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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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rurgie gelernt, und Patroklos von jenem. Aber es geht etwas langsam mit
der Hülfe. Als dem Menelaos der Pfeil des Pandaros eine freilich unschul¬
dige Fleischwunde geritzt hat, muß der Herold Talthybios, von Agamemnon
geschickt, den Machaon erst weit im Schlachtgewühl aufsuchen. Doch weiß
man ihn zu schätzen. Als ihn selbst ein Pfeil getroffen hat, wird er schleu¬
nigst auf dem Wagen Nestors zu den Schiffen zurückgeschickt: "ist doch ein
Arzt soviel werth, als viele Männer zusammen."

Es verdient Anerkennung, daß Troer so wenig als Achäer erlittene
Niederlagen zu bemänteln oder gar als Siege darzustellen suchen, so zuver¬
sichtlich auch vor der Entscheidung oft die Sprache klingt. Eid und Verträge
stehen, wie Agamemnon sagt, unter dem Schutze des Zeus, und ihre Ver¬
letzung rügt er, wenn nicht sofort, doch mit der Zeit an den Treulosen sammt
ihren Weibern und Kindern. Die Ehrlichkeit der Troer ist freilich sonst
nicht aufs beste bestellt. Nur des greisen Priamos Wort gilt den Achäern
für zuverlässig, seine Söhne heißen schnöde und treulos. Des Pandaros
tückischer Pfeil verletzt den eben beschworenen Waffenstillstand, daß der Krieg
aufs Neue entbrennt. Freilich haben es die Olympier selbst so gewollt.
Damit der Krieg keinen friedlichen Ausgang finde, sondern Troja's Schicksal
sich erfülle, muß Zeus gestatten, daß Athene selbst den Bogenschützen zu der
verhängnißvollen That verführe.

Ein festes Band treuer Waffengenossenschaft hält die Kämpfer
zusammen. Je zwei Freunde oder Brüder führt ein Gespann, das der eine
von ihnen lenkt, doch tauschen sie gelegentlich die Rollen. Auch die Leiche
des gefallenen Gefährten zu beschützen und zur Bestattung zu den Schiffen
zurückzuschaffen ist höchster Ehrenpunkt; wer sie dem Feinde preisgibt, trägt
ewige Schande davon. Denn vor dem Gegner im Kriege herrscht freilich noch
das wilde schnöde Recht des Hasses, der Rache und Leidenschaft. Wehe
der eroberten Stadt: die Männer werden getödtet, die Häuser verbrannt,
Kinder und Weiber fortgeführt. Als Achill die hochthorige Stadt der Kili-
kier, Theben, Andromache's Heimath, zerstörte, hat er an einem Tage ihren
königlichen Vater und ihre drei Brüder, die bei der Heerde weilten, getödtet.
Schonung genug, daß er die Leiche des Königs mit den Waffen verbrannte,
ihm einen Grabhügel schüttete, und die Gattin um Lösegeld freigab. Auch
Briseis hat sehen müssen, wie dieselben Hände ihren Gemahl und drei Brü¬
der von einer Mutter vor ihrer Vaterstadt mordeten und diese zerstörten.
Da tröstete freilich der milde Patroklos die junge schöne Wittwe? denn er
verhieß ihr, Achill selbst werde sie als eheliche Gattin heimführen und ihr
unter den Myrmidonen das Hochzeitsmahl anrichten. Kein Pardon in der
Schlacht. Da plaudert man nicht gemüthlich wie Mädchen und Bursche zu¬
sammen, vom Eichbaum und vom Felsen herab. Vergebens umfassen sie


rurgie gelernt, und Patroklos von jenem. Aber es geht etwas langsam mit
der Hülfe. Als dem Menelaos der Pfeil des Pandaros eine freilich unschul¬
dige Fleischwunde geritzt hat, muß der Herold Talthybios, von Agamemnon
geschickt, den Machaon erst weit im Schlachtgewühl aufsuchen. Doch weiß
man ihn zu schätzen. Als ihn selbst ein Pfeil getroffen hat, wird er schleu¬
nigst auf dem Wagen Nestors zu den Schiffen zurückgeschickt: „ist doch ein
Arzt soviel werth, als viele Männer zusammen."

Es verdient Anerkennung, daß Troer so wenig als Achäer erlittene
Niederlagen zu bemänteln oder gar als Siege darzustellen suchen, so zuver¬
sichtlich auch vor der Entscheidung oft die Sprache klingt. Eid und Verträge
stehen, wie Agamemnon sagt, unter dem Schutze des Zeus, und ihre Ver¬
letzung rügt er, wenn nicht sofort, doch mit der Zeit an den Treulosen sammt
ihren Weibern und Kindern. Die Ehrlichkeit der Troer ist freilich sonst
nicht aufs beste bestellt. Nur des greisen Priamos Wort gilt den Achäern
für zuverlässig, seine Söhne heißen schnöde und treulos. Des Pandaros
tückischer Pfeil verletzt den eben beschworenen Waffenstillstand, daß der Krieg
aufs Neue entbrennt. Freilich haben es die Olympier selbst so gewollt.
Damit der Krieg keinen friedlichen Ausgang finde, sondern Troja's Schicksal
sich erfülle, muß Zeus gestatten, daß Athene selbst den Bogenschützen zu der
verhängnißvollen That verführe.

Ein festes Band treuer Waffengenossenschaft hält die Kämpfer
zusammen. Je zwei Freunde oder Brüder führt ein Gespann, das der eine
von ihnen lenkt, doch tauschen sie gelegentlich die Rollen. Auch die Leiche
des gefallenen Gefährten zu beschützen und zur Bestattung zu den Schiffen
zurückzuschaffen ist höchster Ehrenpunkt; wer sie dem Feinde preisgibt, trägt
ewige Schande davon. Denn vor dem Gegner im Kriege herrscht freilich noch
das wilde schnöde Recht des Hasses, der Rache und Leidenschaft. Wehe
der eroberten Stadt: die Männer werden getödtet, die Häuser verbrannt,
Kinder und Weiber fortgeführt. Als Achill die hochthorige Stadt der Kili-
kier, Theben, Andromache's Heimath, zerstörte, hat er an einem Tage ihren
königlichen Vater und ihre drei Brüder, die bei der Heerde weilten, getödtet.
Schonung genug, daß er die Leiche des Königs mit den Waffen verbrannte,
ihm einen Grabhügel schüttete, und die Gattin um Lösegeld freigab. Auch
Briseis hat sehen müssen, wie dieselben Hände ihren Gemahl und drei Brü¬
der von einer Mutter vor ihrer Vaterstadt mordeten und diese zerstörten.
Da tröstete freilich der milde Patroklos die junge schöne Wittwe? denn er
verhieß ihr, Achill selbst werde sie als eheliche Gattin heimführen und ihr
unter den Myrmidonen das Hochzeitsmahl anrichten. Kein Pardon in der
Schlacht. Da plaudert man nicht gemüthlich wie Mädchen und Bursche zu¬
sammen, vom Eichbaum und vom Felsen herab. Vergebens umfassen sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/384>, abgerufen am 26.06.2024.