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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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wieder neuen und eigenthümlichen Erfindungen im Reiche der Jnstrumenta¬
tion. -- Und das Alles schuf ein langsam Sterbender! Mit zitternder
Hand griff er noch einmal in das volle goldne Saitenspiel, das bald auf
immerdar verstummen sollte.


Zur Geschichte des Textes der Oper.

Die Fabel zu Wieland's "Oberon" ist bekanntlich der altfranzösischen
Novelle "Huvll Ah Loräeaux" der "LiblivtKsMö diene" entnommen. Wie¬
lands Gedicht diente I. R. Planche, dem Dichter des englischen Opern¬
textes, als Grundlage desselben, mit dem er jedoch noch Elemente aus
Shakespeare's "Sturm" und "Sommernachtstraum" verwob. Er sendete
dem Komponisten seine Dichtung actweise zu, aber ohne ihm eine Uebersich-
über dieselbe im Ganzen zu geben. Letzterer konnte demnach nur über Einzel¬
heiten mit dem Dichter verhandeln, zumal die höchste Eile geboten war. So
blieb das Gedicht mit all den Mängeln behaftet, die es leider zum Nachtheile
der Composition an sich trägt: Ueberhäufung mit Dialog, episodische Scenen,
blos sprechende Personen und eine Ueberfülle von scenischen Verwandlungen,
kurz -- Unruhe und Buntheit. -- Von des Componisten brieflichen Be¬
sprechungen mit dem Dichter über Einzelheiten mag hier Einiges in wortge¬
treuer Uebertragung des englischen Original-Manuscripts W's. Platz finden.
Am 6. Jan. 1823 schreibt er an Planchü: "--- Der Zuschnitt einer eng¬
lischen Oper ist gewiß sehr verschieden von dem einer deutschen, denn eine
englische ist mehr ein Schauspiel mit Gesängen -- aber dennoch finde ich im
ersten Act des Oberon nichts, was ich geändert wünschen möchte, ausgenommen
das Finale. Der Chor scheint mir an dieser Stelle etwas hergeholt, und er
kann daher das Interesse des Publicums, durch Rezia's Gefühlsäußerungen
noch in Anspruch genommen, nicht erregen. Darum möchte ich Sie um einige
Worte mehr bitten für Rezia, voll Freude und Hoffnung, welche sich mit dem
Chöre so vereinigen ließen, daß ich diesen als Rezia's Ergüssen untergeordnet
behandeln könnte." Am 19. Febr. schreibt W. dem Dichter ferner: "-- Auch
diese beiden Acte" -- der zweite und dritte -- "sind voll von den größten
Schönheiten; ich umfasse das Ganze mit Liebe, und werde mich bestreben,
nicht hinter Ihnen zurückzubleiben. Dieser Anerkennung Ihres Werkes können
Sie um so mehr Glauben schenken, da ich wiederhole, daß der Zuschnitt des
Ganzen allen meinen Ideen und Grundsätzen sehr fremdartig erscheint. Die
Einmischung so vieler Hauptpersonen, welche nicht singen, die Weglassung der
Musik in den wichtigsten Momenten: alle diese Dinge berauben^unsren Oberon
des Namens einer Oper und werden ihn untauglich machen für alle andern
Bühnen Europas, was ein schlimmer Umstand für mich ist; aber -- gehen
wir darüber fort! -- Die Scene zwischen Scherasmin und Fatime im 2. Act


wieder neuen und eigenthümlichen Erfindungen im Reiche der Jnstrumenta¬
tion. — Und das Alles schuf ein langsam Sterbender! Mit zitternder
Hand griff er noch einmal in das volle goldne Saitenspiel, das bald auf
immerdar verstummen sollte.


Zur Geschichte des Textes der Oper.

Die Fabel zu Wieland's „Oberon" ist bekanntlich der altfranzösischen
Novelle „Huvll Ah Loräeaux" der „LiblivtKsMö diene" entnommen. Wie¬
lands Gedicht diente I. R. Planche, dem Dichter des englischen Opern¬
textes, als Grundlage desselben, mit dem er jedoch noch Elemente aus
Shakespeare's „Sturm" und „Sommernachtstraum" verwob. Er sendete
dem Komponisten seine Dichtung actweise zu, aber ohne ihm eine Uebersich-
über dieselbe im Ganzen zu geben. Letzterer konnte demnach nur über Einzel¬
heiten mit dem Dichter verhandeln, zumal die höchste Eile geboten war. So
blieb das Gedicht mit all den Mängeln behaftet, die es leider zum Nachtheile
der Composition an sich trägt: Ueberhäufung mit Dialog, episodische Scenen,
blos sprechende Personen und eine Ueberfülle von scenischen Verwandlungen,
kurz — Unruhe und Buntheit. — Von des Componisten brieflichen Be¬
sprechungen mit dem Dichter über Einzelheiten mag hier Einiges in wortge¬
treuer Uebertragung des englischen Original-Manuscripts W's. Platz finden.
Am 6. Jan. 1823 schreibt er an Planchü: „—- Der Zuschnitt einer eng¬
lischen Oper ist gewiß sehr verschieden von dem einer deutschen, denn eine
englische ist mehr ein Schauspiel mit Gesängen — aber dennoch finde ich im
ersten Act des Oberon nichts, was ich geändert wünschen möchte, ausgenommen
das Finale. Der Chor scheint mir an dieser Stelle etwas hergeholt, und er
kann daher das Interesse des Publicums, durch Rezia's Gefühlsäußerungen
noch in Anspruch genommen, nicht erregen. Darum möchte ich Sie um einige
Worte mehr bitten für Rezia, voll Freude und Hoffnung, welche sich mit dem
Chöre so vereinigen ließen, daß ich diesen als Rezia's Ergüssen untergeordnet
behandeln könnte." Am 19. Febr. schreibt W. dem Dichter ferner: „— Auch
diese beiden Acte" — der zweite und dritte — „sind voll von den größten
Schönheiten; ich umfasse das Ganze mit Liebe, und werde mich bestreben,
nicht hinter Ihnen zurückzubleiben. Dieser Anerkennung Ihres Werkes können
Sie um so mehr Glauben schenken, da ich wiederhole, daß der Zuschnitt des
Ganzen allen meinen Ideen und Grundsätzen sehr fremdartig erscheint. Die
Einmischung so vieler Hauptpersonen, welche nicht singen, die Weglassung der
Musik in den wichtigsten Momenten: alle diese Dinge berauben^unsren Oberon
des Namens einer Oper und werden ihn untauglich machen für alle andern
Bühnen Europas, was ein schlimmer Umstand für mich ist; aber — gehen
wir darüber fort! — Die Scene zwischen Scherasmin und Fatime im 2. Act


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/471>, abgerufen am 26.06.2024.