, die erste am 20, Oel. 1824, die
letzte am 11. Febr. 1826, ö Tage vor seiner Abreise nach London. Zu
nebenhergehender Uebung übersetzte er sämmtliche zur Composition bestimmte
Verse der Oper und copirte außerdem das ganze Original-Manuscript des
Dichters, incl. alles Dialogs, wörtlich. Die betreffenden Schriftstücke sind
sämmtlich erhalten und im Besitze von W.'s Sohne. In nicht zu langer
Frist führte er bereits seine Londoner Korrespondenz englisch, anfänglich noch
vom Lehrer unterstützt; die vollste Anerkennung über diese seine sprachlichen
Leistungen wurde ihm aber später in England selbst zu Theil. -- Ich habe
bei diesem Gegenstande um deßwillen länger verweilt, um W.'s Ernst in
allen Dingen zu zeigen, um mancherlei zu allen Zeiten über ihn Ausge¬
sprochenem gegenüber zu treten. Wahrlich, ein Mann, der auf solcher Ruhmes¬
staffel solch eifrige Sprachstudien macht, eines seiner Werke wegen, der kann
es wohl niemals mit Manchem in seiner Kunst so leicht genommen haben,
wie hie und da gemeint worden. Er war ein echter Künstler, der immer
ein echter Mann ist. -- Unterdeß hatte ihm Planche am 30. Oel. 1824
den 1. Act des Oberon gesendet; den 18. Jan. 182S folgte der 2., am
1. Febr. der 3. "Die ersten Ideen zu Oberon" wurden von W. wie sein
Tagebuch sagt "am 23. Jan. 182S gefaßt;" die Instrumentirung wurde an¬
gefangen am 8. Sept., Act I beendigt am 18. Nov., Act II bis zum Finale
am 27. Nov., dies Fertige am 6. Jan. 1826 nach London gesendet, das am
Act II noch Fehlende beendigt am 22. Jan. Inzwischen hatte er den 3. Act
am 10. Jan. 1826 begonnen mit dem Duett N. 16; am 3. Febr. sendet er
dasselbe mit dem Terzettino Ur. 18 und dem Chor und Ballet Ur. 21 nach


bis zur Saison von 1826 hinausgeschoben werden müsse. Nachdem Kemble
sich damit einverstanden erklärt, gab sich nun W. mit allem Ernste des wahren
Künstlers an die Lösung der Aufgabe. Als solcher mußte er einsehen, daß
eine Oper für England auch nur in englischer Sprache componirt werden
dürfe. Dem Genius des Volkes konnte er nur gerecht werden, wenn er den
Genius der Sprache in sich aufgenommen. Aber diese war ihm fremd. So
legte er denn mit bewunderungswürdiger Treue gegen seine Aufgabe den
ersten Grundstein zur Lösung dadurch, daß Er, der auf dem Gipfel künst¬
lerischen Welt-Ruhmes Stehende, Er, der Kranke, mit Arbeit Ueberladene,
sich den ernstesten Sprachstudien unterwarf. Nicht wie ein selbstbewußter
Meister lernte er, obenhin etwa, in der Ueberzeugung, mit einer halben
Kenntniß sei für ihn und die Verhältnisse schon genug gethan; er lernte
buchstäblich wie ein streng beflissener Schüler. Seine schriftlichen Exercitien,
eine namhafte Anzahl Foliobogen, beginnen mit Niederschrift des englischen
Alphabets und dessen Aussprache, und schließen mit Behandlung schon recht
schwieriger Aufgaben. Es waren 183 Lectionen, die er bei dem Engländer
Carey in den frühen Morgenstunden nahm, die erste am 20, Oel. 1824, die
letzte am 11. Febr. 1826, ö Tage vor seiner Abreise nach London. Zu
nebenhergehender Uebung übersetzte er sämmtliche zur Composition bestimmte
Verse der Oper und copirte außerdem das ganze Original-Manuscript des
Dichters, incl. alles Dialogs, wörtlich. Die betreffenden Schriftstücke sind
sämmtlich erhalten und im Besitze von W.'s Sohne. In nicht zu langer
Frist führte er bereits seine Londoner Korrespondenz englisch, anfänglich noch
vom Lehrer unterstützt; die vollste Anerkennung über diese seine sprachlichen
Leistungen wurde ihm aber später in England selbst zu Theil. — Ich habe
bei diesem Gegenstande um deßwillen länger verweilt, um W.'s Ernst in
allen Dingen zu zeigen, um mancherlei zu allen Zeiten über ihn Ausge¬
sprochenem gegenüber zu treten. Wahrlich, ein Mann, der auf solcher Ruhmes¬
staffel solch eifrige Sprachstudien macht, eines seiner Werke wegen, der kann
es wohl niemals mit Manchem in seiner Kunst so leicht genommen haben,
wie hie und da gemeint worden. Er war ein echter Künstler, der immer
ein echter Mann ist. — Unterdeß hatte ihm Planche am 30. Oel. 1824
den 1. Act des Oberon gesendet; den 18. Jan. 182S folgte der 2., am
1. Febr. der 3. „Die ersten Ideen zu Oberon" wurden von W. wie sein
Tagebuch sagt „am 23. Jan. 182S gefaßt;" die Instrumentirung wurde an¬
gefangen am 8. Sept., Act I beendigt am 18. Nov., Act II bis zum Finale
am 27. Nov., dies Fertige am 6. Jan. 1826 nach London gesendet, das am
Act II noch Fehlende beendigt am 22. Jan. Inzwischen hatte er den 3. Act
am 10. Jan. 1826 begonnen mit dem Duett N. 16; am 3. Febr. sendet er
dasselbe mit dem Terzettino Ur. 18 und dem Chor und Ballet Ur. 21 nach


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/474>, abgerufen am 26.06.2024.