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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Unter dem nichtigen Rechtsvorwcmde der "Devolution" hatte Ludwig
für seine Gemahlin die spanischen Niederlande als Erbe gefordert; die rheini¬
schen Fürsten hatten ihm die Hand geboten, und ein kurzer Feldzug legte
Belgien überraschend schnell zu den Füßen des Eroberers. Aber durch die
Tripelallianz der Generalstaaten, Englands und Schwedens war ihm doch
Halt geboten worden und er hatte sich im Aachener Frieden mit den erober¬
ten Festungen begnügen müssen. -- Bald genug indessen war es der verschla¬
genen französischen Diplomatie gelungen, nicht nur jene Tripelallianz zu
lösen, sondern sogar Schweden und England auf ihre Seite hinüberzuziehn
-- und nun holte Ludwig XIV. zu einem tödtlichen Schlage gegen die Re¬
publik der Niederlande aus. Wenn jedoch diese dem Eroberer erlag, so war
es auch mit der Freiheit Deutschlands vorbei, dessen Gränzen dann überall
den Franzosen wehrlos offen lagen. Freilich schon jetzt sammelten sich die
Truppen Ludwigs zum Angriff gegen Holland auf deutschem Boden, in
den Gebieten von Köln und Münster, und die verlockendsten Anerbietungen
wurden dem Kurfürsten von Brandenburg gemacht, wenn er Theil nehmen
wolle an dem Zuge gegen jenes hochmüthige Krämervolk, das ihn fo oft
schnöde gekränkt und von oben herab behandelt hatte. Aber trotz aller Ver¬
sprechungen Ludwig's, tretz des mißtrauischen Feilschens der Holländer, welche
sogar jetzt auf's Kleinlichste um die Subsidien markteten, trotz der furchtbaren
Gefahr, die ihn gleichzeitig von Frankreich und Schweden her bedrohte, war
Friedrich Wilhelm doch fest entschlossen, den Kampf mit Frankreich auszu¬
nehmen. Nicht einmal zur Neutralität war er zu bewegen: die Noth des
protestantischen Brudervolks, die künftige Gefahr für Deutschland drückten
dem muthigen Manne das Schwert in die Hand, und er gedachte des Spru¬
ches: "lug. res agitur, Mi'ich eum xroximus aiäöt." -- Im Mai 1672
überzogen zwei französische Heere unter Conde' und Turenne die Niederlande
und nahmen auch des Kurfürsten meist von Holländern besetzte Festungen in
Eleve ein. Damit brachen sie den Frieden des Reiches; eine Kriegserklärung
des letzteren hätte die unmittelbare Folge sein müssen; aber davon war gar
nicht die Rede, und selbst die Rücksicht auf das Decorum sowie die dringenden
Vorstellungen Friedrich Wilhelms vermochten den Kaiser zu Nichts Weiterem
als zum August ein kleines Heer bei Eger zu sammeln. Aber der "Mehrer
des Reichs" bewaffnete sich nur zum Schein; ein geheimer Tractat band ihm
Ludwig XIV. gegenüber die Hände, und der Führer der östreichischen "Ar¬
mada", Graf Montecuccoli wurde dem Kurfürsten, der vor dessen Feldherrn¬
rufe eine wohl übertriebene Hochachtung hegte, ausdrücklich zu dem Zweck an
die Seite gestellt, um ihn zu lähmen. Denn schon damals sah Oestreich
lieber Deutschland erniedrigen als Brandenburg wachsen. Der kaiserliche
Minister, Fürst Lobkowitz, äußerte: "Man consideriret Kurbrandenburg als


Unter dem nichtigen Rechtsvorwcmde der „Devolution" hatte Ludwig
für seine Gemahlin die spanischen Niederlande als Erbe gefordert; die rheini¬
schen Fürsten hatten ihm die Hand geboten, und ein kurzer Feldzug legte
Belgien überraschend schnell zu den Füßen des Eroberers. Aber durch die
Tripelallianz der Generalstaaten, Englands und Schwedens war ihm doch
Halt geboten worden und er hatte sich im Aachener Frieden mit den erober¬
ten Festungen begnügen müssen. — Bald genug indessen war es der verschla¬
genen französischen Diplomatie gelungen, nicht nur jene Tripelallianz zu
lösen, sondern sogar Schweden und England auf ihre Seite hinüberzuziehn
— und nun holte Ludwig XIV. zu einem tödtlichen Schlage gegen die Re¬
publik der Niederlande aus. Wenn jedoch diese dem Eroberer erlag, so war
es auch mit der Freiheit Deutschlands vorbei, dessen Gränzen dann überall
den Franzosen wehrlos offen lagen. Freilich schon jetzt sammelten sich die
Truppen Ludwigs zum Angriff gegen Holland auf deutschem Boden, in
den Gebieten von Köln und Münster, und die verlockendsten Anerbietungen
wurden dem Kurfürsten von Brandenburg gemacht, wenn er Theil nehmen
wolle an dem Zuge gegen jenes hochmüthige Krämervolk, das ihn fo oft
schnöde gekränkt und von oben herab behandelt hatte. Aber trotz aller Ver¬
sprechungen Ludwig's, tretz des mißtrauischen Feilschens der Holländer, welche
sogar jetzt auf's Kleinlichste um die Subsidien markteten, trotz der furchtbaren
Gefahr, die ihn gleichzeitig von Frankreich und Schweden her bedrohte, war
Friedrich Wilhelm doch fest entschlossen, den Kampf mit Frankreich auszu¬
nehmen. Nicht einmal zur Neutralität war er zu bewegen: die Noth des
protestantischen Brudervolks, die künftige Gefahr für Deutschland drückten
dem muthigen Manne das Schwert in die Hand, und er gedachte des Spru¬
ches: „lug. res agitur, Mi'ich eum xroximus aiäöt." — Im Mai 1672
überzogen zwei französische Heere unter Conde' und Turenne die Niederlande
und nahmen auch des Kurfürsten meist von Holländern besetzte Festungen in
Eleve ein. Damit brachen sie den Frieden des Reiches; eine Kriegserklärung
des letzteren hätte die unmittelbare Folge sein müssen; aber davon war gar
nicht die Rede, und selbst die Rücksicht auf das Decorum sowie die dringenden
Vorstellungen Friedrich Wilhelms vermochten den Kaiser zu Nichts Weiterem
als zum August ein kleines Heer bei Eger zu sammeln. Aber der „Mehrer
des Reichs" bewaffnete sich nur zum Schein; ein geheimer Tractat band ihm
Ludwig XIV. gegenüber die Hände, und der Führer der östreichischen „Ar¬
mada", Graf Montecuccoli wurde dem Kurfürsten, der vor dessen Feldherrn¬
rufe eine wohl übertriebene Hochachtung hegte, ausdrücklich zu dem Zweck an
die Seite gestellt, um ihn zu lähmen. Denn schon damals sah Oestreich
lieber Deutschland erniedrigen als Brandenburg wachsen. Der kaiserliche
Minister, Fürst Lobkowitz, äußerte: „Man consideriret Kurbrandenburg als


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[0462] Unter dem nichtigen Rechtsvorwcmde der „Devolution" hatte Ludwig für seine Gemahlin die spanischen Niederlande als Erbe gefordert; die rheini¬ schen Fürsten hatten ihm die Hand geboten, und ein kurzer Feldzug legte Belgien überraschend schnell zu den Füßen des Eroberers. Aber durch die Tripelallianz der Generalstaaten, Englands und Schwedens war ihm doch Halt geboten worden und er hatte sich im Aachener Frieden mit den erober¬ ten Festungen begnügen müssen. — Bald genug indessen war es der verschla¬ genen französischen Diplomatie gelungen, nicht nur jene Tripelallianz zu lösen, sondern sogar Schweden und England auf ihre Seite hinüberzuziehn — und nun holte Ludwig XIV. zu einem tödtlichen Schlage gegen die Re¬ publik der Niederlande aus. Wenn jedoch diese dem Eroberer erlag, so war es auch mit der Freiheit Deutschlands vorbei, dessen Gränzen dann überall den Franzosen wehrlos offen lagen. Freilich schon jetzt sammelten sich die Truppen Ludwigs zum Angriff gegen Holland auf deutschem Boden, in den Gebieten von Köln und Münster, und die verlockendsten Anerbietungen wurden dem Kurfürsten von Brandenburg gemacht, wenn er Theil nehmen wolle an dem Zuge gegen jenes hochmüthige Krämervolk, das ihn fo oft schnöde gekränkt und von oben herab behandelt hatte. Aber trotz aller Ver¬ sprechungen Ludwig's, tretz des mißtrauischen Feilschens der Holländer, welche sogar jetzt auf's Kleinlichste um die Subsidien markteten, trotz der furchtbaren Gefahr, die ihn gleichzeitig von Frankreich und Schweden her bedrohte, war Friedrich Wilhelm doch fest entschlossen, den Kampf mit Frankreich auszu¬ nehmen. Nicht einmal zur Neutralität war er zu bewegen: die Noth des protestantischen Brudervolks, die künftige Gefahr für Deutschland drückten dem muthigen Manne das Schwert in die Hand, und er gedachte des Spru¬ ches: „lug. res agitur, Mi'ich eum xroximus aiäöt." — Im Mai 1672 überzogen zwei französische Heere unter Conde' und Turenne die Niederlande und nahmen auch des Kurfürsten meist von Holländern besetzte Festungen in Eleve ein. Damit brachen sie den Frieden des Reiches; eine Kriegserklärung des letzteren hätte die unmittelbare Folge sein müssen; aber davon war gar nicht die Rede, und selbst die Rücksicht auf das Decorum sowie die dringenden Vorstellungen Friedrich Wilhelms vermochten den Kaiser zu Nichts Weiterem als zum August ein kleines Heer bei Eger zu sammeln. Aber der „Mehrer des Reichs" bewaffnete sich nur zum Schein; ein geheimer Tractat band ihm Ludwig XIV. gegenüber die Hände, und der Führer der östreichischen „Ar¬ mada", Graf Montecuccoli wurde dem Kurfürsten, der vor dessen Feldherrn¬ rufe eine wohl übertriebene Hochachtung hegte, ausdrücklich zu dem Zweck an die Seite gestellt, um ihn zu lähmen. Denn schon damals sah Oestreich lieber Deutschland erniedrigen als Brandenburg wachsen. Der kaiserliche Minister, Fürst Lobkowitz, äußerte: „Man consideriret Kurbrandenburg als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/462>, abgerufen am 26.06.2024.