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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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wenn man die ganz gleichartigen Hindernisse erwägt, welche in den Nieder¬
landen der östreichische General de Touches dem Prinzen von Oranien bereitete,
so erscheint es, aller Gegenversicherungen ungeachtet, noch immer zweifelhaft,
ob es dem Kaiser wohl auch Ernst gewesen mit dem Kriege. Wenn es der
Fall war, so ist er von seinen verkauften Ministern verrathen worden, und
in der That wurde Bournonville vor ein Kriegsgericht gestellt und dann durch
Montecuccoli ersetzt.

Dem Feldzuge des nächsten Jahres wohnte Friedrich Wilhelm nicht mehr
bei. Ludwig XIV. hatte ihm die Schweden ins Land gehetzt, und der Ein¬
fall Wrangels in die Mark befreite ihn von der lähmenden Gemeinschaft mit
den Kaiserlichen. Wie gewaltig contrastirt die freudige Entschlossenheit des
Feldzugs im Havellande und der Eisfahrt in Preußen mit dem stockenden
Gange jener Operationen am Oberrhein. Längst sind diese welke Blätter ge¬
worden im Buche der Geschichte; aber der Lorbeer von Fehrbellin grünt
noch heut.

Zur Fortsetzung des Krieges gegen Frankreich sammelte sich im April
1676 das deutsche Heer theils bei Ulm, theils zwischen Neckar und Main.
Montecuccoli hatte den Oberbefehl übernommen und hegte die Absicht, über
Straßburg in das obere Elsaß vorzudringen, um hier in noch leidlich wohl¬
habender Gegend auf Unkosten des Feindes zu leben und sich eine Basis
gegen Lothringen und Franche-Comes zu bilden. Man sieht, diese Ziele sind
nicht hoch gesteckt, und in der That dreht sich der ganze Feldzug von Anfang
bis zu Ende um den Besitz der Brücke von Straßburg. Diese zu decken ist
Turenne's einziges Bestreben, dem zu Liebe er sich sogar mit der gefährdetsten
Rückzugslinie, einmal sogar ganz ohne Brücke hinter sich, auf dem rechten
Rheinufer aufstellt und sich dadurch Blößen giebt, welche nicht benutzt zu
haben für Montecuccoli ein ewiger Vorwurf bleibt. Seines Gegners großer
Name schreckte ihn. Aber im Juli wurde Turenne bei Untersuchung einer
Furt von einer Falkonetkugel getödtet und im französischen Heer brach voll¬
ständige Verwirrung aus. So groß war der Skandal, daß ein Soldat in
das Gezänk der Generallieutenants hineinzurufen wagte: "I,g,ete2 Is, pie an
Z6u6tÄl, eilf nouL eouäuirg,!^ Laßt doch die Schenke des Feldherrn los; sie
mag uns führen! -- Und es schien wirklich, als ob Montecuccoli die alte
Schenke Turennes wie diesen selber respectire; er benutzte weder die Rath-
losigkeit der Franzosen, noch die Vortheile, welche ihm das Gefecht bei Alten¬
heim gebracht; und als ihm endlich die noch schwächlichere Haltung seiner
Gegner den Weg in's Elsaß öffnet, rückt er zwar ein, unternimmt jedoch
nichts, was der Rede werth gewesen wäre. Sehr bezeichnend sagt Clausewitz,
daß sich eine solche Kriegführung neben der unsrigen ausnehme wie der
Galanteriedegen eines Hofmanns unter Ritterschwertern.


wenn man die ganz gleichartigen Hindernisse erwägt, welche in den Nieder¬
landen der östreichische General de Touches dem Prinzen von Oranien bereitete,
so erscheint es, aller Gegenversicherungen ungeachtet, noch immer zweifelhaft,
ob es dem Kaiser wohl auch Ernst gewesen mit dem Kriege. Wenn es der
Fall war, so ist er von seinen verkauften Ministern verrathen worden, und
in der That wurde Bournonville vor ein Kriegsgericht gestellt und dann durch
Montecuccoli ersetzt.

Dem Feldzuge des nächsten Jahres wohnte Friedrich Wilhelm nicht mehr
bei. Ludwig XIV. hatte ihm die Schweden ins Land gehetzt, und der Ein¬
fall Wrangels in die Mark befreite ihn von der lähmenden Gemeinschaft mit
den Kaiserlichen. Wie gewaltig contrastirt die freudige Entschlossenheit des
Feldzugs im Havellande und der Eisfahrt in Preußen mit dem stockenden
Gange jener Operationen am Oberrhein. Längst sind diese welke Blätter ge¬
worden im Buche der Geschichte; aber der Lorbeer von Fehrbellin grünt
noch heut.

Zur Fortsetzung des Krieges gegen Frankreich sammelte sich im April
1676 das deutsche Heer theils bei Ulm, theils zwischen Neckar und Main.
Montecuccoli hatte den Oberbefehl übernommen und hegte die Absicht, über
Straßburg in das obere Elsaß vorzudringen, um hier in noch leidlich wohl¬
habender Gegend auf Unkosten des Feindes zu leben und sich eine Basis
gegen Lothringen und Franche-Comes zu bilden. Man sieht, diese Ziele sind
nicht hoch gesteckt, und in der That dreht sich der ganze Feldzug von Anfang
bis zu Ende um den Besitz der Brücke von Straßburg. Diese zu decken ist
Turenne's einziges Bestreben, dem zu Liebe er sich sogar mit der gefährdetsten
Rückzugslinie, einmal sogar ganz ohne Brücke hinter sich, auf dem rechten
Rheinufer aufstellt und sich dadurch Blößen giebt, welche nicht benutzt zu
haben für Montecuccoli ein ewiger Vorwurf bleibt. Seines Gegners großer
Name schreckte ihn. Aber im Juli wurde Turenne bei Untersuchung einer
Furt von einer Falkonetkugel getödtet und im französischen Heer brach voll¬
ständige Verwirrung aus. So groß war der Skandal, daß ein Soldat in
das Gezänk der Generallieutenants hineinzurufen wagte: „I,g,ete2 Is, pie an
Z6u6tÄl, eilf nouL eouäuirg,!^ Laßt doch die Schenke des Feldherrn los; sie
mag uns führen! — Und es schien wirklich, als ob Montecuccoli die alte
Schenke Turennes wie diesen selber respectire; er benutzte weder die Rath-
losigkeit der Franzosen, noch die Vortheile, welche ihm das Gefecht bei Alten¬
heim gebracht; und als ihm endlich die noch schwächlichere Haltung seiner
Gegner den Weg in's Elsaß öffnet, rückt er zwar ein, unternimmt jedoch
nichts, was der Rede werth gewesen wäre. Sehr bezeichnend sagt Clausewitz,
daß sich eine solche Kriegführung neben der unsrigen ausnehme wie der
Galanteriedegen eines Hofmanns unter Ritterschwertern.


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[0466] wenn man die ganz gleichartigen Hindernisse erwägt, welche in den Nieder¬ landen der östreichische General de Touches dem Prinzen von Oranien bereitete, so erscheint es, aller Gegenversicherungen ungeachtet, noch immer zweifelhaft, ob es dem Kaiser wohl auch Ernst gewesen mit dem Kriege. Wenn es der Fall war, so ist er von seinen verkauften Ministern verrathen worden, und in der That wurde Bournonville vor ein Kriegsgericht gestellt und dann durch Montecuccoli ersetzt. Dem Feldzuge des nächsten Jahres wohnte Friedrich Wilhelm nicht mehr bei. Ludwig XIV. hatte ihm die Schweden ins Land gehetzt, und der Ein¬ fall Wrangels in die Mark befreite ihn von der lähmenden Gemeinschaft mit den Kaiserlichen. Wie gewaltig contrastirt die freudige Entschlossenheit des Feldzugs im Havellande und der Eisfahrt in Preußen mit dem stockenden Gange jener Operationen am Oberrhein. Längst sind diese welke Blätter ge¬ worden im Buche der Geschichte; aber der Lorbeer von Fehrbellin grünt noch heut. Zur Fortsetzung des Krieges gegen Frankreich sammelte sich im April 1676 das deutsche Heer theils bei Ulm, theils zwischen Neckar und Main. Montecuccoli hatte den Oberbefehl übernommen und hegte die Absicht, über Straßburg in das obere Elsaß vorzudringen, um hier in noch leidlich wohl¬ habender Gegend auf Unkosten des Feindes zu leben und sich eine Basis gegen Lothringen und Franche-Comes zu bilden. Man sieht, diese Ziele sind nicht hoch gesteckt, und in der That dreht sich der ganze Feldzug von Anfang bis zu Ende um den Besitz der Brücke von Straßburg. Diese zu decken ist Turenne's einziges Bestreben, dem zu Liebe er sich sogar mit der gefährdetsten Rückzugslinie, einmal sogar ganz ohne Brücke hinter sich, auf dem rechten Rheinufer aufstellt und sich dadurch Blößen giebt, welche nicht benutzt zu haben für Montecuccoli ein ewiger Vorwurf bleibt. Seines Gegners großer Name schreckte ihn. Aber im Juli wurde Turenne bei Untersuchung einer Furt von einer Falkonetkugel getödtet und im französischen Heer brach voll¬ ständige Verwirrung aus. So groß war der Skandal, daß ein Soldat in das Gezänk der Generallieutenants hineinzurufen wagte: „I,g,ete2 Is, pie an Z6u6tÄl, eilf nouL eouäuirg,!^ Laßt doch die Schenke des Feldherrn los; sie mag uns führen! — Und es schien wirklich, als ob Montecuccoli die alte Schenke Turennes wie diesen selber respectire; er benutzte weder die Rath- losigkeit der Franzosen, noch die Vortheile, welche ihm das Gefecht bei Alten¬ heim gebracht; und als ihm endlich die noch schwächlichere Haltung seiner Gegner den Weg in's Elsaß öffnet, rückt er zwar ein, unternimmt jedoch nichts, was der Rede werth gewesen wäre. Sehr bezeichnend sagt Clausewitz, daß sich eine solche Kriegführung neben der unsrigen ausnehme wie der Galanteriedegen eines Hofmanns unter Ritterschwertern.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/466>, abgerufen am 26.06.2024.