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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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schüttelt das Haupt und sagt bei sich: ihr Armen, warum habe ich euch dem
Peleus, einem sterblichen Manne gegeben, ihr aber seid nicht alternd und
unsterblich!


Etwa, daß Leid ihr tragt mit den unglückseligen Menschen?
Gibts doch nimmer wahrhaftig was Jammervollres auf Erden
Als der Mensch von Allem was Odem hat und sich reget.

Und damit gibt er ihnen neuen Muth in die Brust, daß sie leicht mit dem
Wagen unter Troer und Achäer fliegen. Denn das ist die Wohlthat des
Krieges wie des Lebens, daß unter immer neuen Eindrücken und Regungen
die elastische Federkraft der Seele wiederum aufschnellt, daß sie Verlorenem
den Rücken kehrt und über die fallenden Blätter hinweg, die der winterliche
Ares zu unsern Füßen häuft, dem treibenden Frühling mit Jauchzen ent¬
o. 9. gegen geht.




Berlin ist ohne Zweifel augenblicklich die uninteressanteste der sechs oder
sieben civilisirten Weltstädte, und lediglich Mangel an Stoff war es, was
Ihren Berichterstatter zwingen konnte, vier Wochen lang zu schweigen. Aber
wie es von den Frauen heißt, daß diejenige die beste sei, welche am wenigsten
Material biete um von ihr zu reden, so mag es wohl von Berlin ähnlich
gelten. Und grade im Gegensatz zu Paris, nach welchem sich jetzt Monate
lang die Blicke der Welt richteten (freilich mit anderer Empfindung als sonst),
ist heute für Berlin das alte Wort jenes französischen Staatsweisen anzu¬
wenden: "Glücklich die Bevölkerungen, deren Geschichte uns langweilt."

Langweilen möchte ich Sie nur eben nicht; deshalb schweige ich über
specifisch-Berlinisches auch diesmal. Unsere Einwohnerschaft befindet sich in
dem wohligen, aber für fremdes Interesse wenig anziehenden Zustande einer
..gesunden Braut", wie es im Berliner Dialecte heißt, die mit deutscher Ruhe
der- Ankunft ihres Bräutigams entgegensieht: erst nach dem Empfang des
Kaisers wird die Kaiserstadt die Eigenschaften, durch welche sie fortan sich
auszeichnen soll, zur Geltung bringen. Erst wenn Berlin die bis jetzt in
Versailles befindliche Centralregierung Deutschlands in sich aufgenommen
haben wird, kann es Gelegenheit zur Verwirklichung seines bis jetzt nur
ideellen Vorzugs der deutschen Residenz gewinnen.

An Stelle der Thätigkeit des deutschen Reichstags, den wir dann mit
freudigem Stolz in unseren Mauern begrüßen werden, haben wir bislang
nur die im Uebrigen fast unbeachteten Verhandlungen des preußischen Land¬
tags als hauptstädtische Ereignisse an uns vorübergehen lassen können. Und
freilich von den gestern, am 17. Februar Abends, geschlossenen Sitzungen der
beiden Häuser ist wenig Bedeutsames zu melden.

Auf meinen letzten Bericht von Ende Januar folgte ein längerer Still¬
stand in den Arbeiten des Plenums der Abgeordneten. Vom Anfang des
laufenden Monats an ist dann der Cultusminister mit seinen Gesetzentwürfen
wiederum in den Mittelpunkt der Situation getreten. Aber die vielangefoch-


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schüttelt das Haupt und sagt bei sich: ihr Armen, warum habe ich euch dem
Peleus, einem sterblichen Manne gegeben, ihr aber seid nicht alternd und
unsterblich!


Etwa, daß Leid ihr tragt mit den unglückseligen Menschen?
Gibts doch nimmer wahrhaftig was Jammervollres auf Erden
Als der Mensch von Allem was Odem hat und sich reget.

Und damit gibt er ihnen neuen Muth in die Brust, daß sie leicht mit dem
Wagen unter Troer und Achäer fliegen. Denn das ist die Wohlthat des
Krieges wie des Lebens, daß unter immer neuen Eindrücken und Regungen
die elastische Federkraft der Seele wiederum aufschnellt, daß sie Verlorenem
den Rücken kehrt und über die fallenden Blätter hinweg, die der winterliche
Ares zu unsern Füßen häuft, dem treibenden Frühling mit Jauchzen ent¬
o. 9. gegen geht.




Berlin ist ohne Zweifel augenblicklich die uninteressanteste der sechs oder
sieben civilisirten Weltstädte, und lediglich Mangel an Stoff war es, was
Ihren Berichterstatter zwingen konnte, vier Wochen lang zu schweigen. Aber
wie es von den Frauen heißt, daß diejenige die beste sei, welche am wenigsten
Material biete um von ihr zu reden, so mag es wohl von Berlin ähnlich
gelten. Und grade im Gegensatz zu Paris, nach welchem sich jetzt Monate
lang die Blicke der Welt richteten (freilich mit anderer Empfindung als sonst),
ist heute für Berlin das alte Wort jenes französischen Staatsweisen anzu¬
wenden: „Glücklich die Bevölkerungen, deren Geschichte uns langweilt."

Langweilen möchte ich Sie nur eben nicht; deshalb schweige ich über
specifisch-Berlinisches auch diesmal. Unsere Einwohnerschaft befindet sich in
dem wohligen, aber für fremdes Interesse wenig anziehenden Zustande einer
..gesunden Braut", wie es im Berliner Dialecte heißt, die mit deutscher Ruhe
der- Ankunft ihres Bräutigams entgegensieht: erst nach dem Empfang des
Kaisers wird die Kaiserstadt die Eigenschaften, durch welche sie fortan sich
auszeichnen soll, zur Geltung bringen. Erst wenn Berlin die bis jetzt in
Versailles befindliche Centralregierung Deutschlands in sich aufgenommen
haben wird, kann es Gelegenheit zur Verwirklichung seines bis jetzt nur
ideellen Vorzugs der deutschen Residenz gewinnen.

An Stelle der Thätigkeit des deutschen Reichstags, den wir dann mit
freudigem Stolz in unseren Mauern begrüßen werden, haben wir bislang
nur die im Uebrigen fast unbeachteten Verhandlungen des preußischen Land¬
tags als hauptstädtische Ereignisse an uns vorübergehen lassen können. Und
freilich von den gestern, am 17. Februar Abends, geschlossenen Sitzungen der
beiden Häuser ist wenig Bedeutsames zu melden.

Auf meinen letzten Bericht von Ende Januar folgte ein längerer Still¬
stand in den Arbeiten des Plenums der Abgeordneten. Vom Anfang des
laufenden Monats an ist dann der Cultusminister mit seinen Gesetzentwürfen
wiederum in den Mittelpunkt der Situation getreten. Aber die vielangefoch-


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[0389] schüttelt das Haupt und sagt bei sich: ihr Armen, warum habe ich euch dem Peleus, einem sterblichen Manne gegeben, ihr aber seid nicht alternd und unsterblich! Etwa, daß Leid ihr tragt mit den unglückseligen Menschen? Gibts doch nimmer wahrhaftig was Jammervollres auf Erden Als der Mensch von Allem was Odem hat und sich reget. Und damit gibt er ihnen neuen Muth in die Brust, daß sie leicht mit dem Wagen unter Troer und Achäer fliegen. Denn das ist die Wohlthat des Krieges wie des Lebens, daß unter immer neuen Eindrücken und Regungen die elastische Federkraft der Seele wiederum aufschnellt, daß sie Verlorenem den Rücken kehrt und über die fallenden Blätter hinweg, die der winterliche Ares zu unsern Füßen häuft, dem treibenden Frühling mit Jauchzen ent¬ o. 9. gegen geht. Berlin ist ohne Zweifel augenblicklich die uninteressanteste der sechs oder sieben civilisirten Weltstädte, und lediglich Mangel an Stoff war es, was Ihren Berichterstatter zwingen konnte, vier Wochen lang zu schweigen. Aber wie es von den Frauen heißt, daß diejenige die beste sei, welche am wenigsten Material biete um von ihr zu reden, so mag es wohl von Berlin ähnlich gelten. Und grade im Gegensatz zu Paris, nach welchem sich jetzt Monate lang die Blicke der Welt richteten (freilich mit anderer Empfindung als sonst), ist heute für Berlin das alte Wort jenes französischen Staatsweisen anzu¬ wenden: „Glücklich die Bevölkerungen, deren Geschichte uns langweilt." Langweilen möchte ich Sie nur eben nicht; deshalb schweige ich über specifisch-Berlinisches auch diesmal. Unsere Einwohnerschaft befindet sich in dem wohligen, aber für fremdes Interesse wenig anziehenden Zustande einer ..gesunden Braut", wie es im Berliner Dialecte heißt, die mit deutscher Ruhe der- Ankunft ihres Bräutigams entgegensieht: erst nach dem Empfang des Kaisers wird die Kaiserstadt die Eigenschaften, durch welche sie fortan sich auszeichnen soll, zur Geltung bringen. Erst wenn Berlin die bis jetzt in Versailles befindliche Centralregierung Deutschlands in sich aufgenommen haben wird, kann es Gelegenheit zur Verwirklichung seines bis jetzt nur ideellen Vorzugs der deutschen Residenz gewinnen. An Stelle der Thätigkeit des deutschen Reichstags, den wir dann mit freudigem Stolz in unseren Mauern begrüßen werden, haben wir bislang nur die im Uebrigen fast unbeachteten Verhandlungen des preußischen Land¬ tags als hauptstädtische Ereignisse an uns vorübergehen lassen können. Und freilich von den gestern, am 17. Februar Abends, geschlossenen Sitzungen der beiden Häuser ist wenig Bedeutsames zu melden. Auf meinen letzten Bericht von Ende Januar folgte ein längerer Still¬ stand in den Arbeiten des Plenums der Abgeordneten. Vom Anfang des laufenden Monats an ist dann der Cultusminister mit seinen Gesetzentwürfen wiederum in den Mittelpunkt der Situation getreten. Aber die vielangefoch- Grcnzboten I. 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/389>, abgerufen am 26.06.2024.