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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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vom Schiffe in das fischreiche Meer spränge, so könnte er auch bei stürmischer
See Austern suchend viele Menschen sättigen. In sich zusammengekrümmt
wie ein Wurm liegt Einer am Boden. Der Kraftvolle dröhnt im Sturz,
die Waffen rasseln über ihm. Eben vorwärts springend wird dieser vom
Speer getroffen: er fällt rücklings wie der Stier, der, von scharfem Beil
hinter die Hörner geschlagen, mit einem Sprunge nach vorwärts niederstürzt.
Jener brüllt wie der Opferstier, dessen sich Poseidon erfreut. Der Hochragende,
stämmige bricht zusammen wie ein Thurm, der Lebensfrische wie eine
Pappel, in der Niederung gewachsen, vom Zimmermann gefällt, nun trock¬
nend am Flußufer, oder wie eine Eiche vom Blitz getroffen. Die Wehmuth
über des Patroklos Ende schiebt der Dichter des Helden eigner Seele zu, als
sie aus den edlen Gliedern entfliegend zum Hades geht, ihr Geschick beklagend,
daß sie Kraft und Jugend verlassen muß. Mit wehmüthiger Ironie wird
der Fall des etwas eitlen Euphorbos ausgeschmückt. Er hat sich eben gegen
Menelaos vermessen, dessen Kopf und Waffen sammt denen des Patroklos
den Eltern als Beute heimzubringen. Da wirft ihn die feindliche Lanze zu
Boden. Von Blut werden ihm die den Chariten gleichenden Haare benetzt
und die Locken, die mit Gold und Silber durchringelt sind. Und wie ein
junger schöner Oelbaum, im Garten sorglich gepflegt, reichlich getränkt,
in weißer Blüte prangt, -- plötzlich kommt ein Sturmwind, entwurzelt und wirft
ihn zu Boden --, so streckte Menelaos den Euphorbos nieder. Zart und rüh¬
rend wird die tödtliche Wirkung des Pfeiles auf einen der Priamossöhne be¬
schrieben: er neigte sein Haupt, das vom Helm beschwert war, zur Seite wie
eine Mohn Stande, die im Garten von Frucht und Thautropfen des Früh¬
lings belastet ist.

Ja wie ein Sturmwind, gewaltsam, verheerend braust der Krieg über
die Fluren des Lebens dahin. Wie den Kriegsmann oder den Arzt die
Mannigfaltigkeit der körperlichen Wunden und Todesarten beschäftigt, so gibt
die Fülle der Lebens Schicksale und Verhältnisse, in welche die unerbitt¬
lichen Keren eingreifen, der dichterischen Natur einen unendlichen Stoff ge¬
müthvoller Betrachtung. Darum gedenkt er so gern, wenn Einer im Kampfe
erliegt, der Eltern und Angehörigen, der fernen Heimath, entwirft
ein freundliches Landschafts- oder Familienbild, wie es dem Sterbenden vor¬
schweben mag. Die Umstände bei seiner Geburt, die Hoffnungen, die er auf
das Leben, die Seinigen auf ihn setzten, Gaben der Natur, Kräfte und Ge-
schicklichkeiten, das Glück, das er noch gesucht oder schon genossen, die Schick¬
sale, die er überstanden, Ehre und Ruhm, die er sich erworben hatte, bald
dies bald jenes wird hervorgekehrt, was dem einzelnen Schicksal sein eignes
Gepräge gibt. Jugendlich blühende Knaben, die zu früh sterben, um den
Eltern Pflege und Erziehung zu vergelten; spätgeborene Söhne eines bejahrten


vom Schiffe in das fischreiche Meer spränge, so könnte er auch bei stürmischer
See Austern suchend viele Menschen sättigen. In sich zusammengekrümmt
wie ein Wurm liegt Einer am Boden. Der Kraftvolle dröhnt im Sturz,
die Waffen rasseln über ihm. Eben vorwärts springend wird dieser vom
Speer getroffen: er fällt rücklings wie der Stier, der, von scharfem Beil
hinter die Hörner geschlagen, mit einem Sprunge nach vorwärts niederstürzt.
Jener brüllt wie der Opferstier, dessen sich Poseidon erfreut. Der Hochragende,
stämmige bricht zusammen wie ein Thurm, der Lebensfrische wie eine
Pappel, in der Niederung gewachsen, vom Zimmermann gefällt, nun trock¬
nend am Flußufer, oder wie eine Eiche vom Blitz getroffen. Die Wehmuth
über des Patroklos Ende schiebt der Dichter des Helden eigner Seele zu, als
sie aus den edlen Gliedern entfliegend zum Hades geht, ihr Geschick beklagend,
daß sie Kraft und Jugend verlassen muß. Mit wehmüthiger Ironie wird
der Fall des etwas eitlen Euphorbos ausgeschmückt. Er hat sich eben gegen
Menelaos vermessen, dessen Kopf und Waffen sammt denen des Patroklos
den Eltern als Beute heimzubringen. Da wirft ihn die feindliche Lanze zu
Boden. Von Blut werden ihm die den Chariten gleichenden Haare benetzt
und die Locken, die mit Gold und Silber durchringelt sind. Und wie ein
junger schöner Oelbaum, im Garten sorglich gepflegt, reichlich getränkt,
in weißer Blüte prangt, — plötzlich kommt ein Sturmwind, entwurzelt und wirft
ihn zu Boden —, so streckte Menelaos den Euphorbos nieder. Zart und rüh¬
rend wird die tödtliche Wirkung des Pfeiles auf einen der Priamossöhne be¬
schrieben: er neigte sein Haupt, das vom Helm beschwert war, zur Seite wie
eine Mohn Stande, die im Garten von Frucht und Thautropfen des Früh¬
lings belastet ist.

Ja wie ein Sturmwind, gewaltsam, verheerend braust der Krieg über
die Fluren des Lebens dahin. Wie den Kriegsmann oder den Arzt die
Mannigfaltigkeit der körperlichen Wunden und Todesarten beschäftigt, so gibt
die Fülle der Lebens Schicksale und Verhältnisse, in welche die unerbitt¬
lichen Keren eingreifen, der dichterischen Natur einen unendlichen Stoff ge¬
müthvoller Betrachtung. Darum gedenkt er so gern, wenn Einer im Kampfe
erliegt, der Eltern und Angehörigen, der fernen Heimath, entwirft
ein freundliches Landschafts- oder Familienbild, wie es dem Sterbenden vor¬
schweben mag. Die Umstände bei seiner Geburt, die Hoffnungen, die er auf
das Leben, die Seinigen auf ihn setzten, Gaben der Natur, Kräfte und Ge-
schicklichkeiten, das Glück, das er noch gesucht oder schon genossen, die Schick¬
sale, die er überstanden, Ehre und Ruhm, die er sich erworben hatte, bald
dies bald jenes wird hervorgekehrt, was dem einzelnen Schicksal sein eignes
Gepräge gibt. Jugendlich blühende Knaben, die zu früh sterben, um den
Eltern Pflege und Erziehung zu vergelten; spätgeborene Söhne eines bejahrten


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[0387] vom Schiffe in das fischreiche Meer spränge, so könnte er auch bei stürmischer See Austern suchend viele Menschen sättigen. In sich zusammengekrümmt wie ein Wurm liegt Einer am Boden. Der Kraftvolle dröhnt im Sturz, die Waffen rasseln über ihm. Eben vorwärts springend wird dieser vom Speer getroffen: er fällt rücklings wie der Stier, der, von scharfem Beil hinter die Hörner geschlagen, mit einem Sprunge nach vorwärts niederstürzt. Jener brüllt wie der Opferstier, dessen sich Poseidon erfreut. Der Hochragende, stämmige bricht zusammen wie ein Thurm, der Lebensfrische wie eine Pappel, in der Niederung gewachsen, vom Zimmermann gefällt, nun trock¬ nend am Flußufer, oder wie eine Eiche vom Blitz getroffen. Die Wehmuth über des Patroklos Ende schiebt der Dichter des Helden eigner Seele zu, als sie aus den edlen Gliedern entfliegend zum Hades geht, ihr Geschick beklagend, daß sie Kraft und Jugend verlassen muß. Mit wehmüthiger Ironie wird der Fall des etwas eitlen Euphorbos ausgeschmückt. Er hat sich eben gegen Menelaos vermessen, dessen Kopf und Waffen sammt denen des Patroklos den Eltern als Beute heimzubringen. Da wirft ihn die feindliche Lanze zu Boden. Von Blut werden ihm die den Chariten gleichenden Haare benetzt und die Locken, die mit Gold und Silber durchringelt sind. Und wie ein junger schöner Oelbaum, im Garten sorglich gepflegt, reichlich getränkt, in weißer Blüte prangt, — plötzlich kommt ein Sturmwind, entwurzelt und wirft ihn zu Boden —, so streckte Menelaos den Euphorbos nieder. Zart und rüh¬ rend wird die tödtliche Wirkung des Pfeiles auf einen der Priamossöhne be¬ schrieben: er neigte sein Haupt, das vom Helm beschwert war, zur Seite wie eine Mohn Stande, die im Garten von Frucht und Thautropfen des Früh¬ lings belastet ist. Ja wie ein Sturmwind, gewaltsam, verheerend braust der Krieg über die Fluren des Lebens dahin. Wie den Kriegsmann oder den Arzt die Mannigfaltigkeit der körperlichen Wunden und Todesarten beschäftigt, so gibt die Fülle der Lebens Schicksale und Verhältnisse, in welche die unerbitt¬ lichen Keren eingreifen, der dichterischen Natur einen unendlichen Stoff ge¬ müthvoller Betrachtung. Darum gedenkt er so gern, wenn Einer im Kampfe erliegt, der Eltern und Angehörigen, der fernen Heimath, entwirft ein freundliches Landschafts- oder Familienbild, wie es dem Sterbenden vor¬ schweben mag. Die Umstände bei seiner Geburt, die Hoffnungen, die er auf das Leben, die Seinigen auf ihn setzten, Gaben der Natur, Kräfte und Ge- schicklichkeiten, das Glück, das er noch gesucht oder schon genossen, die Schick¬ sale, die er überstanden, Ehre und Ruhm, die er sich erworben hatte, bald dies bald jenes wird hervorgekehrt, was dem einzelnen Schicksal sein eignes Gepräge gibt. Jugendlich blühende Knaben, die zu früh sterben, um den Eltern Pflege und Erziehung zu vergelten; spätgeborene Söhne eines bejahrten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/387>, abgerufen am 26.06.2024.