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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Wesens. Einen großen künstlerischen Nachtheil mußte er allerdings mit
voller Erkenntniß in den Kauf nehmen, wenn er die Vortheile genießen wollte,
die ihm ein englisches Publicum versprach: er mußte das Opfer bringen, sich
in Bezug auf die Gestalt der Dichtung den Forderungen des englischen Ge¬
schmackes anzuschließen und seine Kunstschöpfung diesem zu verbinden. Da¬
durch aber wurde das Werk, was seinem innern poetischen Vorwurfe nach,
so ganz W.'s Anlagen und Neigungen entsprach, leider in seiner allgemeinen
Kunstform beeinträchtigt. Dieser auf dem Werke liegende Schatten konnte
nicht vollständig gelichtet, nicht überall siegreich niedergekämpft werden durch
den Glanz und die Herrlichkeit dessen, was er aus dem tiefen Börne schöpfte,
der ihm bei Aufnahme der Composition plötzlich eben wieder so reichlich floß,
wie sonst. -- Von allen übrigen Unzuträglichkeiten des Textes abgesehen,
sei hier nur darauf hingewiesen, wie wenig vom Dichter dafür gesorgt wor¬
den, daß an den bedeutungsvollsten, für die Entfaltung der Musik höchst
geeigneten Momenten der Oper diese auch wirklich eintreten konnte. Die
Steifigkeit und Ungelenkheit der Dichtung mußte ohne Frage auch Stockungen
in den musikalischen Lebenspuls des Ganzen bringen und anfangs fragendes
Erstaunen, im Wiederholungsfalle Ermüdung und Interesselosigkeit erzeugen.
Die nach peinlich leeren Sprechscenen wiederbeginnende Musik befremdet zu¬
weilen eben so sehr, wie umgekehrt der unvermittelt eintretende Dialog; kurz
-- der musikalisch-dramatische Zusammenhang geht der Oper ab, und das
ist ein nicht genug zu beklagender Mangel gegenüber all dem Reichthum von
Schönheit, Reiz und zauberhaften Farbenglanz, den der Meister seinem
Oberon verliehen. -- Wir kannten W. als Sänger frommer, tiefinniger
und begeisterter Liebe, adliger Ritterlichkeit, als den Maler heitren wie dü¬
stren Wald-Lebens und Webens, als den Darsteller tief leidenschaftlicher Seelen¬
zustände, finstren dämonischen Wirkens und Waltens -- im Oberon klingt
alles dies an, und dennoch sind auch wieder ganz neue Saiten angeschlagen.
Hier zaubert er uns -- wie mit Berührung eines lichten Lilienstabes -- bald
in das luftige Reich der Elfen, bald in das lachende oder wildfantastische
Haus der Najaden und Gnomen und versetzt uns kühnen Sprunges jetzt in
den farbenschillernden Orient mit all seinem abenteuerlichen Gestaltenreichthum,
jetzt zu des Abendlandes ernsten und gemüthvoll-heitren Bildern. Und für
so große Mannigfaltigkeit hatte er immer neue künstlerische Formen, nament¬
lich für jenes duftige Geisterweben, wie es ähnlich nie zuvor musikalisch dar¬
gestellt war, und wie es nur der zartesten und liebevollsten Naturbeobachtung
entstammen kann. Originalität und Natürlichkeit, Frische und Anmuth, Feuer
und Adel, Heiterkeit und Grazie paaren sich zu einem wundervoll bewegten
Reigen, dessen heitre Pracht den Oberon von W.'s anderen beiden großen
Werken wesentlich unterscheidet, nicht zu gedenken der, in Hinblick auf diese,


Wesens. Einen großen künstlerischen Nachtheil mußte er allerdings mit
voller Erkenntniß in den Kauf nehmen, wenn er die Vortheile genießen wollte,
die ihm ein englisches Publicum versprach: er mußte das Opfer bringen, sich
in Bezug auf die Gestalt der Dichtung den Forderungen des englischen Ge¬
schmackes anzuschließen und seine Kunstschöpfung diesem zu verbinden. Da¬
durch aber wurde das Werk, was seinem innern poetischen Vorwurfe nach,
so ganz W.'s Anlagen und Neigungen entsprach, leider in seiner allgemeinen
Kunstform beeinträchtigt. Dieser auf dem Werke liegende Schatten konnte
nicht vollständig gelichtet, nicht überall siegreich niedergekämpft werden durch
den Glanz und die Herrlichkeit dessen, was er aus dem tiefen Börne schöpfte,
der ihm bei Aufnahme der Composition plötzlich eben wieder so reichlich floß,
wie sonst. — Von allen übrigen Unzuträglichkeiten des Textes abgesehen,
sei hier nur darauf hingewiesen, wie wenig vom Dichter dafür gesorgt wor¬
den, daß an den bedeutungsvollsten, für die Entfaltung der Musik höchst
geeigneten Momenten der Oper diese auch wirklich eintreten konnte. Die
Steifigkeit und Ungelenkheit der Dichtung mußte ohne Frage auch Stockungen
in den musikalischen Lebenspuls des Ganzen bringen und anfangs fragendes
Erstaunen, im Wiederholungsfalle Ermüdung und Interesselosigkeit erzeugen.
Die nach peinlich leeren Sprechscenen wiederbeginnende Musik befremdet zu¬
weilen eben so sehr, wie umgekehrt der unvermittelt eintretende Dialog; kurz
— der musikalisch-dramatische Zusammenhang geht der Oper ab, und das
ist ein nicht genug zu beklagender Mangel gegenüber all dem Reichthum von
Schönheit, Reiz und zauberhaften Farbenglanz, den der Meister seinem
Oberon verliehen. — Wir kannten W. als Sänger frommer, tiefinniger
und begeisterter Liebe, adliger Ritterlichkeit, als den Maler heitren wie dü¬
stren Wald-Lebens und Webens, als den Darsteller tief leidenschaftlicher Seelen¬
zustände, finstren dämonischen Wirkens und Waltens — im Oberon klingt
alles dies an, und dennoch sind auch wieder ganz neue Saiten angeschlagen.
Hier zaubert er uns — wie mit Berührung eines lichten Lilienstabes — bald
in das luftige Reich der Elfen, bald in das lachende oder wildfantastische
Haus der Najaden und Gnomen und versetzt uns kühnen Sprunges jetzt in
den farbenschillernden Orient mit all seinem abenteuerlichen Gestaltenreichthum,
jetzt zu des Abendlandes ernsten und gemüthvoll-heitren Bildern. Und für
so große Mannigfaltigkeit hatte er immer neue künstlerische Formen, nament¬
lich für jenes duftige Geisterweben, wie es ähnlich nie zuvor musikalisch dar¬
gestellt war, und wie es nur der zartesten und liebevollsten Naturbeobachtung
entstammen kann. Originalität und Natürlichkeit, Frische und Anmuth, Feuer
und Adel, Heiterkeit und Grazie paaren sich zu einem wundervoll bewegten
Reigen, dessen heitre Pracht den Oberon von W.'s anderen beiden großen
Werken wesentlich unterscheidet, nicht zu gedenken der, in Hinblick auf diese,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/470>, abgerufen am 26.06.2024.