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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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letzte Rest seiner Autorität dahin. Leopold I. schien das zu begreifen und
sammelte abermals bei Eger ein Heer. Aber wie weit es schon gekommen,
wie völlig sich die französische Krone bereits kaiserliche Rechte anmaßte, zeigt
die Anmuthung Ludwigs XIV. an die Reichsfürsten: sie möchten der östreichi¬
schen Armee nicht gestatten, die Erbstaaten zu überschreiten. Dergleichen be¬
schleunigte natürlich den Kriegsausbruch. Gleich die erste Unternehmung
gelang den Verbündeten, indem Oranien und Montecuccoli die Stadt Bonn
zurückeroberten, ein glückverheißendes Ereigniß, welches mit dazu beitrug.
England aus dem Bunde mit Frankreich zu lösen. Die nächste Absicht der
Alliirten war auf die Wiedereinnahme von Lothringen gerichtet. Mit Recht;
denn die Herstellung Lothringens in alter Unabhängigkeit konnte ohne Zweifel
den Uebergriffen Frankreichs mit einem Mal ein Ende machen. Der Feld¬
zugsplan war großartig angelegt. Vom Mittelrheine aus sollten die kaiser¬
lichen und die Reichstruppen der "armirten Stände" in das Innere von
Frankreich vordringen, während gleichzeitig zwei umfassende Flankenangriffe,
der eine unter dem lothringischen Herzoge von der Franche-Come6 aus, der
andere unter Oranien von Flandern her, concentrisch gegen Nancy operiren
und den vertriebenen Herzog in sein Erbe setzen sollten. Leider kam es nicht
zu dieser großen strategischen Bewegung; denn die in einer Hand ruhende
Macht Ludwigs XIV. erwies sich den lässigen und säumigen Leistungen der
Verbündeten unendlich überlegen an Energie und Schnelligkeit. In der Frei¬
grafschaft spielte König Ludwig selbst das Prävenire. Leicht bewältigte er
die beiden schwach besetzten Hauptplätze Behar^on und Dole, und damit war
dies burgundische Land nicht nur als Operationsbasis gegen Lothringen,
sondern überhaupt für alle Zeit verloren, ohne daß es. weder hier noch bei
Rheinfelden, wo sich der Herzog von Lothringen und Turenne drohend gegen¬
über standen, auch nur zur Schlacht gekommen wäre.

Eine solche entzündete sich dagegen auf dem anderen Kriegsschauplatze,
in Flandern, und vernichtete auch hier den beabsichtigten Flankenangriff schon
im Keime. Dem kaiserlichen Heere nämlich, welches gegen Hennegau vorrückte,
trat Prinz Conto entschlossen entgegen. Am 11. August 1674 entspann sich
die blutige Schlacht bei Senneffe, unweit Mons, und obgleich sich beide Theile
den Sieg zuschrieben, so hemmte die Schlacht doch thatsächlich den Vormarsch
der Verbündeten, und damit war die große strategische Idee, welche dem
Feldzuge gegen Frankreich zu Grunde gelegt werden sollte, von vornherein
vereitelt. Unmittelbar nach der Schlacht von Senneffe bemächtigte sich
Ludwig XIV. zum Theil durch Bestechung auch der wichtigsten Plätze an der
mittleren Maas, verwandelte das früher geschleifte Nancy wieder in einen
Achtung gebietenden Waffenplatz, entwaffnete dagegen die feindlich gesinnten
Städte des Elsaß, und befand sich somit noch vor dem Beginn des Haupt-


letzte Rest seiner Autorität dahin. Leopold I. schien das zu begreifen und
sammelte abermals bei Eger ein Heer. Aber wie weit es schon gekommen,
wie völlig sich die französische Krone bereits kaiserliche Rechte anmaßte, zeigt
die Anmuthung Ludwigs XIV. an die Reichsfürsten: sie möchten der östreichi¬
schen Armee nicht gestatten, die Erbstaaten zu überschreiten. Dergleichen be¬
schleunigte natürlich den Kriegsausbruch. Gleich die erste Unternehmung
gelang den Verbündeten, indem Oranien und Montecuccoli die Stadt Bonn
zurückeroberten, ein glückverheißendes Ereigniß, welches mit dazu beitrug.
England aus dem Bunde mit Frankreich zu lösen. Die nächste Absicht der
Alliirten war auf die Wiedereinnahme von Lothringen gerichtet. Mit Recht;
denn die Herstellung Lothringens in alter Unabhängigkeit konnte ohne Zweifel
den Uebergriffen Frankreichs mit einem Mal ein Ende machen. Der Feld¬
zugsplan war großartig angelegt. Vom Mittelrheine aus sollten die kaiser¬
lichen und die Reichstruppen der „armirten Stände" in das Innere von
Frankreich vordringen, während gleichzeitig zwei umfassende Flankenangriffe,
der eine unter dem lothringischen Herzoge von der Franche-Come6 aus, der
andere unter Oranien von Flandern her, concentrisch gegen Nancy operiren
und den vertriebenen Herzog in sein Erbe setzen sollten. Leider kam es nicht
zu dieser großen strategischen Bewegung; denn die in einer Hand ruhende
Macht Ludwigs XIV. erwies sich den lässigen und säumigen Leistungen der
Verbündeten unendlich überlegen an Energie und Schnelligkeit. In der Frei¬
grafschaft spielte König Ludwig selbst das Prävenire. Leicht bewältigte er
die beiden schwach besetzten Hauptplätze Behar^on und Dole, und damit war
dies burgundische Land nicht nur als Operationsbasis gegen Lothringen,
sondern überhaupt für alle Zeit verloren, ohne daß es. weder hier noch bei
Rheinfelden, wo sich der Herzog von Lothringen und Turenne drohend gegen¬
über standen, auch nur zur Schlacht gekommen wäre.

Eine solche entzündete sich dagegen auf dem anderen Kriegsschauplatze,
in Flandern, und vernichtete auch hier den beabsichtigten Flankenangriff schon
im Keime. Dem kaiserlichen Heere nämlich, welches gegen Hennegau vorrückte,
trat Prinz Conto entschlossen entgegen. Am 11. August 1674 entspann sich
die blutige Schlacht bei Senneffe, unweit Mons, und obgleich sich beide Theile
den Sieg zuschrieben, so hemmte die Schlacht doch thatsächlich den Vormarsch
der Verbündeten, und damit war die große strategische Idee, welche dem
Feldzuge gegen Frankreich zu Grunde gelegt werden sollte, von vornherein
vereitelt. Unmittelbar nach der Schlacht von Senneffe bemächtigte sich
Ludwig XIV. zum Theil durch Bestechung auch der wichtigsten Plätze an der
mittleren Maas, verwandelte das früher geschleifte Nancy wieder in einen
Achtung gebietenden Waffenplatz, entwaffnete dagegen die feindlich gesinnten
Städte des Elsaß, und befand sich somit noch vor dem Beginn des Haupt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/464>, abgerufen am 26.06.2024.