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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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ein ungezäumtes wildes Pferd, welches zu besänftigen man ein ander gezähm¬
tes und gelindes Roß beigesellen müssen, damit es sich nicht a corps xeräu,
in eine Partei werfe." Die Fesselung gelang denn auch nur allzugut. Wäh¬
rend Montecuceoli öffentlich erklärte, er habe Befehl, unter dem Kurfürsten
kräftig gegen die Franzosen am Rheine zu agiren, marschirte er so langsam
heran, daß er in je drei Tagen kaum 6 Meilen zurücklegte und erst im Octo-
ber mit dem brandenburgischen Heer in Halberstadt zusammen traf. In den
Berathungen über den Feldzugsplan zeigte er sich sehr besorgt vor Turenne,
welcher ihnen entgegen rücke und dessen Macht er außerordentlich übertrieb;
er war nicht dahin zu bringen nach dem eigentlichen Kriegsschauplatze, dem
Niederrheine zu marschieren; und als man endlich am Mittelrheine stand,
brachte er eine Instruction zum Vorschein, die es ihm überhaupt verbot, den
Strom zu überschreiten. Das Jahr ging zu Ende; weder politisch noch mili¬
tärisch war etwas erreicht, und hätten sich die Niederländer nicht selbst in
ihren überschwemmten Marschen wacker gewehrt: das Reich vermochte ihren
Untergang nimmer zu hindern. Turenne dagegen, der sich anfangs weislich
zurückgehalten, um Montecuceoli nicht etwa zum Kampfe zu nöthigen,
schob sich jetzt zwischen die Holländer und ihre deutschen Verbündeten. Wie
aber früher seine Zurückhaltung, so lieferte nun seine Kühnheit den Kaiserli¬
chen erwünschten Vorwand, um die militärischen Pläne des Kurfürsten zu
vereiteln. Wohl erkannte dieser, daß er von Oestreich betrogen sei; gern hätte
er sich losgesagt von Montecuccoli; aber allein war er in der That zu
schwach, um etwas gegen Turenne ausrichten zu können. -- Zu Anfang des
Jahres 73 zog dann das brandenburgisch-kaiserliche Heer nach Westfalen, um
von hier aus gegen Köln zu operiren und sich den Niederlanden zu nähern.
Als aber auch diese Bewegung durch die Schuld der Oestreicher ohne Folge
blieb, ja nicht einmal zum Kampfe führte, und als endlich der Kurfürst durch
das laue Verhalten solcher Genossen genöthigt wurde, seine Städte Soest und
Hamm dem Feinde preiszugeben, da riß ihm die Geduld, und tief erbittert
und gekränkt sagte er sich von einem Bündniß los, das ihn durch die schlaffe
und verräterische Politik Oestreichs in die traurigste Lage gebracht: er schloß
mit Frankreich den Vergleich von Vossem.

Aber Friedrich Wilhelm erschien sofort wieder auf dem Kampfplatze, als
endlich das Reich an Frankreich den Krieg erklärte und durch das Eingreifen
Spaniens Ernst in den Kampf zu kommen schien. -- Turenne hatte im
Sommer 73 das ganze untere Franken in seine Hände gebracht, und täglich
breitete sich das französische Heer weiter in Deutschland aus. Gewaltsam
war der Herzog von Lothringen zu Boden geworfen und vertrieben worden;
die elsassischen Gebiete sahen sich ihrer verbrieften Rechte rücksichtslos beraubt --
wenn solchen Eingriffen gegenüber der Kaiser unthätig blieb, so war der


ein ungezäumtes wildes Pferd, welches zu besänftigen man ein ander gezähm¬
tes und gelindes Roß beigesellen müssen, damit es sich nicht a corps xeräu,
in eine Partei werfe." Die Fesselung gelang denn auch nur allzugut. Wäh¬
rend Montecuceoli öffentlich erklärte, er habe Befehl, unter dem Kurfürsten
kräftig gegen die Franzosen am Rheine zu agiren, marschirte er so langsam
heran, daß er in je drei Tagen kaum 6 Meilen zurücklegte und erst im Octo-
ber mit dem brandenburgischen Heer in Halberstadt zusammen traf. In den
Berathungen über den Feldzugsplan zeigte er sich sehr besorgt vor Turenne,
welcher ihnen entgegen rücke und dessen Macht er außerordentlich übertrieb;
er war nicht dahin zu bringen nach dem eigentlichen Kriegsschauplatze, dem
Niederrheine zu marschieren; und als man endlich am Mittelrheine stand,
brachte er eine Instruction zum Vorschein, die es ihm überhaupt verbot, den
Strom zu überschreiten. Das Jahr ging zu Ende; weder politisch noch mili¬
tärisch war etwas erreicht, und hätten sich die Niederländer nicht selbst in
ihren überschwemmten Marschen wacker gewehrt: das Reich vermochte ihren
Untergang nimmer zu hindern. Turenne dagegen, der sich anfangs weislich
zurückgehalten, um Montecuceoli nicht etwa zum Kampfe zu nöthigen,
schob sich jetzt zwischen die Holländer und ihre deutschen Verbündeten. Wie
aber früher seine Zurückhaltung, so lieferte nun seine Kühnheit den Kaiserli¬
chen erwünschten Vorwand, um die militärischen Pläne des Kurfürsten zu
vereiteln. Wohl erkannte dieser, daß er von Oestreich betrogen sei; gern hätte
er sich losgesagt von Montecuccoli; aber allein war er in der That zu
schwach, um etwas gegen Turenne ausrichten zu können. — Zu Anfang des
Jahres 73 zog dann das brandenburgisch-kaiserliche Heer nach Westfalen, um
von hier aus gegen Köln zu operiren und sich den Niederlanden zu nähern.
Als aber auch diese Bewegung durch die Schuld der Oestreicher ohne Folge
blieb, ja nicht einmal zum Kampfe führte, und als endlich der Kurfürst durch
das laue Verhalten solcher Genossen genöthigt wurde, seine Städte Soest und
Hamm dem Feinde preiszugeben, da riß ihm die Geduld, und tief erbittert
und gekränkt sagte er sich von einem Bündniß los, das ihn durch die schlaffe
und verräterische Politik Oestreichs in die traurigste Lage gebracht: er schloß
mit Frankreich den Vergleich von Vossem.

Aber Friedrich Wilhelm erschien sofort wieder auf dem Kampfplatze, als
endlich das Reich an Frankreich den Krieg erklärte und durch das Eingreifen
Spaniens Ernst in den Kampf zu kommen schien. — Turenne hatte im
Sommer 73 das ganze untere Franken in seine Hände gebracht, und täglich
breitete sich das französische Heer weiter in Deutschland aus. Gewaltsam
war der Herzog von Lothringen zu Boden geworfen und vertrieben worden;
die elsassischen Gebiete sahen sich ihrer verbrieften Rechte rücksichtslos beraubt —
wenn solchen Eingriffen gegenüber der Kaiser unthätig blieb, so war der


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[0463] ein ungezäumtes wildes Pferd, welches zu besänftigen man ein ander gezähm¬ tes und gelindes Roß beigesellen müssen, damit es sich nicht a corps xeräu, in eine Partei werfe." Die Fesselung gelang denn auch nur allzugut. Wäh¬ rend Montecuceoli öffentlich erklärte, er habe Befehl, unter dem Kurfürsten kräftig gegen die Franzosen am Rheine zu agiren, marschirte er so langsam heran, daß er in je drei Tagen kaum 6 Meilen zurücklegte und erst im Octo- ber mit dem brandenburgischen Heer in Halberstadt zusammen traf. In den Berathungen über den Feldzugsplan zeigte er sich sehr besorgt vor Turenne, welcher ihnen entgegen rücke und dessen Macht er außerordentlich übertrieb; er war nicht dahin zu bringen nach dem eigentlichen Kriegsschauplatze, dem Niederrheine zu marschieren; und als man endlich am Mittelrheine stand, brachte er eine Instruction zum Vorschein, die es ihm überhaupt verbot, den Strom zu überschreiten. Das Jahr ging zu Ende; weder politisch noch mili¬ tärisch war etwas erreicht, und hätten sich die Niederländer nicht selbst in ihren überschwemmten Marschen wacker gewehrt: das Reich vermochte ihren Untergang nimmer zu hindern. Turenne dagegen, der sich anfangs weislich zurückgehalten, um Montecuceoli nicht etwa zum Kampfe zu nöthigen, schob sich jetzt zwischen die Holländer und ihre deutschen Verbündeten. Wie aber früher seine Zurückhaltung, so lieferte nun seine Kühnheit den Kaiserli¬ chen erwünschten Vorwand, um die militärischen Pläne des Kurfürsten zu vereiteln. Wohl erkannte dieser, daß er von Oestreich betrogen sei; gern hätte er sich losgesagt von Montecuccoli; aber allein war er in der That zu schwach, um etwas gegen Turenne ausrichten zu können. — Zu Anfang des Jahres 73 zog dann das brandenburgisch-kaiserliche Heer nach Westfalen, um von hier aus gegen Köln zu operiren und sich den Niederlanden zu nähern. Als aber auch diese Bewegung durch die Schuld der Oestreicher ohne Folge blieb, ja nicht einmal zum Kampfe führte, und als endlich der Kurfürst durch das laue Verhalten solcher Genossen genöthigt wurde, seine Städte Soest und Hamm dem Feinde preiszugeben, da riß ihm die Geduld, und tief erbittert und gekränkt sagte er sich von einem Bündniß los, das ihn durch die schlaffe und verräterische Politik Oestreichs in die traurigste Lage gebracht: er schloß mit Frankreich den Vergleich von Vossem. Aber Friedrich Wilhelm erschien sofort wieder auf dem Kampfplatze, als endlich das Reich an Frankreich den Krieg erklärte und durch das Eingreifen Spaniens Ernst in den Kampf zu kommen schien. — Turenne hatte im Sommer 73 das ganze untere Franken in seine Hände gebracht, und täglich breitete sich das französische Heer weiter in Deutschland aus. Gewaltsam war der Herzog von Lothringen zu Boden geworfen und vertrieben worden; die elsassischen Gebiete sahen sich ihrer verbrieften Rechte rücksichtslos beraubt — wenn solchen Eingriffen gegenüber der Kaiser unthätig blieb, so war der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/463>, abgerufen am 23.07.2024.