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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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liehen sei, mit denen zu streiten sich nicht gezieme; und mit ungewohnter
Feierlichkeit und Ausführlichkeit erzählt dann Glaukos von seinen Ahnen. Es
ist ein Augenblick andächtiger Besinnung auf die natürliche Gemeinschaft,
welche Menschen an Menschen knüpft, ein Sonnenstrahl aus dem Gewölk,
der über das Schlachtfeld hinstreicht. Und nicht minder wohlthuend ist der
Abschluß, den der unentschiedene Zweikampf zwischen Ajas und Hek¬
tar nach heißem Schlachttage findet. Die Lanzen und mächtige Steinwürfe
haben sie an einander versucht. Hektor zwar blutet vom Speer am Halse,
und ein Stein hat ihn zu Boden geworfen. Aber Apollon richtet ihn wieder
auf, und nun hätten sie zu den Schwertern gegriffen, wenn nicht von beiden
Seiten die Herolde, Talthybios und Italos, gekommen wären, beides ver¬
ständige Männer. Zwischen die Kämpfenden hielten sie ihre Stäbe, und
Italos, der Troer, sprach:


nicht mehr weiter ihr lieben Sohn', im Streit und Gefechte.
Seid ihr beide doch lieb dem Herrscher im Donnergewölk Zeus,
beide auch tapfere Helden: das wissen nunmehr wir alle.
Aber es wird nun Nacht! auch der Nacht ists gut zu gehorchen.

Da gibt zuerst Ajas, der herausgeforderte, der im Vortheil ist, nach. Hektor
stimmt mit herzlicher Anerkennung des Gegners bei, und schlägt vor, Geschenke
unter einander auszutauschen, damit man unter Achäern und Troern sage:


erst zwar kämpften sie über die herzverzehrende Zwietracht,
und dann schieden sie beid' in Freundschaft wieder versöhnet.

Und die Troer freuten sich, als sie ihren Hektor lebendig und unversehrt den
unnahbaren Händen des Ajas entronnen wiedersahen, und geleiteten ihn zur
Stadt; den Ajas von der andern Seite, der sich des Siegs freut, führen die
Achaier zum Agamemnon, der dem Zeus einen Stier opfert, und dann schmausen
sie den Braten und Ajas wird mit langen Rückenstücken geehrt.

So werden die Gemüther vorbereitet für den Waffenstillstand des folgen¬
den Tages, der zur Bestattung der Todten dient: warme Thränen ver¬
gießend heben sie die Theuren auf die Wagen. Zu formeller Todtenklage
und ausführlicher Leichenfeier, wie sie für Patroklos und Hektor angestellt
wird, fehlt die Zeit. In Schweigen werden die Leichen den Scheiterhaufen
übergeben.

Aber des Sängers Gemüth stimmt der Anblick des fallenden Kriegers
mannigfach. Bei dem Unbedeutenden interessirt ihn nur die Situation, weckt
wohl auch seinen Humor. Dem verblüfften Thestor, dem die Zügel entfallen
sind, jagt Patroklos seinen Speer durch Kinnbacken und Zähne und zieht den
schnappenden daran über den Wagenrand zu Boden, wie Einer auf hohem
Felsen einen Fisch aus dem Meer angelt. Kebriones, den Wagenlenker Hek¬
tars, trifft er mit einem Steinwurf, daß derselbe kopfüber wie ein Taucher
vom Wagen stürzt. Er spottet des behenden Mannes. Wenn er so gelenk


liehen sei, mit denen zu streiten sich nicht gezieme; und mit ungewohnter
Feierlichkeit und Ausführlichkeit erzählt dann Glaukos von seinen Ahnen. Es
ist ein Augenblick andächtiger Besinnung auf die natürliche Gemeinschaft,
welche Menschen an Menschen knüpft, ein Sonnenstrahl aus dem Gewölk,
der über das Schlachtfeld hinstreicht. Und nicht minder wohlthuend ist der
Abschluß, den der unentschiedene Zweikampf zwischen Ajas und Hek¬
tar nach heißem Schlachttage findet. Die Lanzen und mächtige Steinwürfe
haben sie an einander versucht. Hektor zwar blutet vom Speer am Halse,
und ein Stein hat ihn zu Boden geworfen. Aber Apollon richtet ihn wieder
auf, und nun hätten sie zu den Schwertern gegriffen, wenn nicht von beiden
Seiten die Herolde, Talthybios und Italos, gekommen wären, beides ver¬
ständige Männer. Zwischen die Kämpfenden hielten sie ihre Stäbe, und
Italos, der Troer, sprach:


nicht mehr weiter ihr lieben Sohn', im Streit und Gefechte.
Seid ihr beide doch lieb dem Herrscher im Donnergewölk Zeus,
beide auch tapfere Helden: das wissen nunmehr wir alle.
Aber es wird nun Nacht! auch der Nacht ists gut zu gehorchen.

Da gibt zuerst Ajas, der herausgeforderte, der im Vortheil ist, nach. Hektor
stimmt mit herzlicher Anerkennung des Gegners bei, und schlägt vor, Geschenke
unter einander auszutauschen, damit man unter Achäern und Troern sage:


erst zwar kämpften sie über die herzverzehrende Zwietracht,
und dann schieden sie beid' in Freundschaft wieder versöhnet.

Und die Troer freuten sich, als sie ihren Hektor lebendig und unversehrt den
unnahbaren Händen des Ajas entronnen wiedersahen, und geleiteten ihn zur
Stadt; den Ajas von der andern Seite, der sich des Siegs freut, führen die
Achaier zum Agamemnon, der dem Zeus einen Stier opfert, und dann schmausen
sie den Braten und Ajas wird mit langen Rückenstücken geehrt.

So werden die Gemüther vorbereitet für den Waffenstillstand des folgen¬
den Tages, der zur Bestattung der Todten dient: warme Thränen ver¬
gießend heben sie die Theuren auf die Wagen. Zu formeller Todtenklage
und ausführlicher Leichenfeier, wie sie für Patroklos und Hektor angestellt
wird, fehlt die Zeit. In Schweigen werden die Leichen den Scheiterhaufen
übergeben.

Aber des Sängers Gemüth stimmt der Anblick des fallenden Kriegers
mannigfach. Bei dem Unbedeutenden interessirt ihn nur die Situation, weckt
wohl auch seinen Humor. Dem verblüfften Thestor, dem die Zügel entfallen
sind, jagt Patroklos seinen Speer durch Kinnbacken und Zähne und zieht den
schnappenden daran über den Wagenrand zu Boden, wie Einer auf hohem
Felsen einen Fisch aus dem Meer angelt. Kebriones, den Wagenlenker Hek¬
tars, trifft er mit einem Steinwurf, daß derselbe kopfüber wie ein Taucher
vom Wagen stürzt. Er spottet des behenden Mannes. Wenn er so gelenk


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[0386] liehen sei, mit denen zu streiten sich nicht gezieme; und mit ungewohnter Feierlichkeit und Ausführlichkeit erzählt dann Glaukos von seinen Ahnen. Es ist ein Augenblick andächtiger Besinnung auf die natürliche Gemeinschaft, welche Menschen an Menschen knüpft, ein Sonnenstrahl aus dem Gewölk, der über das Schlachtfeld hinstreicht. Und nicht minder wohlthuend ist der Abschluß, den der unentschiedene Zweikampf zwischen Ajas und Hek¬ tar nach heißem Schlachttage findet. Die Lanzen und mächtige Steinwürfe haben sie an einander versucht. Hektor zwar blutet vom Speer am Halse, und ein Stein hat ihn zu Boden geworfen. Aber Apollon richtet ihn wieder auf, und nun hätten sie zu den Schwertern gegriffen, wenn nicht von beiden Seiten die Herolde, Talthybios und Italos, gekommen wären, beides ver¬ ständige Männer. Zwischen die Kämpfenden hielten sie ihre Stäbe, und Italos, der Troer, sprach: nicht mehr weiter ihr lieben Sohn', im Streit und Gefechte. Seid ihr beide doch lieb dem Herrscher im Donnergewölk Zeus, beide auch tapfere Helden: das wissen nunmehr wir alle. Aber es wird nun Nacht! auch der Nacht ists gut zu gehorchen. Da gibt zuerst Ajas, der herausgeforderte, der im Vortheil ist, nach. Hektor stimmt mit herzlicher Anerkennung des Gegners bei, und schlägt vor, Geschenke unter einander auszutauschen, damit man unter Achäern und Troern sage: erst zwar kämpften sie über die herzverzehrende Zwietracht, und dann schieden sie beid' in Freundschaft wieder versöhnet. Und die Troer freuten sich, als sie ihren Hektor lebendig und unversehrt den unnahbaren Händen des Ajas entronnen wiedersahen, und geleiteten ihn zur Stadt; den Ajas von der andern Seite, der sich des Siegs freut, führen die Achaier zum Agamemnon, der dem Zeus einen Stier opfert, und dann schmausen sie den Braten und Ajas wird mit langen Rückenstücken geehrt. So werden die Gemüther vorbereitet für den Waffenstillstand des folgen¬ den Tages, der zur Bestattung der Todten dient: warme Thränen ver¬ gießend heben sie die Theuren auf die Wagen. Zu formeller Todtenklage und ausführlicher Leichenfeier, wie sie für Patroklos und Hektor angestellt wird, fehlt die Zeit. In Schweigen werden die Leichen den Scheiterhaufen übergeben. Aber des Sängers Gemüth stimmt der Anblick des fallenden Kriegers mannigfach. Bei dem Unbedeutenden interessirt ihn nur die Situation, weckt wohl auch seinen Humor. Dem verblüfften Thestor, dem die Zügel entfallen sind, jagt Patroklos seinen Speer durch Kinnbacken und Zähne und zieht den schnappenden daran über den Wagenrand zu Boden, wie Einer auf hohem Felsen einen Fisch aus dem Meer angelt. Kebriones, den Wagenlenker Hek¬ tars, trifft er mit einem Steinwurf, daß derselbe kopfüber wie ein Taucher vom Wagen stürzt. Er spottet des behenden Mannes. Wenn er so gelenk

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/386>, abgerufen am 26.06.2024.