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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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angriffs seiner Feinde in einer ungleich günstigeren Position als irgend zu
erwarten stand.

Unterdessen hatte sich das kaiserliche Hauptheer am Neckar gesammelt.
Sein Führer, der Herzog von Bournonville, sprach die Absicht aus, nun
gradwegs durch die Pfalz in Frankreich einzudringen, also den Weg nach
Nancy zu nehmen, den im vorigen Jahre die glorreiche Armee unseres Kron¬
prinzen zog. Wie anders aber gestalteten sich die damaligen Erfolge! Bour¬
nonville gegenüber stand Turenne. Seine Aufgabe war, die französische
Grenze unmittelbar zu decken; denn bei Ludwig XIV. war es schon fast ein
Glaubenssatz der Ehre geworden, den Boden Frankreichs von jeder, auch der
folgenlosesten Insulte frei zu halten. Man kann sagen, daß der eigenthüm¬
liche Schauder der Franzosen bei dem bloßen Worte: "Invasion" aus diesen
Zeiten herstammt. -- Jedoch zu einer Invasion in Frankreich kam es keines¬
wegs; vielmehr kennzeichnet sich der Feldzug in traurigster Art durch die
erste furchtbare Verwüstung der Pfalz. Vom Heidelberger Schlosse her mußte
der für sein Volk väterlich sorgende Kurfürst Karl Ludwig den Brand der
Ortschaften, die Verwüstung aller Fluren sehn, und so tief empörte sich sein
Gemüth, daß er den Marschall Turenne zum Zweikampf forderte, den der
französische Vicomte indessen abgelehnt hat. -- Im Uebrigen bestand der
Feldzug in Schachzügen zwischen Rhein und Neckar nebst wiederholtem Ufer¬
wechsel am Rhein. An sich unbedeutende, für die französischen Waffen jedoch
glückliche Gefechte, wie die von Sinsheim und Enzheim, steigerten die aber¬
gläubische Furcht vor dem Namen Turenne, dem es gelang, bis zum Spät¬
herbst die eine Hälfte des Elsasses zu halten. Als dann die Verbündeten
bereits Winterquartiere bezogen hatten, kehrte er noch einmal, namhaft ver¬
stärkt, aus den Kriegsschauplatz zurück. Der überraschenden Bewegung folgt
das Gefecht bei Türkheim, und obgleich dies keineswegs entscheidend ist, zeigen
sich doch die Verbündeten so consternirt über die winterliche Ruhestörung,
daß es Turenne gelingt, sie aus dem Elsaß hinaus zu complimentiren.
-- Wie mußte solche Kriegführung den großen Kurfürsten empören! Ihm
brannte das Herz, sich mit dem berühmtesten Feldherrn seiner Zeit zu messen;
und wahrlich, weder an ihm noch am alten Derffling hat es gelegen, wenn
die günstigsten Gelegenheiten zur Schlacht verzettelt wurden. Denn obgleich
Friedrich Wilhelm nach seinem Eintreffen beim Heere im Spätsommer zum
Oberfeldherrn ernannt worden, so waren seine Befugnisse Bournonville gegen¬
über doch derart verclciusulirt. daß dieser hundert Handhaben behielt, um seinen
Willen durchzusetzen. Halbe Nachgiebigkeit, beschwichtigendes Hinhalten, Ver¬
trösten auf noch günstigere Momente und endlich hartnäckiger Widerspruch im
entscheidenden Augenblick, das waren die Mittel, durch welche Bournonville
jedem kühnen Unternehmen des Kurfürsten die Spitze abzubrechen wußte;.und


angriffs seiner Feinde in einer ungleich günstigeren Position als irgend zu
erwarten stand.

Unterdessen hatte sich das kaiserliche Hauptheer am Neckar gesammelt.
Sein Führer, der Herzog von Bournonville, sprach die Absicht aus, nun
gradwegs durch die Pfalz in Frankreich einzudringen, also den Weg nach
Nancy zu nehmen, den im vorigen Jahre die glorreiche Armee unseres Kron¬
prinzen zog. Wie anders aber gestalteten sich die damaligen Erfolge! Bour¬
nonville gegenüber stand Turenne. Seine Aufgabe war, die französische
Grenze unmittelbar zu decken; denn bei Ludwig XIV. war es schon fast ein
Glaubenssatz der Ehre geworden, den Boden Frankreichs von jeder, auch der
folgenlosesten Insulte frei zu halten. Man kann sagen, daß der eigenthüm¬
liche Schauder der Franzosen bei dem bloßen Worte: „Invasion" aus diesen
Zeiten herstammt. — Jedoch zu einer Invasion in Frankreich kam es keines¬
wegs; vielmehr kennzeichnet sich der Feldzug in traurigster Art durch die
erste furchtbare Verwüstung der Pfalz. Vom Heidelberger Schlosse her mußte
der für sein Volk väterlich sorgende Kurfürst Karl Ludwig den Brand der
Ortschaften, die Verwüstung aller Fluren sehn, und so tief empörte sich sein
Gemüth, daß er den Marschall Turenne zum Zweikampf forderte, den der
französische Vicomte indessen abgelehnt hat. — Im Uebrigen bestand der
Feldzug in Schachzügen zwischen Rhein und Neckar nebst wiederholtem Ufer¬
wechsel am Rhein. An sich unbedeutende, für die französischen Waffen jedoch
glückliche Gefechte, wie die von Sinsheim und Enzheim, steigerten die aber¬
gläubische Furcht vor dem Namen Turenne, dem es gelang, bis zum Spät¬
herbst die eine Hälfte des Elsasses zu halten. Als dann die Verbündeten
bereits Winterquartiere bezogen hatten, kehrte er noch einmal, namhaft ver¬
stärkt, aus den Kriegsschauplatz zurück. Der überraschenden Bewegung folgt
das Gefecht bei Türkheim, und obgleich dies keineswegs entscheidend ist, zeigen
sich doch die Verbündeten so consternirt über die winterliche Ruhestörung,
daß es Turenne gelingt, sie aus dem Elsaß hinaus zu complimentiren.
— Wie mußte solche Kriegführung den großen Kurfürsten empören! Ihm
brannte das Herz, sich mit dem berühmtesten Feldherrn seiner Zeit zu messen;
und wahrlich, weder an ihm noch am alten Derffling hat es gelegen, wenn
die günstigsten Gelegenheiten zur Schlacht verzettelt wurden. Denn obgleich
Friedrich Wilhelm nach seinem Eintreffen beim Heere im Spätsommer zum
Oberfeldherrn ernannt worden, so waren seine Befugnisse Bournonville gegen¬
über doch derart verclciusulirt. daß dieser hundert Handhaben behielt, um seinen
Willen durchzusetzen. Halbe Nachgiebigkeit, beschwichtigendes Hinhalten, Ver¬
trösten auf noch günstigere Momente und endlich hartnäckiger Widerspruch im
entscheidenden Augenblick, das waren die Mittel, durch welche Bournonville
jedem kühnen Unternehmen des Kurfürsten die Spitze abzubrechen wußte;.und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/465>, abgerufen am 26.06.2024.